Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinsiche Philologie

Beitragvon Medicus domesticus » Di 2. Nov 2010, 21:57

Ganz einfach:
Ich habe meinen Vater gefragt: da wurde in der Mathematik nicht alles im Detail gelernt...Stochastik...Infinitesimalrechnung...im Detail usw. Abitur war allgemein in allen Fächern....und mein Vater war im humanistischen Gymnasium...und er hat Physik studiert...und die speziellen Dinge für das Fach hat man im Studium gelernt..
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinsiche Philologie

Beitragvon Ludovicus » Di 2. Nov 2010, 22:22

Medicus domesticus hat geschrieben:Ganz einfach:
Ich habe meinen Vater gefragt: da wurde in der Mathematik nicht alles im Detail gelernt...Stochastik...Infinitesimalrechnung...im Detail usw. Abitur war allgemein in allen Fächern....und mein Vater war im humanistischen Gymnasium...und er hat Physik studiert...und die speziellen Dinge für das Fach hat man im Studium gelernt..

Das finde ich gut.
Ich finde trotzdem, dass Sprachen und Geisteswissenschaften am Gymnasium zu kurz kommen (So hatte ich in der 9. und 10. Klasse drei Naturwissenschaften zu je 2 Std. und Mathe, obwohl ich im neusprachlichen Zweig war. In der Q11 habe ich nur noch Bio, dafür 3 Std.).
Die Bildung an sich fehlt etwas ...

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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

Beitragvon Zythophilus » Di 2. Nov 2010, 22:34

Ich pflichte Tiberis bei, wobei ich mir vorstellen kann, dass ein korrektes Übersetzen, das natürlich sprachliche Aspekte zunächst in den Vordergrund stellt, den Zugang zu zuvor unbekannten Fakten öffnet. Das sollte ja unter anderem ein Sinn von Lektüre, egal in welcher Sprache, sein.
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

Beitragvon Medicus domesticus » Di 2. Nov 2010, 22:39

Nein, ich sehe es umgekehrt....bevor ich die Philippicae von Cicero übersetze, beschäftige ich mich mich mit der Geschichte.....das Sprachliche vorausgesetzt?
Was sagt ihr dazu?
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

Beitragvon Zythophilus » Di 2. Nov 2010, 22:44

Es kann natürlich reizvoll sein, sich vor Augen zu halten, wie der Autor ein Thema gestaltet, dass einem schon bekannt ist, wie das bei den meisten häufiger gelesenen antiken Autoren eben der Fall ist, aber das Neue, das reizt, kann und soll durchaus auch im Inhalt liegen.
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

Beitragvon Medicus domesticus » Di 2. Nov 2010, 22:52

@Zythophilus:
Warum ich mich an diesem Thema heute aufhänge,ist einfach: Bevor man einen Autor in der Schule oder Universität übersetzt, sollte man nicht die Hintergründe genauer kennen? Das Übersetzen ist doch mechanisch...und vom Mechanischen sollte man beim Lateinischen wegkommen, oder?
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

Beitragvon Ludovicus » Di 2. Nov 2010, 23:10

Medicus domesticus hat geschrieben:@Zythophilus:
Warum ich mich an diesem Thema heute aufhänge,ist einfach: Bevor man einen Autor in der Schule oder Universität übersetzt, sollte man nicht die Hintergründe genauer kennen? Das Übersetzen ist doch mechanisch...und vom Mechanischen sollte man beim Lateinischen wegkommen, oder?

In der Schule wird aber nur dieses Mechanische gelehrt :(.
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

Beitragvon Medicus domesticus » Di 2. Nov 2010, 23:34

In der Schule wird aber nur dieses Mechanische gelehrt .

Ja, und das ist die Crux am Lateinischen, ob schulisch oder auch universitär, leider... :( Das einzige, was eine "Aufweichung" hier macht sind Fragestellungen,z. B. von Laptop, brakbekl, aenigmata und auch die Nugae von Zythophilus, sonst bleibt man doch an vielen Dingen gebunden...meiner Meinung nach muss Latein aus dem Korsett "befreit" werden...
Bonam Noctem.
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

Beitragvon Marcus » Mi 3. Nov 2010, 00:00

Ich habe das Problem während meines Studiums übrigens auch beobachten können. Die Studenten der alten Sprachen hatten nicht die geringste Ahnung von der antiken Geschichte und die Althistoriker konnten kaum mehr die alten Sprachen. Und keiner von ihnen hatte eine Ahnung, was die klassischen Archäologen so treiben.

Es würde auch in den Thread zum Bildungskanon passen, aber ich erzähle auch schon seit Jahren, was Longipes dort so schön formuliert hat: Der aktuelle Geschichtsunterricht an den Gymnasien ist der letzte Müll.
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

Beitragvon philistion » Mi 3. Nov 2010, 11:04

Marcus hat geschrieben:Der aktuelle Geschichtsunterricht an den Gymnasien ist der letzte Müll.
Das sehe ich - zumindest was die Struktur und Gewichtung angeht - auch so, wobei ich der Aussage von Ludovicus, 90% des in der Schule gelernten sei Müll, entgegentreten muss.

Mathematik, auch das Behandeln der Differenzial- und Integralrechnung, so wie ein detaillierter Einblick in die Stochastik sind doch essentiell, um am "Leben" kritisch teilnehmen zu können. Überall kommen Statistiken, Wahrscheinlichkeiten, etc. vor, von der Politik bis zur Medizin und man versteht nur Bahnhof, bzw. durchschaut die Euphemismen nicht, wenn man hier nicht ein tiefergehendes Verständnis der Materie mitbekommen hat.
Ich sehe die Mathematik in der jetzigen Form - auch vordergründig nicht so lebenswichtig erscheinende Themen wie Differentialgleichungen und Reihenentwicklungen - schon für sehr wichtig an, denke aber dass der Kanon an "Allgemeinbildung" stark erweitert werden müsste. Notfalls auch mittels Anhängen eines weiteren Schuljahrs (z.B. im Gymnasium in Österreich in Zukunft wie bei der HTL 5 Jahre Oberstufe).

Auf den Universitäten wird immer mehr "Allgemeinbildung" weggestrichen und gegen Wirtschaftsfächer ausgetauscht. Das ökonomisch wertvoll erscheinende verdrängt das seit jeher bestehende Allgemeingut der Bildung. Gut sieht man das natürlich auch am Wegfall des Altgriechischen oder am immer unwichtiger werdenden Latein im Medizinstudium. An meiner Universität ist es nun sogar schon so, dass man nicht mal mehr lateinisch wissenschaftliche Texte zur Anatomie übersetzen muss und die Latinumsprüfung auch nur mehr aus einer schriftlichen und keiner mündlichen mehr besteht. Es gibt nur mehr eine einzige "Terminologie"-Vorlesung, das ist wirklich traurig. Wobei es hier - wie ich gehört habe - sogar schon Universitäten geben soll, wo man überhaupt kein Latinum mehr fürs Studium vorweisen muss. Die Entwicklung ist mehr als deutlich und sie richtet sich gegen die Allgemeinbildung, also gegen alles was keinen vordergründigen (finanziellen) Mehrwert besitzt.

Als Mediziner hat man es noch sehr leicht, dem normalen Bürger zu erklären, warum man eine entsprechende Summe von seinem Steuergeld benötigt, das sieht jeder ein.
Beim Allgemeingut der Bildung bzw. den Geisteswissenschaften wird es aber immer schwieriger, zu argumentieren, da eben immer weniger Leute Zugang zu fundierter Allgemeinbildung haben und denken, dass sie das (Leben) ja auch ohne gut gemeistert haben, es deshalb also nicht so wichtig sei. Dies ist aber ein ungeheuer kurzsichtiger Blick.

Ich denke, dass die Eingangs in den Raum gestellte Aussage auch mit dieser Entwicklung zusammenhängt. Die Antike rückt in den Hintergrund, weil immer weniger Geschichtslehrer davon tiefere Kenntnis haben und sie außerdem nicht für wichtig sondern sogar für trocken und verstaubt halten. Natürlich haben dann Studenten der klassischen Philologie am Anfang des Studiums starke Defizite sowohl sprachlicher (Latein wird auch immer weniger intensiv unterrichtet) als auch geschichtlicher Natur (Details zur Antike fallen fast zur Gänze weg).
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

Beitragvon Richard84 » Mi 3. Nov 2010, 12:17

Ich sehe es ebenso - bei vielen Lateinern fehlt ein breiteres Wissen um die römische (von der griechischen mal gar nicht zu sprechen) Geschichte und Kultur. Bei uns in Münster wird lediglich die Literaturgeschichte noch herangezogen, ansonsten gibt es noch einen fakultativen zweisemestrigen Geschichtskurs.
Aber dieser ist nur auf die ciceronische Zeit und die röm. Frühgeschichte beschränkt und ist so ...philologisch!... d.h. so an Details klebend (Wer war in diesem und in dem nächsten Jahr Konsul, wer Prätor etc.), dass es mir, als ich, als Geschichtsstudent, ihn zum ersten mal besucht habe, glatt die Sprache verschlagen hat. Aber immerhin besser so ein Kurs als gar keiner.

Ich bezweifle aber, ob es sinnvoll ist, den sowieso schon überfüllten (?) Stundenplan der neuen BA/MA Studierenden mit Geschichtskursen noch weiter vollzustopfen. Immerhin sind die Leute an der Uni erwachsen und Jeder sollte zusehen, dass er neben der sprachlichen Kompetenz noch Wissen um die wichtigsten Ereignisse der röm. Geschichte, Kultur, Religion etc. erwirbt - da dies zu vermitteln doch auch einer der wichtigsten Aspekte des Lateinunterrichts ist.
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinsiche Philologie

Beitragvon Brakbekl » Sa 6. Nov 2010, 13:31

Ludovicus hat geschrieben: Die Antike wäre viel wichtiger, u.a. weil dort unsere Wurzeln sind.


Dort ist alles, was das Schicksal im Köcher hat, schon abgeschossen und liegt sonnenklar vor aller Augen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß in der politischen Sphäre allgemein eine Beschäftigung mit dem Altertum schief angesehen wird, denn erstens will kein Schuster, daß ein andrer was von seinen Leisten versteht, zweitens Unwissen die Leute willig macht, während Wissen Widerstand heckt, und drittens Priester nie über Religion diskutieren wollen - um es einmal deutlich zu sagen.

Wenn ich einen alten Film als Neuen vorstellen will, muß ich zuerst diejenigen, die den Film schon kennen, aus dem Publikum entfernen.
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Re: Defizit Römische Geschichte – Lateinische Philologie

Beitragvon Brakbekl » Sa 6. Nov 2010, 13:54

philistion hat geschrieben:Auf den Universitäten wird immer mehr "Allgemeinbildung" weggestrichen und gegen Wirtschaftsfächer ausgetauscht.


Wirtschaftsfächer ist falsch - es muß Laberfächer heißen.

Gut sieht man das natürlich auch am Wegfall des Altgriechischen oder am immer unwichtiger werdenden Latein im Medizinstudium.


Das ist es, was ich sage, daß wir in der DDR 2.0 leben. Im 19. Jahrhundert wurde der klassische Kanon (Gr.+Lat. + Hebr.) als essentiell für die politische Ordnung erachtet. Das Ziel war der Mensch! Deswegen auch der Name "humanistisches Gymnasium". Klass. Bildung wird heute offensichtlich nicht als essentiell für die polit. Ordnung erachtet, sondern eher als störend empfunden und zwar aus zweierlei Gründen.

Erstens geht es den Politdesignern längst nicht mehr um Europa, sondern um die Welt (Globalismus) und da stört Eurozentrismus nur.

Zweitens war in der DDR, die sich auch Demokratie nannte, nur der Funktionär Ziel der Ausbildung. Der sollte funktionieren, nicht denken. Dem Funktionär wurde Ausbildung zuteil, mit dem Ziel, daß er "Massen" lenken könne. Nicht er selber als Mensch mit seinen Fragen war das Ziel der Bildung, sondern seine Funktion "zum Wohle der Gesellschaft". Das ist Sozialismus, egal, ob in seiner nationalen oder internationalen Variante - nicht der Mensch zählt, sondern das "Volk" oder das "Kollektiv". Und um "Massen" oder "Kollektive" zu führen, benötigt man kein Griechisch und kein Latein. Latein wurde in der DDR aus einem Grunde minimal (Wortschatzerweiterung) beibehalten: Es ermöglichte einen Soziolekt der Kaderschicht - es war das Mandarin der roten Bonzen.
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