Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosophie

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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosophie

Beitragvon RM » Fr 25. Dez 2009, 13:34

... und die Araber haben es zu einem großen Teil von den Griechen übernommen. Dennoch hat sich in den arabisch-islamischen Regionen die quantitative Naturwissenschaft - insbesondere die Physik - nicht in derselben Weise entwickelt, die wir in den europäisch geprägten Zivilisationen seit dem 16. Jhdt. beobachten.

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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosophie

Beitragvon Domingo » Fr 25. Dez 2009, 13:40

Es ist vollkommen klar, dass ab 1500 die Europäer die Nase vorn hatten. Warum, ist mW nicht geklärt, könnte aber eher mit geschichtlichen Gegebenheiten zu tun haben als mit besonderer Originalität auf europäisher Seite. (Manche machen für dne Niedergang der Wiss. im Osten den radikalen Islam verantwortlich...)
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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosophie

Beitragvon RM » Fr 25. Dez 2009, 14:26

Ich glaube, daß zwei der Haupttriebfedern - wenn auch nicht ganz explizit - die militärische Komponente und die eher demokratisch orientierten Gesellschaftsformen waren, die sich am Anfang vor allem im Aufblühen der Bildungsinstitutionen widerspiegelten. Höhere Bildung und Wissenschaft war zwar nur einem Teil der Bevölkerung wirklich zugänglich, aber die Akten des Prozesses gegen Galilei zeigen u.a. auch den Unmut der Kirche darüber, daß Galilei einen Teil seiner Schriften in der Volkssprache verfasste und seine Thesen durchaus in der Bevölkerung diskutiert wurden, bevor sie von den übrigen Gelehrten verifiziert werden konnten. Vielleicht gilt aber für Europa einfach der alte Spruch "Not macht erfinderisch" :wink:

Tja, aber auch im Arabischen gibt es einen bestimmten Artikel, wie uns die Wörter "Alchemie" und "Algebra" lehren.

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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosophie

Beitragvon Domingo » Fr 25. Dez 2009, 17:35

RM hat geschrieben:Tja, aber auch im Arabischen gibt es einen bestimmten Artikel, wie uns die Wörter "Alchemie" und "Algebra" lehren.


Also liegt es e ben nicht am Artikel, meine Rede :prof2:
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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosophie

Beitragvon Domingo » Fr 25. Dez 2009, 17:35

P.S. Frohe Weihnachten! (zu spät, ich weiß...)
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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosophie

Beitragvon philistion » Fr 25. Dez 2009, 17:46

Sieht man nun von den Artikeln ab, bleiben also nur die Partizipien (ὤν, οῦσα, ὄν) übrig?
Fällt sonst noch jemandem ein entscheidendes Merkmal ein, inwiefern es sich von "modernen" Sprachen unterscheidet?
Es geht v.a. um Konstruktionen die heute möglich, damals aber nicht möglich waren, was könnte hierbei gemeint sein?
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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosophie

Beitragvon RM » Fr 25. Dez 2009, 22:48

Genau: Frohe Weihnachten!

Ich glaube nicht, daß es an den Partizipien liegt, denn mir scheint, daß auch hier die Initiative eher von den Philosophen als von den Partizipien ausging.

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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosophie

Beitragvon philistion » Mo 28. Dez 2009, 16:07

@RM: Darf man fragen wie du zu dieser Ansicht gekommen bist? Gibt es denn Literatur zu diesem Thema wo in diese Richtung argumentiert wird?

Ich denke, dass solche Abläufe immer bidirektional erfolgen, also dass sowohl Philosophie Einfluss auf die Sprache als auch die Sprache großen Einfluss auf die Philosophie hat.
Belegen kann ich das aber nicht, ist nur ein "Bauchgefühl".
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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosophie

Beitragvon philistion » Di 29. Dez 2009, 14:28

Ich habe eben eine Antwort von Prof. Vossenkuhl auf meine Frage bekommen:
Lieber Herr ...,
bevor das Jahr endet, will ich meine Schreibschulden erledigen. Danke sehr für Ihr Interesse an der Denker-Reihe. Dass Sie das Graecum machen wollen, ist sehr gut und sicher eine große Hilfe beim Studium der griechischen Philosophie. Dass es aber etwas gibt, was griechisch nicht gedacht bzw. gesagt werden kann oder konnte (außer dem einen oder anderen Farbwort), kann ich nicht nachvollziehen. Heidegger, den Sie erwähnen, hat ja gerade gemeint, dass das Wort "on" in der frühen Verwendung noch die Bedeutungen von Sein und Seiendem ungetrennt enthält. Das wäre für das Seinsverständnis zumindest nach Heidegger wohl ein großer Vorteil. Wo ich gerade bin, habe ich meine Quellen nicht zur Hand. Sie finden aber zu Heideggers spätem, von den Vorsokratikern Parmenides und Heraklit angeregtes Seinsverständnis genügend Hinweise in dessen Vorlesungen (Heidegger Gesamtausgabe).
Leider sind keine weiteren Sendungen mit meinem Freund Harald Lesch in BRalpha geplant. Er ist seit einiger Zeit fest beim ZDF engagiert.
Alles Gute im neuen Jahr, viel Freude an der Philosophie!
Ihr
Wilhelm Vossenkuhl

Da habe ich mich wohl getäuscht, es scheint wohl nur um das Wort "on" gegangen zu sein.
Kennt sich jemand mit den Vorlesungen von Heidegger aus bzw. kann mir Hinweise geben in welchem dieser vielen Einzelvorlesungen über dies was zu finden ist?

Vielleicht in diesem hier? http://www.amazon.de/Gesamtausgabe-3-Ab ... 692&sr=8-1
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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosoph

Beitragvon Ioscius » Di 31. Jul 2012, 17:01

consus hat geschrieben:Man denke nur an das berühmte aristotelische τὸ τί ἦν εἶναι, eine komplexe Begriffsbildung mit Hilfe des Artikels (in der Art allerdings z. T. auch im Deutschen möglich).


KÖnntest du mal eine wörtliche, erklärende Übersetzung von der Phrase geben?

Das meiste im Internet ist diesbezüglich nur auf Englisch..
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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosoph

Beitragvon Prudentius » Do 2. Aug 2012, 08:07

Wenn ich diese Ansicht in einen größeren Rahmen stellen soll, fällt mir die aufklärerische Kritik ein, Positivismus, Rationalismus, Historismus: man rechnet nicht mit einem originären Denkansatz in der griechischen Philosophie, sondern man geht aus von einem Grammatikkorsett, das die Philosophie in bestimmte Bahnen gedrängt habe.

Es ist vergleichbar, wie die Marxisten die Philosophie als Überbau der Gegensätze in der Klassengesellschaft gesehen haben, oder gar Freud: er sieht den Philosophen als einen, der keine Frau gefunden hat und stattdessen die ganze Welt umarmt (vielleicht hat er an Nietzsche gedacht); Reduktionismus eben, im Sinne von "Die griechische Philosophie ist nichts als das Ergebnis der Vorgaben der griechischen Grammatik",

Gruß P. :)
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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosoph

Beitragvon RM » Do 2. Aug 2012, 08:34

Dass die griechische Philosophie durch die Grammatik in bestimmte Richtungen gelenkt worden sei, ist Unsinn. Die Initiative ging immer von den Menschen - in diesem Fall von den Philosophen - aus, die die sprachlichen Mittel entwickelt haben, die dann als Ausdrucksmittel in der Philosophie verwendet wurden.

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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosoph

Beitragvon Prudentius » Fr 3. Aug 2012, 08:21

RM hat geschrieben: "
Gerade an dieser Stelle manifestiert sich der enorme Unterschied griechischer und römischer Mentalität.


Interessant ist auch noch, dass sich im weiteren Verlauf die Rollen vertauscht haben, die griechische Philosophie endete ja mit der Schließung der heidnischen Philosophenschulen durch Kaiser Justinian im 6. Jh., während im Westen, im lateinischen Bereich, eine große Dynamik an Weiterentwicklung zu beobachten ist, bis hin zur Neuzeit. Schon der griechische Neuplatonismus wurde durch Plotin in Rom begründet.
Trotzdem hat der lateinische Westen bis zuletzt vom griechischen Vermächtnis gezehrt, alle Philosophien haben ja griechische Namen, Aristotelismus, (Neu-)Platonismus, Skeptizismus usw.

Die Griechen habe zwar die Naturwissenschaften besonders entwickelt, aber für sie war das zugleich Theologie, besonders deutlich sprechen es die Stoiker aus; vgl. noch Spinoza: "Deus sive natura".
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Re: Einfluss der griechischen Grammatik auf die Philosophie

Beitragvon consus » Di 2. Okt 2012, 17:09

Yoshi08 hat geschrieben:... τὸ τί ἦν εἶναι... Könntest du mal eine wörtliche, erklärende Übersetzung von der Phrase geben? ...

τὸ /τί ἦν εἶναι/] das /was-es-war-zu-sein/. Zur Erklärung u. a. http://www.claus-beisbart.de/teaching/wi2010/mph/mph7.pdf, Seite 5f.
:book:
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Re: Einfluss der altgriechischen Grammatik auf die Philosoph

Beitragvon philistion » Fr 19. Okt 2012, 23:31

Sehr interessant. Dass die griechische Philosophie in ein bestimmtes Korsett gezwängt wurde, klingt abwertend, ist es aber trotzdem Wert, diskutiert zu werden. Es gibt ja auch in der neueren Linguistik die Sapir-Whorf Hypothese, die u.a. dazu herangezogen wird, um die gendergerechte Schreibweise zu begründen. Infos zu jener Hypothese, siehe Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese

Es war nicht meine Absicht, die Originalität griechischer Philosophie zu relativieren oder einzuschränken, es ist aber doch interessant, ob und inwiefern sich im Allgemeinen durch sprachliche Strukturen unterschiedliche Denkansätze manifestieren. Schließlich wird auch vermutet, dass ohne Sprache kein oder nur eher primitives, bildhaftes Denken möglich sei. Belege habe ich jedoch für diese Aussage nicht, vielleicht weiß jemand von euch noch mehr dazu?

Umgekehrt ist es aber auch schlüssig, dass die Philosophie wieder große Rückwirkung auf die Sprache selbst hat, v.a. auch deshalb weil Begriffe analysiert, geprägt, umgedeutet oder ganz neu geschaffen werden.

Ich habe damals (ist ja nun schon 3 Jahre her) irgendwo aufgeschnappt, dass ein mit dem Griechischen bewanderter, einen Zusammenhang zwischen einem Element der griechischen Philosophie und einer Eigenart der griechischen Sprache herstellte. Vielleicht habe ich es aber auch völlig aus dem Kontext gezogen und es war gar nicht bei Lesch und Vossenkuhl, sondern evt. bei Gadamers Reihe zur griechischen Philosophie, die auch mal im TV lief.

Fallen euch griechische Konstruktionen ein, die einzigartig griechisch sind, oder einzigartige Konstruktionen anderer Sprachen, die im Griechischen nicht zu finden sind?
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