Lucius Iunius Brutus bei Horaz? (Hor. Sat. 1, 7)

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Lucius Iunius Brutus bei Horaz? (Hor. Sat. 1, 7)

Beitragvon Marcus » Mi 8. Dez 2010, 10:21

Salvete!

Hier zunächst der Text der Satire nach der Ausgabe von Klingner:
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VII
1.7.1    Proscripti Regis Rupili pus atque venenum
         hybrida quo pacto sit Persius ultus, opinor
         omnibus et lippis notum et tonsoribus esse.
         Persius hic permagna negotia dives habebat
1.7.5    Clazomenis et iam litis cum Rege molestas,
         durus homo atque odio qui posset vincere Regem,
         confidens, tumidus, adeo sermonis amari,
         Sisennas, Barros ut equis praecurreret albis.
         ad Regem redeo. postquam nihil inter utrumque
1.7.10   convenit – hoc etenim sunt omnes iure molesti,
         quo fortes, quibus adversum bellum incidit: inter
         Hectora Priamiden, animosum atque inter Achillem
         ira fuit capitalis, ut ultima divideret mors,
         non aliam ob causam, nisi quod virtus in utroque
1.7.15   summa fuit: duo si Discordia vexet inertis
         aut si disparibus bellum incidat, ut Diomedi
         cum Lycio Glauco, discedat pigrior, ultro
         muneribus missis – : Bruto praetore tenente
         ditem Asiam, Rupili et Persi par pugnat, uti non
1.7.20   conpositum melius cum Bitho Bacchius. in ius 
         acres procurrunt, magnum spectaculum uterque.
         Persius exponit causam; ridetur ab omni
         conventu; laudat Brutum laudatque cohortem,
         solem Asiae Brutum appellat stellasque salubris
1.7.25   appellat comites excepto Rege; Canem illum,
         invisum agricolis sidus, venisse: ruebat
         flumen ut hibernum, fertur quo rara securis.
         tum Praenestinus salso multoque fluenti
         expressa arbusto regerit convicia, durus
1.7.30   vindemiator et invictus, cui saepe viator
         cessisset magna conpellans voce cuculum.
         at Graecus, postquam est Italo perfusus aceto,
         Persius exclamat: 'per magnos, Brute, deos te
         oro, qui reges consueris tollere, cur non
1.7.35   hunc Regem iugulas? operum hoc, mihi crede, tuorum est.'

Horaz verarbeitet hier einen Prozeß zwischen dem proskribierten P. Rupilius Rex und dem griechischen Geschäftsmann Persius vor M. Iunius Brutus als Provinzherren bzw. Statthalter in Asien im Jahr 43/42 v. Chr.. Er treibt dabei mit dem Namen des Rupilius seine wohl nicht ganz unüblichen Späße (vgl. Kiesslings Kommentar zu den Satiren, 5. Aufl. 1921, S. 135). Meine Frage bezieht sich jedoch auf die in den letzten Versen dem Persius in den Mund gelegten Sätze: Er spricht ja von reges, so dass man den Eindruck eines bewussten Wortspiels erhält, um neben M. Iunius Brutus auch an den L. Iunius Brutus bei z. B. Livius zu erinnern.

In der zweiten Auflage seines Kommentars von 1895 (S. 96) vertritt Kiessling noch die Ansicht, dass in den Versen 33-35 nur an des M. Brutus eigene Tat und nicht an die Vertreibung der Tarquinier durch seinen Vorfahren gedacht werden könne, was durch das folgende cur non hunc Regem iugulas gezeigt werde. Diese Begründung leuchtet mir irgendwie gar nicht ein und lässt sich von mir bisher nur dahingehend verstehen, dass der ältere Brutus niemandem direkt das Leben nahm. In der neueren Auflage von Kiesslings Kommentar äußert er sich zu dieser Frage gar nicht mehr.

Auch Hermann Fritzsche schreibt in seinem Kommentar zu den Sermones von 1875, Bd. 1, S. 179:
"Mit rhetorischer Übertreibung in Hinblick auf die Ermordung des Iul. Caesar, dem ja M. Antonius öffentlich das Diadem aufsetzen wollte. Cic. II Phil. 34, 85. Dass hier auch eine Anspielung auf Iunius Brutus, der den Tarquinius stürzte, enthalten sei (Krüger) stellt Düntzer mit Recht in Abrede. Der Plural reges verallgemeinert die eine Thatsache bald lobend bald tadeln."

Fairclough, der Herausgeber der Loeb-Ausgabe des Horaz, bemerkt dagegen dazu in seiner Einleitung zur siebenten Satire:
"The main point of the story is found in Persius' pun on the name Rex (king), which he cleverly links up with the propraetor and the propraetor's most famous ancestor. The latter had driven out of Rome the ancient Tarquin kings, and Brutus himself had slain Caesar."
Und in der Fußnote zur entsprechenden Stelle:
"It was a Brutus who had driven out the Tarquins, and it was a Brutus who had slain Caesar."
Er scheint also im reges beide Bruti zu sehen?

Der Kommentar von Palmer, 1885, S. 212: "The plural adds to the absurdity. Brutus hard only slain one who could be called a king, Caesar, but Persius addresses him as if he were a habitual regicide. He claimed descent, however, from L. Junius Brutus, who drove Tarquinius Superbus into exile, and Persius may have included this idea."
[Danach vermerkt er noch, dass der Wortwitz (Name vs "König") einige Jahre zuvor schon von Cicero in Angelegenheiten um Clodius gebracht wurde. ;) ]

In den Scholien, genauer den "Pomponii Porphyrionis Commentarii in Q. Horatium Flaccum", ist zur Stelle vermerkt: "urbanissimus iocus. nam quia Tarquinius Superbus rex Romanorum per Iunium Brutum in exilium actus est et Gaius Caesar qui regnum videtur adfectasse per Brutos in senatu est occisus, quasi infestum Brutorum nomen videtur esse iam regibus. ergo iocans in nomen Regis Rupili ait: o Brute, sequere generis tui gloriam et hunc Rupilium Regem extingue."

Die Liste der Befürworter beider Meinungen ließe sich wohl um weitere Kommentare und Scholien erweitern. (Die neuesten Kommentare von Fedeli und Brown sind mir leider zur Zeit nicht zugänglich.) Daher meine Frage an euch: Sollte man dem Plural von reges keine tiefergehende Bedeutung beimessen und die ganze Rede des Persius nur auf M. Brutus und die Ermordung Caesars beziehen - oder will Horaz hier bewusst auch den älteren Brutus in Erinnerung rufen?

Marcus :)
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Re: Lucius Iunius Brutus bei Horaz? (Hor. Sat. 1, 7)

Beitragvon consus » Mi 8. Dez 2010, 16:19

oder will Horaz hier bewusst auch den älteren Brutus in Erinnerung rufen?...
Servus, Marcus!
Vorab: Zu dieser zweiten Deutung neige auch ich.
Außer den von dir genannten Kommentaren habe ich eine meiner antiquarisch erstandenen Horazausgaben herangezogen (Q. Horatii Flacci opera cum novo commentario ad modum Ioannis Bond, Parisiis MDCCCLV). Dieser John Bond (1550-1612) sorgte als Physiker und klassischer Philologe 1606 erstmals für eine kommentierte Horazausgabe. Über ihn las ich in einer Notiz im ZVAB: "Bond's chief works were his commentaries on Horace and Persius, the former dedicated to Prince of Wales ... (He) was certainly one of the bests scholiasts of his age. His notes are brief and pointed."
Aber zur Sache. Bond schreibt z. St. "reges consueris": "Nam praeter Julium Caesarem alludit etiam ad Tarquinium Superbum, a Junio Bruto olim sublatum, ad quem Marcus Brutus stirpem suam referebat.” Mein Verständnis der Stelle etwa: „… der du aus einer für die Tyrannenbeseitigung (rex = Despot, Tyrann) bekannten Familentradition stammst…“.
Doch wird man, wie so oft, nicht viel mehr sagen können als N.L.
:)
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Re: Lucius Iunius Brutus bei Horaz? (Hor. Sat. 1, 7)

Beitragvon Willimox » Do 9. Dez 2010, 16:32

Servus Marcus,

ein wenig abundant und nahe an Aberranz, der Kommentarfächer, so könnte eine These lauten.
Wieso? Man bedenke folgende Taktiken des Textes:

a) parodistisch-travestieorientiert:

Hektor - Priamos, Bacchius - Bithus, Rupilius Rex - Persius (wohl eine komische Anti-Klimax)

b) Die Brutus-Apostrophe konnotiert die familiäre Traditionslinie monarchiefeindliche Republiktreue

Aus a und b lässt sich ableiten:

Das "tollere consueris" setzt einmal die Monarchiefeindlichkeit als gewöhnliche Verhaltensnorm, dann: in der doppelten Lesart von "beseitigen" und "aufheben" steckt nicht unbedingt ein Tötungsvorgang. Vielmehr ist die Semantik offen für radikale und weniger radikale Verhaltensweisen.

Das "iugulare", nun wirklich eine besondere Art des Tötens, ist im vorliegenden Fall zweifellos kein mögliches Urteil im Rechtsprozess der beiden Kontrahenten, vielmehr ein witzig-übertriebener Ausruf nach einem heftigen verbalen Schlagabtausch vor Gericht.

Das bedeutet: Im Witz der Rex-Beseitigung ist sowohl die maximale wie die minimale Reaktion eines Brutus impliziert, allerdings als Spielmaterial:
Wer Persius so beschimpft wie dieser Rex, dem solle doch ein Brutus kraft seines Familienethos den Hals brechen.
Mit anderen Worten, die Tötung Caesars und die Vertreibung des Tarquinius sind im Deutungsspiel des Textes abgedeckt. Wer einen Caesar getötet hat, hat in der Tradition des tarquinischen Brutus gehandelt, auch wenn der nicht getötet hat. Und wer einen Caesar getötet hat oder töten würde, der soll doch auch diesen Widerling Ruptilius aus dem Leben befördern.

Ein Argumentum a maiore also, nun im komisch-travestierten Agon appliziert auf einen Kaufmannsstreit und komisch gerade wegen der Unverhältnismäßigkeit der Argumentationsform: Wie soll denn - außerhalb des komischen Agon - eine Formulierung wie "operum tuorum est": Deiner Taten würdig - der Taten der Deinen würdig - den Boden der Verhältnismäßigkeit nicht unter ihren Gliedern verlieren? Sowohl im Prozessrecht als auch im Dignitasfeld der Brutus-Familia?

Mit anderen Worten: Für den Witz der Episode ist keine explizite Prämisse Tarquinius-Beseitigung notwendig. Es genügt das allusive Spiel mit der Traditionslinie der Familie. So gesehen ist es müßig ein Argument zu bedenken, dass der Tarquinius-Feind mitgedacht werden muss. Und es ist müßig das Argument zu bedenken, dass der Tarquinius-Feind nicht mitgedacht werden darf, da ja der Fokus auf einem Tötungsvorgang (iugulare) liegt.

greetse
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