Chrysostomus hat geschrieben:»Ein oberlehrerhafter Ton ist in diesem Forum falsch am Platz«
Spieglein, Spieglein an der Wand …
Chrysostomus hat geschrieben:»Wir brauchen als Christen diese "historische Beweisbarkeit" ja auch gar nicht unbedingt«
Was meinst du denn mit „Beweisbarkeit“? Mir scheint, du bist da ein wenig der Methode der modernen Bibelexegese aufgesessen, die alles in Frage stellt, was sich nicht gleichsam positivistisch-naturwissenschaftlich „beweisen“ läßt. In der Geschichtswissenschaft – und nebenbei bemerkt auch in der Altphilologie – nimmt man die Quellen, die man hat, als solche etwas ernster. Sonst könnte man die gesamte Historiographie nämlich in die Tonne kloppen.
Ich mache dir mal einen Vorschlag: „Beweise“ doch mal – in jenem positivistischen Sinne – die „historische Existenz“ Plotins. Würde mich interessieren, wie du das anstellst. Falls das zu schwer ist, fang erst mal mit Plato an. Ich bin gespannt.
Abgesehen davon ist die historische Existenz Jesu selbstverständlich absolut unabdingbares Fundament des christlichen Glaubens. Freilich auch ein ganz sicheres, jedoch aufgrund der Quellen christlicher Provenienz, namentlich der Schriften des Neuen Testaments, die natürlich historische Quellen ersten Ranges sind.
Chrysostomus hat geschrieben:»… schon in den Evangelien erkennbar, die man eindeutig NICHT als historischen BEricht oder als "Biographie Jesu" verstehen darf«
Nein, offensichtlich keine Biographien. Vielmehr Zeugnisse der urkirchlichen Katechese, die allerdings sehr stark mit historischen Berichten arbeitet. Die Evangelisten haben den Stoff mit Rücksicht auf die Chronologie angeordnet, jedoch nicht immer konsequent und erst recht nicht vollständig. Aber was schadet das ihrem Quellenwert?
Noch zu zwei Einzelfragen:
Chrysostomus hat geschrieben:»…dann wäre mindestens die Amtsbezeichnung "procurator" völlig anachronistisch (Pilatus war praefectus Iudaeae).«
Das hatte ich doch oben schon angedeutet. Gewiß war „Präfekt“ zur Zeit des Pilatus der Titel von Statthaltern kleinerer kaiserlicher Provinzen wie Judæa. Nicht unmittelbar durch Erlaß des Claudius, wohl aber unter dem Einfluß seiner Entscheidung, den bisherigen (Fiskal-)Prokuratoren judikative Kompetenzen zuzusprechen, ging der Begriff des Prokurators allmählich auch auf die Provinzpräfekten über. Weshalb aber hätte Tacitus nicht den zu seiner Zeit üblichen Begriff verwenden sollen?
Die Institutionen, um die es geht, bestanden ja fort. Wenn man Jahrtausende später schreibt, dann benutzt man als Historiker gern die exakten historischen Begriffe. Wenn man aber als Zeitgeschichtler über Dinge schreibt, die keine hundert Jahre zurückliegen, dann ist es gewiß nicht „anachronistisch“, wenn ich eine fortbestehende Institution mit dem heute geläufigen Namen bezeichne, auch wenn vor zwei Menschenaltern offiziell noch ein anderer, ähnlicher Titel galt.
Chrysostomus hat geschrieben:»Josephus ist ernster zu nehmen, allerdings sprach ich in meinem Thread auch zunächst nur von "heidnischen" Zeugnissen, nicht von jüdischen. Bezeugt wird von ihm die HInrichtung des Jakobus, des (Halb?)Bruders Jesu, des sog. Christus. Damit haben wir in der Tat ein nicht-christliches Zeugnis für die Existenz Jesu, aber eben nicht mehr. Das andere "Zeugnis", Ant. 18,63 f., das sog. "Testimonium Flavianum" ist Interpolation bzw. Fälschung - offenbar christlicher Provenienz - und kann somit keinen Quellenwert beanspruchen; (vgl. dazu Chr. Burchard, s. v. "Jesus", in: Der Kleine Pauly Bd. 2, Sp. 1344)«
Richtig ist, daß heute ein breiter Konsens darüber besteht, daß bestimmte Formulierungen im zweitgenannten Abschnitt bei Flavius Josephus schwerlich von einem Juden stammen können, also nachträgliche Einschübe eines christlichen Bearbeiters oder Kopisten sein müssen. Diese Annahme hat in der Tat alle Wahrscheinlichkeit für sich. Von einer „Fälschung“ sollte man – nebenbei bemerkt – dennoch nicht sprechen, das wäre anachronistisch. Der Urheber der Einschübe dürfte dieselben als korrigierende Ergänzungen empfunden haben.
Interessant ist nun aber, daß eine zweite Fassung des Textes existiert, in der diese christlichen Einschübe fehlen, die wesentlichen Fakten des Wirkens und des Todes Jesu aber gleichwohl geboten werden: nämlich ein Josephus-Exzerpt im arabischen Kitab el-’Unwan [Weltgeschichte] des Agapius Hierapolitanus [arab. Mahbub, aus Hierapolis/el-Menbidsch im heutigen Irak] . Hier liegt offensichtlich die ursprüngliche Fassung des Josephus zugrunde. Dies Exzerpt enthält
nicht die „unjüdischen“ Formulierungen, wohl aber nennt es nüchterne Fakten über Jesus Christus. Umgekehrt enthält aber auch die mutmaßlich von christlicher Hand bearbeitete Fassung Wendungen, die man von keinem Christen erwarten kann.
Zudem gibt es weitere Stellen bei Josephus, christliche Zusammenhänge referieren: so den von dir bereits erwähnten Abschnitt, der – im Zusammenhang mit der Hinrichtung des Jacobus – auch Jesus Christus erwähnt, und zwar ohne verdächtige, auf Manipulation deutende Formulierungen. Ferner berichtet Flavius Josephus über Johannes den Täufer – und zwar
nach der inkriminierten Stelle über Christus, und ohne irgendeine Verbindung zwischen beiden erkennen zu lassen.
Wäre die Stelle also komplett von einem christlichen Schreiber eingefügt worden, so hätte der Mann jedenfalls einen denkbar ungeeigneten Zusammenhang ausgewählt. Sinnvoller wäre nach dem Vorläufer und Wegbereiter über Christus zu reden gewesen, nicht aber umgekehrt. Diese kompositorische Sonderbarkeit bleibt aber nur so lange sonderbar, wie man sie einem Christen zuschreibt. Daß der Jude Josephus es nicht besser weiß, darüber braucht man sich nicht zu wundern.
Kurz, daß Flavius Josephus über Jesus Christus als historische Person berichtet hat, ist nach der Quellenlage hinreichend gesichert. Daß die Stelle ant. XVIII,3,3 in der Form, die die Handschriften seit dem 11. Jahrhundert überliefern, originär flavianisch ist, das darf man als ziemlich unwahrscheinlich ansehen.
Auf Burchardts Artikel im Kleinen Pauly würde ich mich übrigens eher nicht stützen. Wer wissenschaftliche Arbeit an den Quellen so beschreibt: »Materialkriterium ist, daß echt bzw. geschehen nur sein kann, was nicht Glaubenspostulat ist«, der treibt nicht Wissenschaft, sondern den treibt die Ideologie. Das ist die Nachgeburt der Bultmann-Exegese. Ich bevorzuge denn doch den gesunden Menschenverstand.