Frage zur 2 Formen des Konjunktivs in Platons Politeia

Das Forum für professionelle Gräzisten und Studenten der Griechischen Philologie

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Frage zur 2 Formen des Konjunktivs in Platons Politeia

Beitragvon Andreas85 » Fr 11. Mai 2012, 12:51

Hallo zusammen, ich bin gerade dabei mir das erste Buch der Politeia zu erschließen und lasse gerade alle Konjunktiv/Optativformen in ihrem jeweiligen Kontext Revue passieren. Dabei sind mir bisher zwei Sätze aufgefallen, die ich zwar vom Sinn her so eingermaßen verstehe, bei denen mir aber die Rolle des Konjunktivs grammatisch nicht klar ist.

Beide finden sich auf Stephanus-Seite [330]; meinen Vorschlag für eine mögliche Übersetzung findet sich darunter.

1)

ἐγὼ δὲ ἀγαπῶ ἐὰν μὴ ἐλάττω καταλίπω (Aor.Konj.1.Sg.) τούτοισιν, ἀλλὰ βραχεῖ γέ τινι πλείω ἢ παρέλαβον.
Ich bin glücklich/zufrieden, wenn ich diesen (d.h. seinen Söhnen) nicht weniger zurücklasse, sondern ein klein wenig mehr, als ich übernommen habe.

2)

τοῦτο δὲ ποιοῦσιν ὡς τὸ πολὺ οἳ ἂν μὴ αὐτοὶ κτήσωνται (Aor.Konj.3.Pl)
dies aber machen meistens diejenigen, welche nicht selbst Geld erwerben

Frage: Was für eine Bedeutung bzw. grammatische Funktion hat der Konj. Aorist in Verbindung mit ἐὰν bzw. ἂν in diesen beiden Sätzen? Beim ersten Fall geht es ja darum, dass Kephalos über sein Erbe spricht. Normalerweise ist ja ἐὰν + Konj im Nebensatz mit Präsens Indikativ im Hauptsatz ein iteratives Konditionalgefüge der Gegenwart. Das macht aber wenig Sinn, wenn man Dinge vererbt, denn das tut man ja nicht iterativ.

Schöne Grüße,

Andreas
Andreas85
Servus
 
Beiträge: 9
Registriert: Do 29. Mär 2012, 23:46

Re: Frage zur 2 Formen des Konjunktivs in Platons Politeia

Beitragvon consus » Fr 11. Mai 2012, 14:59

M. E. ist folgende Deutung möglich, wobei ich mich hier auf Bornemann-Risch (Griech. Gram. 2. Aufl. 1978, Druck von 2009) beziehe:
ἐὰν μὴ ἐλάττω καταλίπω] prospektiver Konditionalsatz (Eventualis) mit prospektivem Konjunktiv (Bornemann-Risch § 279).
οἳ ἂν μὴ αὐτοὶ κτήσωνται] prospektiv-konditionaler Relativsatz mit prospektivem Konjunktiv (Bornemann-Risch § 290, 4 b in Verbindung mit § 286, 2 b, Fußnote auf S. 298 [Einwand gegen den Begriff Iterativus der Gegenwart]).
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Re: Frage zur 2 Formen des Konjunktivs in Platons Politeia

Beitragvon Andreas85 » Sa 12. Mai 2012, 11:08

Danke für die Antwort, mit scheint Deine Deutung sehr plausibel zu sein. Bei der Gelegenheit ist mir dann auch gleich aufgefallen, wie sehr sich doch die Behandlung dieser syntaktischen Phänomene bei Bornemann-Risch von anderen kürzer gefassten Grammatiken unterscheidet.
Andreas85
Servus
 
Beiträge: 9
Registriert: Do 29. Mär 2012, 23:46

Re: Frage zur 2 Formen des Konjunktivs in Platons Politeia

Beitragvon consus » Sa 12. Mai 2012, 13:00

Menge (Repetit. 11. Aufl., § 152, 4) erklärt den sog. Eventualis etwa so wie Bornemann. Mit den sog. Kurzgrammatiken "ist das so eine Sache"... :roll:
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Re: Frage zur 2 Formen des Konjunktivs in Platons Politeia

Beitragvon Andreas85 » Sa 12. Mai 2012, 15:12

Ja, ich muss dazu sagen: ich bin kein Altphilologe bzw. studiere kein Griechisch. Und in den zwei Kursen für das Graecum, die ich vor einiger Zeit einmal gemacht hatte, waren solche Feinheiten leider kein Thema. Offenbar sind die Kurzgrammatiken (z.B. die von Langenscheid oder die Erläuterungen zur Syntax in Kaegis alten Repetitionstabellen) in Bezug auf Syntax ein wenig zu kurz geraten. Leider ist das Modussystem des Altgriechischen aber natürlich auch nicht gerade sehr übersichtlich, jedenfalls im Vergleich zu den großen modernen indoeuropäischen Sprachen. Und Konditionalgefüge, Nebensatzkonstruktionen und dgl. sind m.E. immer eine Schwierigkeit beim Erlernen einer Sprache, egal welcher Provenienz.

Naja, vielleicht habe ich später noch ein paar andere Sätze zu bieten. :D
Andreas85
Servus
 
Beiträge: 9
Registriert: Do 29. Mär 2012, 23:46

Re: Worthülsen

Beitragvon Prudentius » Fr 6. Jul 2012, 16:58

Hallo,

"Prospektiver Konjunktiv", "Eventualis" - alles Worthülsen, der Konjunktiv hat eben einen unbestimmt-generellen Sinn, er ist der "Nicht-Indikativ", er gibt ja keine feststehende Tatsache an.
Der Begriff iterativ ist zu eng, lieber sollte man eben von "unbestimmt" sprechen.

Die Attiker haben eine Vorliebe für diese ean-Sätze mit Kj., ich glaube diese kommen bei ihnen häufiger vor als einfache ei-Sätze mit Ind., obwohl diese denselben Sinn haben.

Und Konditionalgefüge, Nebensatzkonstruktionen und dgl. sind m.E. immer eine Schwierigkeit beim Erlernen einer Sprache,


das liegt daran, dass das logische, nicht nur grammatische Gebilde sind,

Gruß P. :)
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01


Zurück zu Griechische Philologie



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 26 Gäste