Hexamter Aeneis 5, 239

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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Mo 25. Jul 2016, 17:10

Hallo, ich habe wieder einen Vers, den ich(, glaube ich,) nicht auflösen kann, dieses Mal Ovid:

pērquě vĭās vīdīss(e) (h)ŏmĭnūm sĭmǔlācrǎ fěrārǔmquě

Kann die Skandierung richtig sein, wenn der sechste Versfuß ein Daktylus ist :?

Vielen Dank für eure Hilfe.
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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon romane » Mo 25. Jul 2016, 18:26

ein versus Hypermeter

auch ein besonderer:
turaque dant Bacchumque vocant Bromiumque Lyaeumque
Die Freiheit ist ein seltsames Wesen - wenn man es gefangen hat, ist es verschwunden

www.mbradtke.de
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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Mo 25. Jul 2016, 19:05

Danke romane, da habe ich wieder etwas gelernt; Hypermeter, was es nicht alles gibt. :-D Dh meine Skandierung ist korrekt?!
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Hypermeter

Beitragvon consus » Mo 25. Jul 2016, 21:15

Servus, iurisconsultus!
pērquě vĭās vīdīss(e) hŏmĭnūm sĭmǔlācrǎ fěrārūmqu(e)
Das e von que wird elidiert, weil das erste Wort des folgenden Verses mit einem Vokal beginnt. Die Silbe -rum von ferarum ist positione lang.
Die Einklammerung des h von hominum ist nicht notwendig, da h im Lat. nicht als littera, sondern nur als signum aspirationis gilt.
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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Mo 25. Jul 2016, 22:26

Servus consus,

ich freue mich immer, wenn ich sehe, dass du geantwortet hast, weil deine Ausführungen stets gehaltvoll und lehrreich sind - so auch dieses Mal. Die Positionslänge in ferarumque habe ich eigentlich gesehen, dann in der Eile hier jedoch falsch eingerückt. Darüber hinaus aber offenbarten mir deine Worte völlig neues Wissen. Vielen Dank dafür und für deine Mühe!
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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Di 16. Aug 2016, 14:56

Mich treibt erneut eine Frage zur Skandierung um, diesmal Ov. M. 9, 412:
cognatumque latus Phegeius hauserit ensis.

Metrisch muss der vierte Versfuß ein Daktylus sein, also Phēgēǐŭs. Kann man aber bereits in (irgend)einem Wörterbuch erkennen, ob das "i" vor dem Vokal "u" tatsächlich ein Vokal und nicht doch ein Konsonant ist? Mir begegnet diese Frage immer wieder, sodass ich sie nun stellen muss. ;) Mit dem Pons-Online-Wörterbuch, das ich idR zu Rate ziehe, kann ich diese Frage leider nicht klären, was freilich nichts heißen muss. In Lewis&Short findet man "Phēgēïus , a, um", wie ich gerade sehe.

maximas gratias!
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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon marcus03 » Di 16. Aug 2016, 15:53

Es dürfte sich um die bekannte Adjektivbildung auf ius,a, um handeln (vgl. reg-ius), bei der gilt: vocalis ante vocalem corripitur. Das Trema ist daher mMn überflüssig.
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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Di 16. Aug 2016, 15:55

Danke marcus, ich bin zwischenzeitig schon etwas gescheiter geworden. PONS hat auch den Eintrag "Phēge͡us <eī [o. eos] > m", dh das "i" des Adjektivs "Phegeius" muss dann auch ein Vokal sein.
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Re: Hexameter Aeneis 5, 239

Beitragvon Willimox » Di 16. Aug 2016, 16:14

Hm, es geht da - so die durchaus akzeptable Norm der Schulaussprache - eher um die Position des fraglichen i in seinem unmittelbaren Umfeld und dabei kann Aussprache samt Lautstatus sich ändern. So ist denn aus dem Auslautstatus eines fraglichen Zeichens/Lautes nicht unbedingt auf seinen Inlautstatus zu schließen.

Also gilt es detaillierter vorzugehen:
Am Anfang eines Wortes oder zwischen zwei Vokalen (eius ..... ejjus) u.ä. ....
Diese Seite hier ist hilfreich, sie stützt sich auf Quintilian, vergleiche 1.1.1:

http://www.telemachos.hu-berlin.de/materialien/ovidprojekt/prosodie_und_metrik/regeln.htm#1.1.1.%20i:%20Besonderheiten
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Re: Hexameter Aeneis 5, 239

Beitragvon iurisconsultus » Di 16. Aug 2016, 16:42

Danke auch dir Willimox, aber ich bin schon auf (griechische) Eigennamen in den Versen gestoßen, deren Quantitäten sich nicht an die "Schulaussprache" gehalten haben; so auch in "Phegeius" mit vokalischem "i".
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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon marcus03 » Di 16. Aug 2016, 17:12

Es fehlt noch ein abschließende Wort unseres "Chefhexametrologen" Z. :)
Sobald er sich den letzten Bierschaum von den Lippen gewischt hat, sollte die Problematik ihrer endgültigen Lösung ohne Schaumschlägerei zugeführt werden können. :lol:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/ ... schaum.jpg
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Re: Hexameter Aeneis 5, 239

Beitragvon Willimox » Di 16. Aug 2016, 17:33

Hm, das i in Phegei ist das Genitiv-Morphem des Substantivs und gehört nicht wie das i in Phegeius zum Wortstock/Wortstamm.
Als Vokal des Adjektivs formt es dann einen Diphtong ei und dieser wäre lang, was metrisch passt.
Als konsonantisches j schwächt es nicht den vorhergehenden Vokal in seiner Länge, lässt also die Regel "vocalis ante vocalem corripitur" beiseite. Und es passt metrisch.
Metrisch problematisch wird das i, wenn es als Vokal und "eigene Silbe" gesprochen wird.
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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon Medicus domesticus » Di 16. Aug 2016, 19:58

Zur Ergänzung: der gute alte Quicherat! :wink:

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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon Zythophilus » Di 16. Aug 2016, 20:21

Im betreffenden Vers ist das Wort eindeutig viersilbig. Ganz ähnlich ist vom Prinzip Thēsēǐŭs 3 zu Theseus, doch gibt es hier eine zweite Adjektivform Thēsēŭs 3. Der Dichter scheint hier, vielleicht schon mit Rückgriff auf eine gewisse Variabiltät im Griechischen etwas Freiheit gehabt zu haben. Ich weiß nicht, ob Phēgēǐŭs öfter als an der einen Ovidstelle vorkommt, aber so häufig, dass irgendwo eine Nebenform Phēgēŭs für einen Vers nötig gewesen wäre, scheint es nicht gewesen zu sein.
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Re: Hexamter Aeneis 5, 239

Beitragvon Sokrates » Di 16. Aug 2016, 22:07

Salve Iuris, Salvete amici,

vielleicht als Abschluss meine spontane Idee dazu:
es handelt sich einfach um die latinisierte Form vom griechischen Zugehörigkeitsadjektiv (attisch) Φήγειος (ionisch) Φηγήιος, in welch letzterer Variante das Iota klar vokalisch ist (zumindest in dieser Sprachphase kein indogermanischer Halbvokal bzw. Gesetz von Sievers-Edgerton), was das Trema in späterer Schreibung verdeutlicht (etwa zur Unterscheidung des alten Langdiphthongs). Im Lateinisches sind diese Verhältnisse übernommen und metrisch konserviert, da laut Zythophilus keine Nebenform ohne i existieren.
Das gelegentlich etwas irritierend lang gezeichnete e in eius (u_) ist eigentlich ein kurzer Vokal, das Longum drückt nur die prosodisch lange Silbe aus. Das i nämlich ist hier nicht! vokalisch i.e.S., sondern das Resultat des lautgesetzlichen Wandels von sj > jj in altl. esjo-s > eiius > eius. Eine phonologische Analogie ist hier nicht zu sehen.


LG,
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