Prädikatsnomen mit Artikel

[publiovidius]

Guten Abend,
es geht wieder einmal um eine deutsch-griechische Übersetzung. Folgender Satz:

Die Frau eines Feldherrn antwortete auf die Frage, warum sie keinen Schmuck trage: "Mein Schmuck ist meines Mannes Tapferkeit."

ergibt laut Lösung:

Ἡ στρατηγοῦ τινος γυνὴ ἐρωτηθεῖσα, διὰ τί κόσμον οὐ φέρει (φέροι), ἀπεκρίνατο· "Ὁ ἐμὸς κόσμος ἡ τοῦ ἀνδρὸς μου ἀρετή ἐστιν."

Zunächst habe ich mich gewundert, warum ἀρετή den Artikel erhält, obwohl es Prädikatsnomen ist. Ich glaube, auf eine Erklärung gestoßen zu sein, möchte das aber gerne bei euch absichern. Bornemann/Risch schreiben in ihrer griechischen Grammatik: "Der Artikel kann aber gesetzt werden, um den prädikativen Satzteil als ganz bestimmt oder allgemein bekannt hervorzuheben(...)". Das würde an sich gut passen, denn wenn die Tapferkeit ihres Mannes ihr Schmuck sein soll, müssen diesen Schmuck natürlich auch andere wahrnehmen (und es darf nicht nur ihr bekannt sein).

Euren Meinungen und Anmerkungen sehe ich gespannt - wie ein Regenwu... äh Flitzebogen - entgegen.

[Medicus domesticus]

Im ersten Teil steht auch der Artikel und weist auf etwas bestimmtes hin: Ὁ ἐμὸς κόσμος ...
Ich denke, dass zu deiner Frage auch Menge Rep. § 3 und 4 ganz gut passt.

[Prudentius]

"Mein Schmuck ist meines Mannes Tapferkeit."

Schauen wir doch einmal über den Zaun zu unserer Nachbardisziplin Logik hinein! Aristoteles unterscheidet beim "Sein" drei verschiedene Bedeutungen: existieren, Kopula und Identitätsaussage; das dritte haben wir hier, es werden Subjekt und Prädikat gleichgesetzt, das "ist" hat die Bedeutung des Gleichheitszeichens, wie in der Mathematik; der Artikelgebrauch ist im Gr. genau wie im D., auch wir gebrauchen beim Identitätsurteil den bestimmten Artikel: "Die Venus ist der Abendstern", und bei der Kopula den unbestimmten Artikel: "Die Venus ist ein Planet".

Um den Unterschied von Identität und Kopula noch zu verdeutlichen: bei der Identität kann man Subjekt und Prädikat vertauschen, bei der Kopula nicht: man kann auch sagen: "Der Abendstern ist die Venus", aber nicht "Ein Planet ist die Venus".

Noch eines ist interessant: bei der Identität hat man zwei Namen für eine Sache: "mein Schmuck" und "meines Mannes Tapferkeit", die zwei sind eines.

P.

[Domingo]

Koenntest Du uns sagen, woher der Satz entnommen ist? Ist ja offesichtlich "Merke Eigenbau" , aber ich nehme an, er basiert, vielleicht in sehr lockerer Weise, auf einem tatsaechlichen Text eines antiken Autors

Domingo

[publiovidius]

Ich danke euch für eure Antworten! Prudentius, gehe ich richtig in der Annahme, dass man bei der Identität den Begriff Prädikat auch auf das zugehörige Nomen (z.B. die Venus ist der Abendsternd) ausdehnt?

[publiovidius]

Hallo, Domingo. Deinen Eintrag habe ich leider überlesen. Ich habe den Satz aus der Übung zu Lektion 79 des Online-Sprachkurses von Egon Gottwein http://www.gottwein.de/grueb/gr000.php. Bisher habe ich einige Sätze (etwa bei Xenophon) wiedergefunden. Im luftleeren Raum wird der Kurs wohl nicht entstanden sein ^^.
Übrigens trete ich hiermit den Beweis an, dass es doch Leute gibt, die "länger als bis Lektion 10 durchhalten". Ein Nutzer dieses Forums stellte dies nämlich seinerzeit in Frage.

[Prudentius]

Hallo Publiovidius,

die Venus ist der Abendstern

ja, so ist es, das Prädikatsnomen gehört zum Prädikat, wie ja auch schon der Name sagt,

Gruß P.

[publiovidius]

Perfekt, vielen Dank.