Die Struktur eines Satzes

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Die Struktur eines Satzes

Beitragvon Williamjames » Mi 7. Mai 2014, 15:49

τὸ δ᾽ ὅτι πᾶσι τοῖς τοιοῖσδε κατ᾽ εἶδος ἓν ἀφορισθεῖσι, κάμνουσι τηνδὶ τὴν νόσον, συνήνεγκεν, οἷον τοῖς φλεγματώδεσιν ἢ χολώδεσι ἢ πυρέττουσι καύσῳ, τέχνης.

Aristoteles Metaphysik 981a

Die Struktur des Satzes scheint mir sehr kompliziert. Könnte ein Kollege mir helfen, sie zu analysieren?
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Re: Die Struktur eines Satzes

Beitragvon consus » Mi 7. Mai 2014, 17:43

XAIPE!
Primo aspectu scheint mir folgende Struktur, wenn ich mich nicht irre, vorzuliegen:

τὸ δ᾽ (das τὸ substantiviert quasi den ὅτι-Satz und verdeutlicht ihn als Subjekt zu τέχνης [sc. ἐστίν]: die Tatsache (o.dgl.) dass…, ist der Kunst eigentümlich)
ὅτι
>>>πᾶσι τοῖς τοιοῖσδε κατ᾽ εἶδος ἓν ἀφορισθεῖσι, κάμνουσι τηνδὶ τὴν νόσον (Dative mitsamt den Partizipien abh. von συνήνεγκεν)
συνήνεγκεν, (Präd. des ὅτι-Satzes)
>>>οἷον τοῖς φλεγματώδεσιν ἢ χολώδεσι ἢ πυρέττουσι καύσῳ (Beispiele im Dativ für an die an einer speziellen Krankheit Leidenden)
τέχνης [sc. ἐστίν] (](genet. pertinentiae bzw. Gen. d. Eigentümlichkeit : „ist Sache der Kunst“).
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Re: Die Struktur eines Satzes

Beitragvon Williamjames » Do 8. Mai 2014, 00:47

Danke sehr Consus! Die Analyse ist sehr überzeugend.

consus hat geschrieben:XAIPE!
Primo aspectu scheint mir folgende Struktur, wenn ich mich nicht irre, vorzuliegen:

τὸ δ᾽ (das τὸ substantiviert quasi den ὅτι-Satz und verdeutlicht ihn als Subjekt zu τέχνης [sc. ἐστίν]: die Tatsache (o.dgl.) dass…, ist der Kunst eigentümlich)
ὅτι
>>>πᾶσι τοῖς τοιοῖσδε κατ᾽ εἶδος ἓν ἀφορισθεῖσι, κάμνουσι τηνδὶ τὴν νόσον (Dative mitsamt den Partizipien abh. von συνήνεγκεν)
συνήνεγκεν, (Präd. des ὅτι-Satzes)
>>>οἷον τοῖς φλεγματώδεσιν ἢ χολώδεσι ἢ πυρέττουσι καύσῳ (Beispiele im Dativ für an die an einer speziellen Krankheit Leidenden)
τέχνης [sc. ἐστίν] (](genet. pertinentiae bzw. Gen. d. Eigentümlichkeit : „ist Sache der Kunst“).
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Re: Die Struktur eines Satzes

Beitragvon Williamjames » Mi 19. Nov 2014, 13:40

Ich möchte noch zwei Fragen stellen.

1. Der Satz ist sehr kompliziert.
περὶ μὲν οὖν τῶν δύο αἰτιῶν, ὥσπερ λέγομεν, ἐπὶ τοσοῦτον ἔοικεν ἐζητῆσθαι παρὰ τῶν πρότερον. (Aristo Met 985b 20-22)

2. ὅτι τὸ μὲν τοιονδὶ τῶν ἀριθμῶν πάθος δικαιοσύνη [30] τὸ δὲ τοιονδὶ ψυχή τε καὶ νοῦς ἕτερον δὲ καιρὸς καὶ τῶν ἄλλων ὡς εἰπεῖν ἕκαστον ὁμοίως, (Aristo Met 985b 29-31)

Kann ὡς einen ACI-Nebensatz führen?
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Re: Die Struktur eines Satzes

Beitragvon Roxane » Mi 19. Nov 2014, 14:42

Passt vielleicht "sozusagen" für ὡς εἰπεῖν?

Nur ein Versuch:
",..weil der eine Vorgang(?) der Zahlen als solcher Gerechtigkeit meint, der andere als solcher Seele und auch Verstand, ein anderer aber einen rechten Augenblick und jeder andere sozusagen in gleicher Weise (etwas meint)..."

Wie hört sich der Satz bei dir an?
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Re: Die Struktur eines Satzes

Beitragvon consus » Do 20. Nov 2014, 01:07

XAIPE!
Zunächst eine als Zuspruch gedachte Vorbemerkung. Die Metaphysik gehört zu den esoterischen Schriften des Aristoteles („nur für den Dienstgebrauch“ würde man heute in Behörden u.dgl. sagen). Für den Stagiriten ist hier die Brachylogie typisch, so dass man zuweilen die Übersetzung behutsam durch Zusätze verständlicher machen muss.
Im Folgenden sollen nur die Satzstrukturen ein wenig verdeutlicht werden; es gibt also nur Rohmaterial, das einer sorgfältigen Überarbeitung bedarf.
1. Satz: „In Bezug nun auf die zwei Ursachen, wie wir sagen, scheint so weit untersucht zu sein [resultatives Perfekt] seitens der Vorhergehenden“ ~ Sinn: Was also die zwei Ursachen angeht, so liegt bis zu diesem Punkt das Ergebnis früherer Forschungsarbeit vor.
2. Satz. Roxane hat schon ordentlich Vorarbeit geleistet; „dass die eine Zustandsweise der Zahlen Gerechtigkeit, die andere aber Seele wie auch Vernunft, eine weitere rechtes Maß und von den übrigen (Zahlen) sozusagen eine jede in ähnlicher Weise (etwas bedeutet)...“
Kann ὡς einen ACI-Nebensatz führen?
Ein AcI ist kein Nebensatz, auch wenn im Deutschen einer daraus werden kann. Auf konsekutives ὡς kann Inf. bzw. AcI folgen.
Die Formel ὡς εἰπεῖν enthält einen sog. absoluten oder limitativen, d.h. den Satzinhalt einschränkenden Infinitiv.
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Re: Die Struktur eines Satzes

Beitragvon Roxane » Do 20. Nov 2014, 11:25

@ Williamjames: In der Hellasgrammatik lese ich <Im Konsekutivsatz steht die Infinitivkonstruktion (NcI oder AcI), wenn die Folge als nur möglich oder beabsichtigt erscheint.> (§ 96.2)
Dazu der Beispielsatz: "Sappho sang so schön, ὥστε (ὡς) μηδένα αὐτῆς περιγενέσθαι." - "...dass niemand sie übertreffen konnte."

Zu den Wendungen des abs. Inf. (ώς εἰπεῖν) vergleiche § 77.3.

@ consus: Das τοιόσδε (lat. talis) "so beschaffen, ein solcher" lässt sich natürlich schlecht mitübersetzen (die eine so beschaffene Zustandsweise der Zahlen).
Arme Schüler: Wie sollen sie auf "Zustandsweise" für πάθος kommen? Bei Pape findet sich immerhin ein Hinweis auf Aristoteles.
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Re: Die Struktur eines Satzes

Beitragvon consus » Do 20. Nov 2014, 12:13

Roxane hat geschrieben:...Arme Schüler: Wie sollen sie auf "Zustandsweise" für πάθος kommen? Bei Pape findet sich immerhin ein Hinweis auf Aristoteles.
XAIPE Roxane! Wird die Metaphysik des Aristoteles wirklich auf allgemeinbildenden Schulen gelesen? Ich habe da so meine Zweifel. Auf den aristotelischen Begriff πάθος geht u.a. Heidegger ein.
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Re: Die Struktur eines Satzes

Beitragvon Roxane » Do 20. Nov 2014, 13:32

Ah, der Heidegger hilft natürlich weiter. Nützlich wäre es aber schon gewesen, die Bedeutungen von πάσχω durchzuforsten, bei Langenscheidt ist auch "sich in einer Lage befinden" angegeben.

Zumindest in Bayern (ich kommentiere das jetzt nicht) wird Aristoteles nicht ganz ausgelassen:

Metaphysik: 983b6-13; 982b12-21
Politika: 1252a1-1253a39; 1293b31-38; 1295a25-41; b1-34

http://www.isb.bayern.de/download/2066/ ... 7_2010.pdf

Diese unverbindliche Literaturliste ist allerdings schon vor ein paar Jahren herausgegeben worden.
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Re: Die Struktur eines Satzes

Beitragvon Prudentius » Mo 24. Nov 2014, 11:00

Wird die Metaphysik des Aristoteles wirklich auf allgemeinbildenden Schulen gelesen? Ich habe da so meine Zweifel.


Aristoteles gehörte ja nie zum humanistischen Lesekanon, schon allein weil seine Schriften nicht redigiert und vom Autor ediert worden waren, sie gehörten nicht zur Literatur, sie waren Manuskripte von Gedächtnishilfen für den Vorlesungsbetrieb, erst Jahrhunderte später wurden sie aus der Versenkung geholt und publiziert, ich glaube in Rom im 1. Jh. v. Chr.; die große Stunde des Aristoteles kam ja erst im Hochmittelalter, im 12. Jh. zur Zeit der "Wiedergeburt des Wissens" an der Pariser Universität, in der "Scholastik", wie es auch heißt; der Aristotelismus verdrängte damals den mehr spekulativen Platonismus; es war aber ein "Aristoteles Latinus"; Thomas von Aquin mit seiner "Summa theologica" war das größte Glanzlicht, er gab der Theologie ein aristotelisches Gewand. Die Neuzeit ging damals in die Startlöcher.
Der bekannte Titel "Metaphysik" war nur ein Arbeitstitel des Editors, meta ta physika, das waren die Papiere, die "nach den Physika" drankamen; er wurde dann missverstanden und bekam einen tiefen Hintersinn, als Kernbereich der Philosophie, der "über das Natürliche" hinausgeht.

In D. ist ja unser Gymnasium immer noch geprägt von der Gründerzeit, Humboldt reformierte als preußischer Kultusminister die Bildung, es war noch die Goethezeit, "Iphigenie", Schillers "Die Götter Griechenlands", Hölderlins "Hyperion" lagen noch in der Luft.
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