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Beitragvon Clemens » Sa 14. Nov 2009, 22:42

Χαίρετε!

Ich habe eine Frage zu einem Satz aus der Nikomachischen Ethik:

καὶ νέοις δὲ πρὸς τὸ ἀναμάρτητον καὶ πρεσβυτέροις πρὸς θεραπείαν καὶ τὸ ἐλλεῖπον τῆς πράξεως δι' ἀσθένειαν βοηθείας, τοῖς τ'ἐν ἀκμῇ πρὸς τὰς καλὰς πράξεις· "σύν τε δύ'ἐρχομένω·" καὶ γὰρ νοῆσαι καὶ πρᾶξαι δυνατώτεροι.

Der Inhalt ist soweit klar, aber die genaue Konstruktion nicht - ich nehme an, βοηθείας ist ein Genetiv. Wäre das dann eine Art gen. part. bzw. was ist sonst hier Subjekt und Prädikat?
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Re: EN 1155a

Beitragvon Domingo » So 15. Nov 2009, 01:23

Es kann mE nur Genetiv in Abhängigkeit von astheneian sein. Es wäre dann Gen. subj.: "die Schwäche der Hilfeleistung" (was auch immer genau gemeint ist).
ἐγὼ μὲν ὁ αὐτός εἰμι, ὑμεῖς δὲ μεταβάλλετε.
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Re: EN 1155a

Beitragvon Clemens » So 15. Nov 2009, 12:28

Danke für deine Antwort, ich habe mich inzwischen zu der (anscheinend auch textkritisch nicht ganz unproblematischen Stelle) belehren lassen, dass es eher ein Akk. Pl. ist, der die Konstruktion des vorangegangenen Satzes, den ich wohl besser hätte mitzitieren sollen, fortführt:

ἐν πενίᾳ τε καὶ ταῖς λοιπαῖς δυστυχίαις μόνην οἴονται καταφυγὴν εἶναι τοὺς φίλους. καὶ νέοις δὲ πρὸς τὸ ἀναμάρτητον καὶ πρεσβυτέροις πρὸς θεραπείαν καὶ τὸ ἐλλεῖπον τῆς πράξεως δι' ἀσθένειαν βοηθείας, τοῖς τ' ἐν ἀκμῇ πρὸς τὰς καλὰς πράξεις· "σύν τε δύ' ἐρχομένω·" καὶ γὰρ νοῆσαι καὶ πρᾶξαι δυνατώτεροι.

τοὺς φίλους οἴονται βοηθείας εἶναι πρὸς... ergibt keinen schlechten Sinn, wie mir scheint.
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Re: EN 1155a

Beitragvon Domingo » So 15. Nov 2009, 12:37

Dann müsste man besser die Interpunktion ändern: Kein Punkt nach philous. So wäre der Satz auch bei Akk.-Interpretation verständlich.
ἐγὼ μὲν ὁ αὐτός εἰμι, ὑμεῖς δὲ μεταβάλλετε.
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Re: EN 1155a

Beitragvon consus » So 15. Nov 2009, 12:46

Servus, Clemens.
Sehe es auch so; βοήθεια πρός τινα ist eine übliche Wortverbindung, und eine Brachylogie wie hier die Fortsetzung des AcI des vorangehenden Satzes ist in Aristoteles‘ Skripten nichts Ungewöhnliches.
Der gewandte Übersetzer und Kommentator Franz Dirlmeyer (Aristoteles, Nikomachische Ethik, 3. Aufl. Berlin 1964, S. 170) geht mit der Brachylogie folgendermaßen um:
Und in Armut und sonstigem Mißgeschick gelten Freunde als die einzige Zuflucht. Freundschaft ist Hilfe: den Jüngling bewahrt sie vor Irrtum, dem Alter bietet sie Pflege und Ersatz für die aus der Schwäche abnehmende Leistung, den Mann auf der Höhe des Lebens spornt sie zu edlen Taten. „Zwei miteinander voran“: dann gewinnt das Erkennen wie das Handeln an Kraft.
Der Codex Parisiensis 1854 bietet die Lesart καὶ νέοις δεῖ … βοηθείας: δεῖ τινί τινος. Damit wäre der Genetiv „gerettet“.
Schönen Sonntag!
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Re: EN 1155a

Beitragvon Clemens » So 15. Nov 2009, 14:26

Domingo hat geschrieben:Dann müsste man besser die Interpunktion ändern: Kein Punkt nach philous. So wäre der Satz auch bei Akk.-Interpretation verständlich.

Ja, da hast du schon recht, aber ich habe die Interpunktion so übernommen, wie sie mir vorliegt.

consus hat geschrieben:Servus, Clemens.
Sehe es auch so; βοήθεια πρός τινα ist eine übliche Wortverbindung, und eine Brachylogie wie hier die Fortsetzung des AcI des vorangehenden Satzes ist in Aristoteles‘ Skripten nichts Ungewöhnliches.
Der gewandte Übersetzer und Kommentator Franz Dirlmeyer (Aristoteles, Nikomachische Ethik, 3. Aufl. Berlin 1964, S. 170) geht mit der Brachylogie folgendermaßen um:
Und in Armut und sonstigem Mißgeschick gelten Freunde als die einzige Zuflucht. Freundschaft ist Hilfe: den Jüngling bewahrt sie vor Irrtum, dem Alter bietet sie Pflege und Ersatz für die aus der Schwäche abnehmende Leistung, den Mann auf der Höhe des Lebens spornt sie zu edlen Taten. „Zwei miteinander voran“: dann gewinnt das Erkennen wie das Handeln an Kraft.
Der Codex Parisiensis 1854 bietet die Lesart καὶ νέοις δεῖ … βοηθείας: δεῖ τινί τινος. Damit wäre der Genetiv „gerettet“.
Schönen Sonntag!


Danke auch dir, die varia lectio ist interessant - ich habe leider keinen Apparat hier. Dass eine solche verkürzte Ausdrucksweise bei Aristoteles häufiger ist, ist auch recht wertvoll zu wissen, da ich vorher noch nie mit ihm zu tun hatte.
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Re: EN 1155a

Beitragvon consus » So 15. Nov 2009, 15:22

Addendum.
Die EN gehört zu den sog. esoterischen Schriften des Aristoteles, die für "den internen Dienstgebrauch" des Peripatos, also im Unterschied zu den weitgehend verloren gegangenen exoterischen Werken (z. B. Protreptikos), nicht für das breite Publikum vorgesehen waren. Daher die stilistischen Eigentümlichkeiten wie Brachylogien u. dgl.
τοὺς φίλους. καὶ νέοις] Das ist auch die Interpunktion in der ed. Oxon. (ed. I. Bywater 1962).
:book:
Zuletzt geändert von consus am So 15. Nov 2009, 18:06, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: EN 1155a

Beitragvon Domingo » So 15. Nov 2009, 15:58

consus hat geschrieben:τοὺς φίλους. καὶ νέοις] Das ist auch die Interpunktion in der ed. Oxon. (ed. I. Bywater 1962).


Selbstverständlich ist die Interpunktion größtenteils vom Geschmack des Herausgebers abhängig. Andererseits erlaubt sie oft Rückschlüsse auf dessen Textverständnis. Ich gehe aber davon aus, dass Herr Bywater nirgendwo einen Kommentar hinterlassen hat...

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