Bibelgriechisch an Unis

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Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon lykaina » Fr 13. Jan 2012, 15:56

Ich muss jetzt mal in die Runde fragen, und hoffe, dass es vielleicht Leute hier gibt, die von Dozentenseite einige Eindrücke von anderen Unis liefern können.

Ich unterrichte (privat!) normalerweise hauptsächlich Studenten, die sich aufs staatliche Graecum oder Latinum vorbereiten, habe in letzter Zeit aber auch vermehrt Schüler, die eine uni-interne Prüfung über neutestamentliches Griechisch ablegen müssen.

Ich sage nun absichtlich nicht, an welcher Uni, da ich den/die entsprechenden Dozenten nicht diskreditieren möchte, aber ich bin momentan etwas fassunglos über das hier vorliegende Konzept:

Innerhalb eines Semesters, d.h. von Oktober bis Januar, sollen die Studenten die Grundlagen der (koine-) griechischen Grammatik erlernen, so dass sie in der Abschlussklausur einen Evangelientext von 120-150 Wörtern übersetzen können. Unterrichtsgrundlage ist ein miserables Skript, das anscheinend von einem ehemaligen Dozenten erstellt wurde, da der aktuelle Dozent sich nicht einmal darin auskennt.
Im Kurs wurde offensichtlich nur die Formenlehre im Schnelldurchgang durchexerziert, Fragen nicht beantwortet, Syntax kaum erklärt, das Übersetzen sollen die Studenten selbständig üben. Als Probeklausuren wurde ihnen ein Textsammelsurium von wechselndem Niveau in die Hand gedrückt, aus dem nicht systematisch ersichtlich ist, welche grammatischen Kenntnisse genau erwartet werden und was in der Klausur als Hilfe angegeben wird.
Auch aus dem Skript ist nicht immer ersichtlich, was nun gekonnt werden soll (z.B. Übersicht über Konditionalsätze einschließlich Optativ und Konjunktiv, diese beiden Modi waren aber nie Unterrichtsstoff).

Vernünftige Grammatik- oder Lernbücher (wie z.B. "Bibelgriechisch leicht gemacht") wurden nie auch nur erwähnt.

Wohlgemerkt, dies sind zum größten Teil Studenten, die Religion auf Lehramt studieren, keine Altphilologen oder Historiker.

Meine Frage: Ist so ein Konzept normal? Läuft das an anderen Unis auch so? Sollte da nicht vielleicht ein Semester mehr zur Verfügung stehen, oder zumindest ein Vertiefungskurs in der vorlesungsfreien Zeit?
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon CP » So 15. Jan 2012, 13:29

lykaina hat geschrieben:Meine Frage: Ist so ein Konzept normal? Läuft das an anderen Unis auch so? Sollte da nicht vielleicht ein Semester mehr zur Verfügung stehen, oder zumindest ein Vertiefungskurs in der vorlesungsfreien Zeit?


Was ich bisher so am Rande (südwestdeutsche Uni) mitkriegte, scheint es zumindest keine Ausnahme zu sein. Allerdings lachten wir als Schüler eines humanistischen Gymnasiums schon in den siebziger Jahren darüber, was Theologiestudenten im Griechischen so abgefordert wurde.

Ciao!
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon lykaina » So 15. Jan 2012, 20:17

Na ja, so zum Lachen finde ich das nicht... ich habe auch Griechisch in der Schule gelernt, und im ersten Halbjahr (wobei ein Uni-Semester noch wesentlich weniger ist als ein Schulhalbjahr!) sind wir auch nicht über die Schrift und die ersten paar Lektionen im Lehrbuch hinausgekommen. Außerdem hatten wir ein sehr ordentliches Lehrbuch und einen gut strukturierten Unterricht.
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon ThomasVulpius » So 29. Jul 2012, 15:06

An der Uni ist der Student für sich selbst verantwortlich.
Also: Eine Kurzgrammatik Langenscheidt Altgriechisch kaufen und die Formen auswendig lernen.
खड्गिनी शूलिनी घोरा गदिनी चक्रिणी तथा ॥ ८० ॥

Armed with sword, spear, club, discus conch, bow, arrows, slings and mace You are terrible. ॥ 80 ॥

शङ्खिनी चापिनी बाणभुशुण्डीपरिघायुधा ।

सौम्या सौम्यतराशेषसौम्येभ्यस्त्वतिसुन्दरी ॥ ८१ ॥

And at the same time pleasing, You are more pleasing than all the pleasing things and exceedingly beautiful. ॥ 81 ॥

देवीमाहात्म्यम् (Devī Māhātmyam, Glory of the Goddess), Chapter 1
("Gloria deae", caput I)
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon ThomasVulpius » Sa 4. Aug 2012, 11:57

Ich habe schon Studenten der Theologie in der Nachhilfe unterrichtet, die sich Koine-Griechisch reinziehen mussten.

Es gibt spezielle Lehrbücher für Bibelgriechisch, die man anwenden sollte, wenn der Student das NT übersetzen können soll.

Einem Theologiestudenten mit attischer Prosa (Xenophon, Platon, Redner usw.) zu kommen, ist mit Kanonen auf Spatzen geschossen, weil die Ausdrucksweise des NT nicht griechisch, sondern aramäisch ist.

Wenn ein Redner in Athen sich dieser Hauptsatzaneinanderreihung (und dann und dann und dann) befleißigt hätte, hätte ihn das Volk ausgebuht und rausgeworfen.

Und es erging das Wort des Herrn an den Propheten Mosche (Moses) zu sagen:
"Gehe hin und sage in den Ohren des Phararo:
So spricht der Herr der Heerscharen: Lass´ mein Volk frei!"
Und Mosche ging hin und sagte in den Ohren des Pharao zu sagen:
"So spricht der Herr der Heerscharen: Lass´ mein Volk frei!"
Doch der Pharao blieb verstockt.
...
Und das Ganze dann siebenmal hintereinander, weil es ja sieben Plagen gibt!

Daher pflege ich das NT in hebräischer Übersetzung zu lesen. Dann passt der Stil.

Übrigens wundere ich mich, dass die Studenten meinen, an der Uni würde ihnen alles vorgekaut - wie in der Schule! Es gibt Semesterferien! Da kann man die ganzen Formen des Altgriechischen auswendig lernen. Wenn der Student das nicht kann oder nicht will oder beides, ist er selber Schuld. Die Uni ist kein Kindergarten, sondern eine Bildungsstätte für Erwachsene mit hohem Leistungsdruck.
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon ThomasVulpius » Sa 4. Aug 2012, 12:06

Zu behaupten, der Dozent kenne sich mit dem Unterrichtsstoff gar nicht aus, halte ich für ziemlich starken Tobak.

Wie will der Student denn beurteilen, wie gut der Lektor Altgriechisch kann?

Altgriechisch ist der Ferrari unter den alten Sprachen. Man kann ja nicht irgendeinen Dorfdeppen losschicken und den Altgriechisch unterrichten lassen. Das wäre ungefähr so, als wenn man einen Dachdecker an einer Herztransplantation teilnehmen ließe.

Wenn der Student meint, der Lektor könne das völlig unregelmäßge Altgriechisch in seinen Kopf "hineinhexen", dann liegt er aber hundertprozentig falsch.

Das ist die bekannte Schüler-Attitüde, dass der Lehrer Schuld sei, wenn der Schüler den Stoff nicht kapiert. Wenn man aber die 18 erstmal erreicht hat, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man kein Schüler mehr ist. Man kann ja auch nicht nach dem Abitur eine Lehre als Bankkaufmann/-frau beginnen und dann dem Ausbilder erklären, dass man die Zinsrechnung leider nicht kapiert. (Dann kann man seine sieben Sachen packen und sich einen anderen Ausbildungsberuf suchen.)
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon ThomasVulpius » Sa 4. Aug 2012, 12:08

CP hat geschrieben:
Was ich bisher so am Rande (südwestdeutsche Uni) mitkriegte, scheint es zumindest keine Ausnahme zu sein. Allerdings lachten wir als Schüler eines humanistischen Gymnasiums schon in den siebziger Jahren darüber, was Theologiestudenten im Griechischen so abgefordert wurde.


Wer als Theologiestudent meint, er könne Altgriechisch, der kann ja mal versuchen Platon zu übersetzen.
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon ThomasVulpius » Sa 4. Aug 2012, 12:17

lykaina hat geschrieben:Im Kurs wurde offensichtlich nur die Formenlehre im Schnelldurchgang durchexerziert...
Übersicht über Konditionalsätze einschließlich Optativ und Konjunktiv, diese beiden Modi waren aber nie Unterrichtsstoff).
Wohlgemerkt, dies sind zum größten Teil Studenten, die Religion auf Lehramt studieren, keine Altphilologen oder Historiker.


Dass die Formenlehre im Schnelldurchgang durchexerziert wird, ist ja wohl "voll normal". Will man einem Theologiestunden etwa mit sprachwissenschaftlichen Erklärungen nach Hans Zinsmeisters griechischer Latu- und Formenlehre kommen?

Lateinstudenten müssen sich richtig Griechisch reinziehen und ein Graecum mit attischer Prosa machen.

Historiker gehen "schreiend laufen", wenn sie das Wort "Latein" nur hören - Altgriechisch können sie überhaupt nicht. - Und das, obwohl man nicht alle Perioden der römischen Geschichte durch lateinische Quellen belegen kann - aber durch griechische! Und das heißt Polybios, Cassius Dio und Plutarch als Konkurrenzschrift zu Sueton.

Ich verwehre mich gegen diese Attitüde: "Wie kommen die eigentlich dazu von mir zu verlangen, dass ich Altgriechisch lernen soll?" Wem´s nicht passt, der kann ja bei MacDonalds Hamburgerverkäufer werden. Soweit ich weiß, sind Studenten der Kunst des Lesens mächtig. Man könnte ich auch die Formen des Konjunktivs und des Optativs einfach auswendig lernen und dann mal in der Syntax nachgucken, welche Funktionen diese beide Modi haben. Das ist doch keine Geheimwissenschaft! Wenn die im Vivarium Novum altgriechisch sprechen, dann kann man ja auch mal von einem Studenten verlangen, dass er ein bisschen Konie-Griechisch lernen soll.

Sic transit gloria mundi!
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon Luca » Sa 4. Aug 2012, 13:18

Ich habe mir sagen lassen, dass Dozent etwas mit docere zu tun haben soll.
Welchen Nutzen bringen Dozenten mit ihrem Wissen, denen offensichtliche pädagogisch-didaktische Lücken zu eigen sind.

Manchen fehlt tatsächlich die Fähigkeit, ihr Wissen besser zu vermitteln, andere wollen sich schlicht Arbeit ersparen und verstecken sich hinter der Aussage, dass die Uni eben keine Schule mehr sei.

Mit oben geforderter Verfahrensweise lasst uns die sogenannten Dozenten abschaffen und alle Themen im Selbststudium aufgeben - Literatur gibt es ja zur Genüge...
Zuletzt geändert von Luca am Sa 4. Aug 2012, 14:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 4. Aug 2012, 13:56

Luca hat geschrieben:Welchen Nutzen bringen Dozenten mit ihrem Wissen, denen offensichtliche pädagogisch-didaktische Lücken zu eigen sind..


Genau das ist doch der Punkt! Die Universität besteht aus Forschung und Lehre, auch wenn das manche Dozenten nicht sehen wollen. Ich kann mich aus dem Medizinstudium erinnern, dass es grotenschlechte Dozenten gab, die vielleicht viel wissen, aber es nicht vermitteln können. Genauso gilt das auch für Griechisch an der Uni. Es ist die verdammte Pflicht eines Instituts einen einigermaßen guten Dozenten und ein entsprechendes Kurskonzept auf die Beine zu stellen!! Klar zählt in jedem Studium die Eigeniniative, aber das ist kein Freibrief für Dozenten, schlechte, unmögliche Kurse zu halten. Gerade im angelsächsischen Bereich zeigt sich, dass es ganz anders gehen kann. (J.Coderch et al.). Dort werden Dozenten auch von den Studenten bewertet, was ihre didaktische Qualität betrifft.
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon Luca » Sa 4. Aug 2012, 14:04

Medicus domesticus hat geschrieben:Genau das ist doch der Punkt! Die Universität besteht aus Forschung und Lehre, auch wenn das manche Dozenten nicht sehen wollen. Ich kann mich aus dem Medizinstudium erinnern, dass es grotenschlechte Dozenten gab, die vielleicht viel wissen, aber es nicht vermitteln können. Genauso gilt das auch für Griechisch an der Uni. Es ist die verdammte Pflicht eines Instituts einen einigermaßen guten Dozenten und ein entsprechendes Kurskonzept auf die Beine zu stellen!! Klar zählt in jedem Studium die Eigeniniative, aber das ist kein Freibrief für Dozenten, schlechte, unmögliche Kurse zu halten. Gerade im angelsächsischen Bereich zeigt sich, dass es ganz anders gehen kann. (J.Coderch et al.). Dort werden Dozenten auch von den Studenten bewertet, was ihre didaktische Qualität betrifft.

An dieser Stelle hätte ich den DANKE-BUTTON geklopft...
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon ThomasVulpius » Sa 4. Aug 2012, 16:01

Τοῦτο ἤδη πάλαι δῆλον ἐγένετο, ὅτι τὸ μανϑάνειν χρὴ γίγνεσϑαι ἀμφοτέρων ϐουλομένων τοῦ τε διδάσϰοντος ϰαὶ τοῦ μανϑάνοντος.
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon Jiorgos » So 7. Jul 2013, 22:21

Τοῦτο ἤδη πάλαι δῆλον ἐγένετο, ὅτι τὸ μανϑάνειν χρὴ γίγνεσϑαι ἀμφοτέρων ϐουλομένων τοῦ τε διδάσϰοντος ϰαὶ τοῦ μανϑάνοντος

soll dies übersetzt werden? Dann so lautet die Übersetzung - meiner Meinung nach:
Dies ist bereits seit damals (πάλαι= aus der alten Zeit) offensichtlich geworden, dass das Lernen muss passieren / geschehen / erfolgen, indem beide (Seiten) dies wollen, sowohl die Lehrer (der jenige der lehrt) als auch der Schüler (der jenige der lernt)
D.h. den Willen zum Lernen sollten beide haben, der Lehrer und die Schüler.
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Re: Bibelgriechisch an Unis

Beitragvon Moritz588 » Mi 4. Dez 2013, 10:48

Hallo,

hatte ich damals während meines Studiums einen Kurs gehabt :suche:
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