Gut, dann werde ich hier auch zu meinem Schlußplaydoyer ansetzen:
Mir persönlich gefällt es nicht, keinen richtigen Standpunkt zu haben. Meiner ist jedenfalls, daß es den Dichter Homer gab und dieser die Ilias
und die Odyssee zum größten Teil geschaffen hat. Es gibt eine Menge Argumente dafür, dies anzunehmen - und diese Argumente sind nicht leicht zu widerlegen.
Das, was wir z.Zt. an "gängiger Lehrmeinung" haben, ist evtl. geeignet, Zweifel an diesem oder jenem aufkommen zu lassen - wir wissen ja, daß eine Wiederherstellung des Originaltextes mehrmals in Angriff genommen wurde - es ist aber kaum als Beweis für die These zu akzeptieren, daß die Odyssee nicht von Homer stammt. Insbesondere bin ich mit Argumenten nicht einverstanden, die sich auf Unstimmigkeiten in der stilistischen - oder auch kulturellen - Einheitlichkeit berufen. Werke wie die Ilias und Odyssee müssen nicht aus einem Guß sein - ein junger Autor denkt und schreibt anders als ein alter, auch wenn es sich um dieselbe Person handelt.
Natürlich hat Homer aus alten Überlieferungen geschöpft, hat sich hier und dort bedient - sicherlich hatte er Vorbilder, Vortragsreisende, Märchenerzähler. Natürlich gab es eine Redaktion, haben die einen versucht, das Epos um Eigenes zu erweitern, die anderen, es wieder auf das Original zurechtzustutzen. Das ändert aber doch nichts daran, daß im Grunde in der Ilias und der Odyssee eine einzige große Geschichte erzählt wird. Die Ilias alleine wäre ohne die Odyssee irgendwie unvollendet geblieben.
In meinen Augen ist es abwegig anzunehmen, daß ein oder mehrere Dichter als Homer getarnt die Odyssee veröffentlicht haben. Welchen Sinn sollte das haben? Warum auf den Ruhm eines großen Dichters verzichten?
Daß der Name des Dichters, falls es nun nicht Homer war, in Vergessenheit geraten ist, ist ebenso unglaubwürdig.
Ein Schüler Homers? Ein unbekannter Rhapsode? Wie viele namenlosen kongenialen Zeitgenossen Homers mag es gegeben haben? Ich persönlich glaube mehr an die Einzelleistung - und daran daß der Schlüssel zum publizistischen Erfolg der beiden Epen eben die neu entdeckte Schriftlichkeit war.
RM