Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGPT

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Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGPT

Beitragvon mystica » Mo 6. Mai 2024, 10:54

Herr Professor Dr. Reinhold F. Glei (Seminar für Klassische Philologie), Ruhr-Universität Bochum, beschäftigt sich in seinem Vortrag mit den Fähigkeiten und Grenzen von Übersetzungen der lateinischen Sprache ins Deutsche durch ChatGPT. Anhand anspruchsvoller Texte von Ovid (Ov., met. 9, 714–725) und Seneca (Sen., ep. mor. 24, 18) entwickelt er in einem interaktiven Impulsreferat Kriterien zur Unterscheidung menschlicher und KI-generierter Übersetzungen.

Bild

https://www.youtube.com/watch?v=txmLGxH1Oig
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon ClaudiaK » Mo 6. Mai 2024, 19:21

Danke für das Posten, liebe mystica.

Ich für meinen Teil habe auch schon mit KI herumprobiert. Ganz sicher wird sie immer besser werden. Und sie wird auch immer fähiger werden, lateinische Texte zu übersetzen. Und wenn jemand tatsächlich auf das Produkt "Übersetzung" angewiesen ist, wird er einer KI, mag sie schwach sein wie sie will, danken.

Man kann das Übersetzen aber auch als Prozess ansehen, als Handarbeit, deren primärer Zweck es ist, einem selber unabhänig von Produkt und Beifall von Außen, innerlich Freude und Befriedigung im Vorgang des Tuns zu verschaffen.

In der Schuldidaktik gibt es seit Jahren die Diskussion über dieses Spannungsverhältnis von produktorientiertem Lernen einerseits und prozessorientiertem Lernen andererseits. Sie stellt also folgende Frage: Bleibt die Vokabel, wenn ein Bild vom Schüler dazu gemalt wurde nun im Gedächtniss hängen, weil am Ende das Bild steht (Produkt) oder weil er gemalt (Prozess) hat?

Im Alltag ist es ähnlich: Gehe ich zum Bäcker oder gar in den Supermarkt, oder backe ich selber?
Schneidere ich mir den Rock selber oder kaufe ich einen? Schraube ich an meinem Auto selber herum oder gebe ich es in der Werkstatt ab? Mache ich meine Steuererklärung selber oder gehe ich zum Profi? Gebe ich mein Geld zur Bank für 1,2% Zinsen oder trade ich selber.
D.I.Y. lebt dabei nicht unbedingt davon, dass es billiger ist, sondern davon, dass es glücklich macht. ;-)

Kurz: KI hin oder her: Es wird sicher immer Menschen geben, die durch den Umgang mit Sprache (oder beim Malen oder Musizieren) glücklich sind, und welche, die mit dem Produkt Beifall heischen und gegebenefalls auch Geld damit verdienen wollen.
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon ille ego qui » Mo 6. Mai 2024, 19:46

Auch den echten großen Künstler*innen ist nicht selten auch am Beifall und am Geld gelegen - durchaus in Ordnung! :-D
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon mystica » Di 7. Mai 2024, 17:36

Es besteht kein Zweifel, dass Künstliche Intelligenz auch im Bereich der lateinischen Sprache eine zunehmend bedeutende Rolle einnehmen wird. Ihre Fähigkeit zur Übersetzung lateinischer Texte hat sich mittlerweile beträchtlich verbessert. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass die KI sich im Laufe der nächsten Jahre kontinuierlich weiterentwickeln und systematisch verbessern wird, um professionelle Übersetzungen zu generieren, die den lateinischen Originaltext möglichst treu und fehlerfrei wiedergeben. Dies würde zweifellos den Zugang der Leser zum lateinischen Originaltext erheblich erleichtern und es ermöglichen, dass immer mehr Menschen mit Freude und persönlichem Gewinn lateinische Texte lesen können. Leider sind bisherige Übersetzungen aus dem Lateinischen oft recht frei, was es vielen Lernenden erschwert, diese anhand des lateinischen Originaltextes gut nachzuvollziehen. Daher verdient das englischsprachige Projekt, lateinische Texte möglichst präzise ins Englische zu übertragen, höchste Anerkennung. Ebenso wäre es wünschenswert, dieses Ziel auch im deutschsprachigen Raum zu fördern, damit die KI hochwertige deutsche Übersetzungen aus dem Lateinischen generieren kann, die leicht anhand des Originaltextes nachvollzogen werden können. Leider bleibt dies momentan wohl noch ein fernes Ziel, um das volle Potenzial der KI bei der Übersetzung lateinischer Texte auszuschöpfen.
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon marcus03 » Di 7. Mai 2024, 18:06

mystica hat geschrieben:Leider bleibt dies momentan wohl noch ein fernes Ziel, um das volle Potenzial der KI bei der Übersetzung lateinischer Texte auszuschöpfen.

Kommt Quanten-Computer, kommt ÜS a la Cicero ! :wink:
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon ille ego qui » Di 7. Mai 2024, 18:40

Dazu bedarf es wohl keiner Quantencomputer.
Ich habe die neu aufgetauchte K.I. GPT2 getestet, deren Urheber:innen weiterhin gänzlich unbekannt scheinen, und die seit einigen Tage alle Welt beeindruckt. Und was die in Sachen Latein kann, ist wirklich ziemlich beeindruckend!
:shock: :-D
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon ille ego qui » Di 7. Mai 2024, 18:51

Das kommt z.B. heraus, wenn man einen lateinischen Text über das Fernsehen in einem parodistisch überzogenen Cicero-Stil verlangt:

O tempora, o mores! Quis nostrum umquam imaginari potuit, in medio foro domus suae stantes, totum mundum spectare posse? Videte, quaeso, mirabilem hanc machinam, quam "televisionem" appellamus, quae non solum imagines distantes ad nos perducit, sed etiam sonos coniungit!

Ecce quanta voluptas, quam multae insidiae! Homines, o di immortales, non amplius ad theatrum aut circumire necesse habent; omnia spectacula domi manentes frui possunt. Sed heu! Quantum temporis perdidi, quam multa otia, quae nobis haec televisio inducit! Num hodierna iuventus, quae ante has machinas horas consumit, scire potest quid sit vera virtus, quid verus labor?

Hic autem, in hac nova era, Cicero ipse, si viveret, quid diceret? "Noli," fortasse moneret, "o iuvenes, totum diem coram pictis imaginibus sedere! Sunt libri legendi, sunt fora visitanda, sunt causae agendae!"

Nunc autem, televisio dominatur. Ecce, quam multi ad hanc aram mediae noctis adhuc adsunt, spectantes fabulas de amoribus insulsis, de certaminibus inanibus, de coquorum artificiis! Quis, quaeso, inter hos novos gladiatores et antiquos senatores mediocritatem invenire potest?

Sed etiam, ut confitear, non omnis televisio vituperanda est. Sunt quaedam programmae, quae, si recte selectae, non solum delectare, sed etiam erudire possunt. Sunt historiae, quae nobis praeteritorum exempla monstrant; sunt scientiae documenta, quae mundi mirabilia aperiunt.

Ergo, o cives, utimini hac inventione non ut dominis, sed ut instrumento! Eligite, quae bona, quae honesta, quae utilia sunt; et sic, fortasse, nova virtute, nova doctrina, ad meliorem vitam provehemini!


Ein paar Fehler sind natürlich drin, aber was für ein Fortschritt!
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon ille ego qui » Di 7. Mai 2024, 19:00

Model-B bietet diesen Vorschlag:

"O Tempora, O Mores! Quis potest negare, televisionem hodie vitam nostram in profundis suis radicibus commutare? Ecce! Homo modernus, ante cubiculum sedens, oculis intentis in arcam magicam fixis, qui totum mundum in domum suam inducit.

Mire! Quam multa et varia miracula! Tragoediae et comoediae, partes orbis terrarum remotae, homines illustres et ignoti, omnia ad parvum cubiculum nostrum perveniunt. Sed cave, O homo! Ne in hoc pelago verborum et imaginum naves intellectus tui naufragium faciant!

Multitudo enim rerum, quam televisio offert, non semper bonum est. An non videmus, qualis sit vulgus, quod a televisione alitur? An non sentimus, quam facile mens nostra a veritate avelli possit?

Ergo, O fratres, discite a Cicerone! Sic uti televisione, ut instrumento, non magistro. Sic frui eius beneficiis, ut non in eius servitutem incidatis. Sic sapere, ut non stultitia et levitate corrumpamini!"


:D
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon Sapientius » Mi 8. Mai 2024, 10:10

Man kann das Übersetzen aber auch als Prozess ansehen, als Handarbeit, deren primärer Zweck es ist, einem selber unabhänig von Produkt und Beifall von Außen, innerlich Freude und Befriedigung im Vorgang des Tuns zu verschaffen


Das hast du schön gesagt, Claudia, aber es kommt wohl dahin: man lässt die KI arbeiten und geht inzwischen in die Cafeteria.
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon mystica » Mi 8. Mai 2024, 10:52

Tu erras, mi care Sapienti! Intellegentia artificialis celerius respondet, quam ut sentis. Deest tibi operae, ut in tabernam cafeariam eas. Vale, mi amice doctissime! :stretch:
Zuletzt geändert von mystica am Do 9. Mai 2024, 15:07, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon Sapientius » Do 9. Mai 2024, 08:21

Wie sieht es rechtlich aus: wenn jemand eine Dissertation mithilfe der KI verfasst, ist sie dann sein geistiges Eigentum? Wenn er vllt. nur die Fragen gestellt hat? Was ist dann ein Plagiat? - Uns fehlt hier ein iurisperitus.
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon mystica » Do 9. Mai 2024, 10:00

Eine Dissertation sollte eine eigenständige wissenschaftliche Arbeit darstellen, die üblicherweise neue Erkenntnisse zu einem spezifischen Forschungsgegenstand liefert. Doktoranden sind dazu verpflichtet, sämtliche verwendeten Hilfsmittel und Quellen in ihrer Arbeit offenzulegen, einschließlich der Verwendung von KI für die Erstellung einer Dissertation. Die Plagiatssoftware ermöglicht mittlerweile die Identifizierung von wissenschaftlichen Arbeiten, die mithilfe von KI verfasst wurden. :chefren:
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon ille ego qui » Fr 10. Mai 2024, 08:02

Muss man dann genau angeben, an welchen Stellen und auf welche Weise (z.B. mit welchen Prompts) man K.I. benutzt hat? Oder ist man mit einem kurzen globalen Hinweis „aus dem Schneider“?

Gibt es bereits ein Wettrüsten zwischen der K.I., die die K.I.-Benutzung erkennt, und der K.I., die die K.I.-Benutzung wiederum verschleiert? ;)

Sicher wird ein K.I. scanner auch nicht alles erfassen können. Es gibt ja ganz verschiedene Einsatzformen von K.I. (Lieferung von Ideen, Gliederungen etc., Aus-/Umformulierung von Abschnitten usw.).
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon mystica » Fr 10. Mai 2024, 09:25

ille ego qui hat geschrieben: Muss man dann genau angeben, an welchen Stellen und auf welche Weise (z.B. mit welchen Prompts) man K.I. benutzt hat? Oder ist man mit einem kurzen globalen Hinweis „aus dem Schneider“?


Die einfachste Lösung dieses Problems wäre, einen Scan des Beitrags der KI anzufertigen und diesen dann im Anhang der Dissertation zu dokumentieren.

ille ego qui hat geschrieben: Gibt es bereits ein Wettrüsten zwischen der K.I., die die K.I.-Benutzung erkennt, und der K.I., die die K.I.-Benutzung wiederum verschleiert? ;)


Ja, das kann man so sagen: Es gibt mittlerweile auch KI, um KI-generierte Texte "zu humanisieren", d.h. zu verschleiern, dass dieser Text von einer KI geschrieben wurde. :D

https://www.paraphrasetool.ai/de/ki-humanisierer
https://aitextconverter.com/ai-textkonverter.php

ille ego qui hat geschrieben: Sicher wird ein K.I. scanner auch nicht alles erfassen können. Es gibt ja ganz verschiedene Einsatzformen von K.I. (Lieferung von Ideen, Gliederungen etc., Aus-/Umformulierung von Abschnitten usw.).


Es ist richtig anzumerken, dass man niemals völlig ausschließen kann, dass in einer wissenschaftlichen Arbeit nicht doch KI beteiligt war. Oft erkennt man dies jedoch, weil die KI-generierten Texte sehr oberflächlich formuliert sind und mitunter auch oft Redundanzen in der Argumentation festgestellt werden. Ein Hinweis wäre auch der moderate Ton von KI-Texten usw. :book:
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Re: Prof. Dr. Reinhold F. Glei: Latein übersetzen mit ChatGP

Beitragvon Zythophilus » Fr 10. Mai 2024, 11:45

mystica hat geschrieben:Oft erkennt man dies jedoch, weil die KI-generierten Texte sehr oberflächlich formuliert sind und mitunter auch oft Redundanzen in der Argumentation festgestellt werden.

Das kann auch ein Merkmal von Texten nicht so versierter Autoren sein. Auch der "moderate Ton" lässt sich erklären, wenn der Autor versucht nirgends anzuecken und möglichst "gerecht" zu formulieren. Nicht auszudenken, wenn sich ein Geschlecht ausgeschlossen fühlt, weil kein *innen steht, oder irgendjemand Diskriminierung wittert!
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