Lange und kurze Vokale.

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Lange und kurze Vokale.

Beitragvon Laptop » Do 10. Apr 2014, 05:04

Chairete! Ich bin an folgender Stelle hängengeblieben, die besagt, daß es im Altgr. keinen Unterschied zw. langen und kurzen Vokalen gab, und ich muß gestehen, daß ich es nicht ganz verstanden habe:
Philemon Zachariou, A concise description of the development of the Greek language hat geschrieben:Nowhere in classical literature are any vowels named “long” or “short”. Vowel length was a concept invented by later grammarians in an attempt to return to the vanishing art of classical versification (poetry), where syllabic length was vital to rhythm, the heartbeat of metrical verse. In speech the concept of vowel length does not apply, for all syllables in a Greek word pronounced orthophonically (apart from any intonational effects) are equally timed. The “long-short” distinction of Ω, Η and Ο, Ε is positional, not intrinsic; it pertains to rhythmical length or grammar, not to regular speech.

Wenn das so ist, warum habe ich dann gelernt, daß Eta und Omega lange Vokale sind? Und wenn sie das nicht sind, was sind sie dann? Was heißt die Unterscheidung sei bloß “positional”? :nixweiss:
Zuletzt geändert von Laptop am Do 10. Apr 2014, 23:18, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Lange und kurze Vokale.

Beitragvon publiovidius » Do 10. Apr 2014, 20:52

Ich kann jetzt nichts fundiertes mit Belegen beifügen, halte diese Äußerung aber für höchst fragwürdig. Schließlich war es ja auch so, dass Dichtung deshalb Dichtung war, weil sie in der "normalen" Aussprache (ohne Versakzent) gelesen wurde und sich das Versmaß durch die Beachtung der Längen und Kürzen gleichsam von selbst ergab. Außerdem gab es ja auch einen Prosarhythmus, der auf dieser Opposition von langen und kurzen Vokalen beruht. Wie hätte der Grieche denn ein temporales Augment (Omega vs. O) heraushören sollen?
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Re: Lange und kurze Vokale.

Beitragvon publiovidius » Do 10. Apr 2014, 21:00

PS:
Die Leute unterscheiden auch nicht genügend zwischen lange Silbe und langem Vokal. Natürlich ist eine geschlossene Silbe (also eine, die auf einen Konsonanten endet) lang: ἄν-θρο-πος. Der Vokal bleibt in diesem Fall (außer wenn eine NAturlänge zusätzlich vorläge) kurz. Vgl. italienisch: "ciao belllllllllll-la". Eine Naturlänge in offener Silbe längt hingegen den ganzen Vokal: χώ. Selbst Steven Daitz "The living voice of ancient greek" versteht dies nicht, wenn er im Proömium der Odysse πτο-λι-εεεεεέθρον statt πτο-λί-εθ-ρον liest.
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Re: Lange und kurze Vokale.

Beitragvon Laptop » Do 10. Apr 2014, 23:22

@publiovidius Freue mich über deinen Beitrag. Vielleicht hat er sich vertan und meint etwas anderes. Naja, ich verstehe es eben nicht.
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Re: Lange und kurze Vokale.

Beitragvon Prudentius » Fr 11. Apr 2014, 09:34

und ich muß gestehen, daß ich es nicht ganz verstanden habe:


Hallo Laptop,

lass dich nicht gleich verunsichern! Ist dieser Philemon überhaupt sachkundig? Sein Thema scheint die ngr. Spr. zu sein, die durch eine tiefe Kluft von der altgr. getrennt ist.
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Re: Lange und kurze Vokale.

Beitragvon Laptop » Sa 12. Apr 2014, 01:11

@Prudentius Hier ist sein kompletter Powerpoint-Vortrag, aus dem ich die Stelle abgeschrieben habe:
https://www.youtube.com/watch?v=LAxzL1BE3Go#t=23m35s (die Stelle beginnt bei 23 Minuten und 35 Sekunden).
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Re: Lange und kurze Vokale.

Beitragvon Prudentius » So 13. Apr 2014, 09:39

Halla Laptop,

Zachariou kommt aus einer anderen Welt, er ist ja Neugrieche, schon an seinem Namen mit der Genitiv-Endung -ou kann man es erkennen, Omikron-Ypsilon wird bei uns seit Römerzeiten als -u geschrieben, wir haben Musik, nicht Mousik, Utopie nicht Outopie, nicht Ouranos, nicht Syrakous.

Man müsste jetzt die ganze Welt-Kulturgeschichte abrissartig gegenüberstellen, das byzantinische Reich rezipierte die antike Kultur nicht, Kaiser Justinian, der die Hagia Sophia erbaute, schloss die athenischen Philosophenschulen für immer, Griechenland war bis vor 200 Jahren türkisch, es gabe keine Renaissance und keinen Humanismus; im Westen dagegen wurde der gr. Neuplatonismus geboren, im Laufe der Jh. kam es zu einer Harmonie von Christentum, Griechen- und Römertum; man sieht es ganz deutlich, die Peterskirche in Rom ist von gr. Architekturelementen geprägt, die orthodoxen Kirchen hingegegen haben immer noch das gleiche Bauschema des 5-Kuppel-Zentralbaus.
Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 strömten viele gr. Gelehrte in den Westen, es setzte die Renaissance ein, Sprachkenntnisse und Studien lebten auf...
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Re: Lange und kurze Vokale.

Beitragvon Laptop » Mo 14. Apr 2014, 02:03

@Prudentius Das ist eine wunderbar kondensiert geschriebene Kulturgeschichte, die du schreibst. Bei der Frage nach den Auslösern der Renaissance-Bewegung bin ich immer davon ausgegangen, daß ein Hauptfaktor der Buchdruck war. Bist du der Meinung, daß es der Exodus der Byzantiner war? Du sagst selbst die Byzantiner haben die Antike nicht rezipiert, warum sollten sie im Exil ihre Einstellung um 180 Grad ändern?
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Re: Lange und kurze Vokale.

Beitragvon Prudentius » Di 15. Apr 2014, 16:09

Ich glaube, man kann es sich so erklären: die byzantischen Gelehrten brachten erst einmal wieder die Kenntnis der gr. Sprache in den Westen, und dann konnten die antike-begeisterten Humanisten sich die Klassiker erschließen. Zentrum war Venedig, das ja schon immer Partnerstadt von Konstantinopel war; die dortige berühmte Druckerei "Aldina" (glaube ich) brachte erste Klassiker-Editionen heraus.

Auslöser der Renaissance gab es viele; sie war kein Umsturz, sondern ging kontinuierlich aus dem MA. hervor, hatte schon lange ihre Vorboten; der ma. Mensch Dante ließ sich von Vergil durch das Jenseitsreich führen; die franziskanische Bewegung: Franziskus schuf eine ganz neue persönliche Art von Glaubensverständnis, ähnlich wie später Luther; Thomas v.A. schuf eine wissenschaftliche Theologie; die wissenschaftlichen Studien erlebten seit dem 12. Jh. ein Aufblühen; berühmte Universitäten entstanden; Descartes, der Begründer der nztl. Philosophie, hatte sein Handwerk im Gymnasium der Jesuiten erlernt... Ich schreib jetzt nur, was mir in meiner begrenzten Sicht zugänglich ist, Ergänzungen/Korrekturen sind dringend erwünscht :) .
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