/h1/, /h2/, /h3/ ("Laryngale") im Griechischen

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/h1/, /h2/, /h3/ ("Laryngale") im Griechischen

Beitragvon rescriptor » Mo 9. Mai 2005, 02:23

In einem anderen thread ("Probleme bei paideúeis") habe ich das - für viele recht ungewöhnliche - Phonem /h2/ verwendet.
Hier möchte ich dazu einige Erläuterungen geben, da die Phoneme /h1/, /h2/, /h3/ für die moderne indogermanistische - und damit auch historische griechische - Sprachforschung grundlegend sind.

Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich an anderer Stelle eine Beispielsammlung für Latein hinzufügen.

{
- es bedeuten: [+syll] MIT dem Merkmal "silbentragend, syllabisch"; [-syll] OHNE das Merkmal "syllabisch"; R Liquida oder Nasal [+syll]
- griech u psilón wird mit 'u' wiedergegeben; die Aussprache 'ü' ist ionisch/attisch und zudem vergleichsweise spät
- da mir keine gr Tastatur zur Verfügung steht, stehen die gr Wörter in Phonemstrichen
- die Ziffern in h1, h2, h3 sind als Indexziffern zu lesen, die ich hier nicht darstellen kann;
- wo es nicht darauf ankommt, ob h1, h2 oder h3 gemeint oder unklar ist, welches der 3 Phoneme anzustzen ist, steht H
- konsonantisches i, u sind stets mit j, w wiedergegeben; sonantisches l, r, m, n sind nicht gekennzeichnet;
- Zirkumflex bedeutet stets Länge, nicht notwendig auch Wortton; wo möglich, ist der Wortton durch Akut angegeben;
ich räume ein, dass diese Schreibweisen die Lesbarkeit sehr erschweren
}

Vor über 110 Jahren postulierte Saussure auf Grund struktureller Erwägungen für die Rekonstruktion bestimmter idg Wurzeln das Vorhandensein von (wie inzwischen communis opinio: drei) Phonemen, die aus wissenschaftshistorischen Gründen bis heute "Laryngale" genannt und mit den Zeichen /h1/, /h2/, /h3/ werden. Ihr Lautwert ist etwa: /h1/~[h]oder "ch" in dt "ich", /h2/~[x](="ch" in dt "ach"), /h3/~ebenfalls Reibelaut, uzw "stimmhaft und pharyngal oder velar, nicht unbedingt labiovelar" (M.Mayrhofer in: Idg Grammatik, Heidelberg 1986).
Alle drei Phoneme (/h1/ ist NICHT = spiritus asper oder lat. /h/ !) wurden bereits in idg Zeit aufgegeben, hinterließen jedoch charakteristische Spuren.
Der Ansatz der "Laryngale" wurde durch Forscher nach Saussure mehrfach bestätigt. Den Durchbruch der "Laryngaltheorie" bedeutete jedoch die Entzifferung des Hethitischen: Heth und die anderen idg anatolischen Sprachen bewahren zumindest /h2/, wahrscheinlich auch /h1/ ODER /h3/.
In der heutigen Forschung spielt jedoch Griech für die Laryngaltheorie eine eher größere Rolle als Heth.

Zur Wirkung der "Laryngale" (vereinfacht):
/h1/ :
- vor */e/ - indirekter Nachweis: zB Wz */h1es-/ "sein" (es-se, ei-mi) -> Schwundstufe /h1s/ in /n-h1snt-/ "nicht seiend" > ved âsat (syllabisches n ved normal kurz [*/snt/ !], in â- durch /h1/ gedehnt
- nach */e/ - vor [-syll]: Dehnung des */e/; vor [+syll]: Hiat
- vor [-syll] - in den meisten Sprachen ZERO, griech /e/
- zwischen [-syll] und [-syll]: indoiran -î-, lat und andere -a-, griech -/e/-
- */Rh1/ - gewöhnlich Dehnung, zB */gnh1-tó/ > lat (g)nâtus, gr /gnêtós/
- */h1R/ - gr /eR/
/h2/ :
- vor und nach */e/ Umfärbung von */e/ zu */a/ zB */h2ekweh2/ > lat /akwa/
- ([-syll]) */h2/ [-syll] : > /a/, /i/ zB */ph2térs/ > gr /patêr/, indoiran /pitâ/ (jew. m. Ersatzdehnung für /s/!), lat pater usw
- nach anderen Vokalen als /e/ Dehnung
/h3/ :
- Umfärbung von */e/ zu */o/
- interkonsonantisch: o
- Dehnung anderer Vokale

Merkspruch: /h1/, /h2/, /h3/ - Kehlkopf, Kahlkopf, Kohlkopf

Beispiele für die Laryngalwirkungen im Griech:
/h1/
idg */h1ésti/ gr /estí/
idg */h1ite/ gr /íte/

idg */h1urus/ gr /eurús/

idg */h1r-/ gr /er(chetai)/

idg */h1régwos/ gr /érebos/
idg */pléh1istom/ gr /pleîston/

idg */dhh1-tós/ gr /the-tós/
idg */dheh1-/ in gr /tí-thê-si
idg */dhh1s-/ in gr /thés-phatos/, /the-ós/

idg */dhh1-ént-/ gr /thént-os/

idg */gwlh1-tós/ gr /blê-tos/
idg */gnh1-tós/ gr /(kasí-)gnê-tos/
idg */n-h1gr-etos/ gr /nêgretos/

idg */gnh1-tis/ gr /génesis/

idg */dhidhh1-nt-és/ gr /tithéntos/

idg */-h1/ gr /paid-e/ Nom.Du.m.

*/h2/
idg */h2énti/ > idg */h2ánti/ gr /antí/
idg */h2ónkos/ gr /ógkos/
idg */h2enk-/ gr /agk-úlê/

idg */h2ugsontm/ gr /auxonta/
idg */h2ud-eie-/ gr /hud-eîn/

idg */h2wéh1ti/ gr /áêsi/
idg */h2ners/ > idg */h2nêr/ gr /anêr/
idg */-eh2-ei/ > idg */-ah2ai/ gr /-âi/, ion att /-êi/ (Dat.Sg.-Ausgang)

idg */h2i-h2éws-/ gr /iaú-ô/
idg */h2wés-/ gr /áes-a/

idg */teh2-/ dor /tâú-/, hom /têú-sios/
idg */bhoh2-neh2/ dor /phônâ/ att /phônê/; vgl /phêsí/ < /phâtí/

idg */h2énh1-mos/ > idg */h2áne-mos/ gr /áne-mos/
idg */ph2térs/ > idg */ph2têr/ > idg */patêr/ gr /patêr/

idg */woid-th2e/ gr /oîstha/

idg */krh2-tós/ gr /á-kratos/
idg */tlh2-tós/ dor /tlâ-tós/ ion att /tlê-tós/

idg */n-h2mert-ês/ gr /nêmertês/
idg */prh2-to-s/ dor.boiot. /prâ-to-s/ (att /prôtos/)

idg */ke-kmh2-wôs/ hom /kekmêôs/

idg */teh2-m/ > idg */tâm/ dor /tân/ att /tên/
idg */teh2-ns/ > idg */tâns/ > idg, gr /tâs/

idg */-e-h2/ > idg */-e-a/ gr usw /-â/ Nom Sg "a"-St
idg */-h2/ > idg */-a/ gr /trí-a/
idg */doru-h2/ gr /doûra/ < */dorwa/
idg */gwelh1-mn-h2/ gr /béle-mn-a/

*/h3/ :
idg */h3ékw-se-/ > idg */h3ókwse-/ gr /opse-tai/

idg */déh3-e-ti/ > idg */dóh3oti hom /dô(i)si/

idg */h3bhruH-es/ gr /ophrû-os/

idg */opi-h3kw-eh2/ gr */opîpê/ hom /parthen-opîpa/
idg */h3ekw-/ in gr /ópsetai/ und myken /opi/ > att /epí/

idg */dh3-tós/ gr /do-tós/

idg */strh3-tós/ gr /strô-tós/
idg */n-h3bhel-es-/ > myken /nôphele-a/, gr später durch "Verdoppelung" des "n-" (Negations-a!) verdeutlicht zu: /a-nôphelês/
idg */h3bhel-/ gr /óphel-os/

idg */e-h3-to/ hom /ôrto/

idg */h3okw-ih1/ > */okje/ homer /ósse/

/H/ vor /j/ :
idg */Hj/ > gr */dzj/ > */zd/ > /z/ (Zêta)
idg */Hjugóm/ gr /zugón/

Die Darstellung folgt weitgehend M.Mayrhofer, Indogemanische Grammatik, Band I, Heidelberg 1986 und H.Rix, Historische Grammatik des Griechischen, Darmstadt 1976.
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Beitragvon Clemens » Mo 9. Mai 2005, 23:11

Ich frage mich gerade, wie das Indoeuropäische wohl geklungen haben mag...:was:

Aber danke für die Zusammenstellung!
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Beitragvon rescriptor » Di 10. Mai 2005, 01:42

Das versteh ich. Zum Teil liegt das daran, dass ich hier eine so bescheurte Notation wählen muss. Insbesondere kann ich die silbentragenden l,m,n,r nicht darstellen.
Als ich Dein belustigtes Aufstöhnen vernahm, habe ich einfach mal die Seite hochgeblättert und bin zufällig zB auf "tlh2tós" gestoßen, das ja schon ganz schön schrecklich aussieht.
Nun denn: die erste Silbe ist "tlh2"; Silbenträger ist das "l", ähnlich wie "r" Silbenträger im Namen der bekannten "jugoslawischen" Insel Krk ist, das man ja "krrk" spricht, mit schön rollendem "r". - Dieses "l" wird eingerahmt von 2 Konsonanten: "t" und "h2" = "ach"-ch.
Also erhalten wir für die erste Silbe "t-l-ch", für die zweite "t-o-s", insgesamt also etwa "tllch-tós". Wenn Du das laut sprichst, wirst Du bemerken, dass Du ganz automatisch bei "-tos" die Stimme hebst: eben! Akut!
Im späteren Idg wird "l" zum reinen Konsonanten und h2 vokalisiert, und zwar, wie erläutert, zu "a": tlatós. Da hast Du bereits die dorische Form!

Ich geb ja zu, dass das alles in dieser Notation schwer zu durchschauen ist und oft unaussprechliche Ungeheuer zu entstehen scheinen ...
Doch es scheint wirklich nur so -
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Beitragvon Clemens » Di 10. Mai 2005, 17:04

Hoffentlich hat keiner gehört, wie ich "tlh2tós" vor mich hinsage...;-)

Trotzdem muss sich diese Mischung aus syllabischen Konsonanten, Frikativen (unsere Hs sind ja Frikative, oder?) und eigenartigen Konsonantenverbindungen wohl recht interessant angehört haben.

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Beitragvon rescriptor » Do 12. Mai 2005, 01:36

:D

Tja, Idg selbst und eigentlich alle seine Tochtersprachen, auch die vokalreicheren wie zB Latein (und Familie) sind, verglichen mit vielen anderen Sprachen, sehr konsonantenreich. Wenn ich in der idg Literatur auf tocharische Wörter stoße (eine ausgestorbene idg Sprache aus Südwestchina), mache ich schon seit Langem keinen Versuch mehr, diese oft ganz vokallosen Konsonantenanhäufungen zu sprechen (wahrscheinlich gäbe es in der Aussprache dann schon auch Vokale! ich hab aber keine Ahnung).

Dagegen: Hawaiianisch hat, laut dem mir vorliegenden Wörterbuch, 28 Phoneme (die mit 12(!!!) Buchstaben und 2 diakritischen Zeichen ausgedrückt werden). Von diesen 28 Phonemen sind 12 Vokale, 8 Diphthonge und 1 Halbvokal. Ganze 7 sind Konsonanten!
Auch die Sprachen der chinesischen Gruppe scheinen mir wesentlich vokalischer zu sein - obwohl ich davon keine Ahnung habe.

Aber is nett, wenn ich mir so vorstelle, wie du "tlh2tós" vor dich hinsprichst...
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