Horaz, Carmen 1, 38

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Horaz, Carmen 1, 38

Beitragvon Latein-Fan » Do 12. Apr 2007, 23:26

Hier sei eine Textstelle des Horaz zur Diskussion bereitgestellt

(Text nach Horaz, c. 1, 38, edit. Shackleton-Bailey)


Persicos odi, puer, apparatus,
displicent nexae philyra coronae,
mitte sectari, rosa quo locorum
sera moretur.

Simplici myrto nihil allabores
sedulus, curo: neque te ministrum
dedecet myrtus neque me sub arta
vite bibentem.

Horaz muss ein bescheidener Mensch gewesen sein, ebenso fällt mir das "odi" auf, welches er ja ebenso in c. 3, 1 gebraucht.
Ein doch sehr privat - intimes Gedicht, wie es scheint.

Was meint ihr dazu?
Multo maxumum bonum patriae, civibus, tibi, liberis, postremo humanae genti pepereris, si studium pecuniae aut sustuleris aut, quoad res feret, minueris. (Sallust in seinem 2. Brief)
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Beitragvon consus » Fr 13. Apr 2007, 13:04

Salvete, amici!

Lassen wir uns ein wenig von Nietzsches Worten über die horazische Ode leiten (Götzendämmerung, Was ich den Alten zu verdanken habe 1):
Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begriff, nach rechts und links und über das Ganze hin seine Kraft ausströmt, dies minimum in Umfang und Zahl der Zeichen, dies damit erzielte maximum in der Energie der Zeichen - das Alles ist römisch und, wenn man mir glauben will, vornehm par excellence

Zur 1. Strophe:
Persicos ... apparatus] ausstrahlendes Kraftzentrum der 1. Strophe: „ein Maximum in der Energie der Zeichen“. Man denkt an die deliciae sumptuosae orientalischer Prachtentfaltung bei Gelagen: coronae operosae, odores, unguenta, servi, tibicinae, saltatrices... Horaz verschmäht (odi, displicent) diesen Aufwand, den er exemplarisch mit einem „minimum in Umfang und Zahl der Zeichen“ andeutet: „nexae philyra coronae“, „rosa sera“, eine seltene Kostbarkeit, nach der suchen zu lassen nur die Gemütsruhe stören könnte.

Zur 2. Strophe:
Simplici myrto] Die immergrüne simplex myrtus, zweimal in der Strophe an exponierter Stelle stehend, entspricht dem Streben des Dichters nach simplicitas, die einhergeht mit dem Sinn für das decorum („neque dedecet“; gr. πρέπον). (Das Problem, worauf nihil zu beziehen ist – nihil allabores oder nihil curo – soll hier nicht erörtert werden.)
me sub arta vite bibentem] Der Dichter trinkt nicht mit vielen anderen zusammen in einem prachtvollen Palast, sondern alleine für sich unter schattenspendendem Weinlaub: epikureisches, maßvolles Genießertum in knappster Form dargestellt: Genuss genügsamer Stille im Verborgenen. Man denkt an das berühmte Λάθε βιώσας.

Beiden Strophen ist gemeinsam die unmittelbare Anrede eines „Du“:
puer / minister] Der einzige Mensch, der dem Dichter aufwartet und von ihm, obwohl er Sklave ist, wie ein Gleichberechtigter angesprochen wird: neque te ministrum ... neque me ... bibentem. Am Ende des carmen offenbart sich hier der größtmögliche Abstand zu dem Prunk persischer convivia mitsamt dem dort üblichen gewaltigen Unterschied zwischen dominus und servi.
Der „Klang“, die gleichförmige metrische Gestalt des Gedichts (systema Sapphicum) entspricht dem Inhalt:
- u - - - / u u – u - ~
- u - - - / u u – u - ~
- u - - - / u u – u - ~
- u / u - ~
Zweiunddreißig Wörter: ein quantitatives minimum mit einem maximum an Aussagekraft. Welch ein Glück, dass uns solche Verse überliefert wurden! Haec hactenus.
Zum Abschluss vier Übersetzungen, die ich folgendem, irgendwann einmal antiquarisch erworbenem Buch entnehme:
“Die Oden und Epoden des Horaz für Freunde klassischer Bildung, besonders für die Primaner unserer Gymnasien bearbeitet von Dr. Hermann Menge, Kgl. Gymnasialdirektor a. D., vierte ... Auflage, Berlin 1910; S. 139 f.“ (Es handelt sich um den allen Lateinern bekannten Menge!)
(1) H. Menge
Des Zechers Schmuck.
Weg, mein Bursch, mit persischem Prunk! Ich hass’ ihn;
weg mit bastgeflochtenen Blumenkränzen!
Brauchst nicht nachzuforschen, wo spät ein Röslein
einsam noch blühe.

Künstle allzueifrig zu schlichter Myrte
nichts hinzu; denn weder dem Diener steht sie
übel, noch auch mir, wenn im Schatten dichter
Reben ich trinke.

(2) Ernst Günther
Im Spätsommer.
Ich hasse Perser Prunkgerät
und bastgewund’ne Blumenkränze;
drum forsche, Knabe, nicht, wo spät
noch eine Rose heimlich glänze!

Den Kranz der Myrte mag ich gern,
ihn sollst du ohne Zierrat geben:
er schmückt den Diener, schmückt den Herrn,
trink’ ich im Schatten dichter Reben.

(3) Edmund Bartsch
Der Myrtenkranz.
Ich hass’, o Knabe, alle Perserpracht;
nicht bunte Blumenkränze sollst du winden;
nicht mühe dich, ein Röslein aufzufinden,
das spät uns noch der milde Herbst gebracht.
Nimm Myrtenzweige! Künstle nichts hinein!
Das schlichte Grün nur soll im Haar dir glänzen,
und es genügt auch meine Stirn zu kränzen,
erlab’ ich unter Reben mich am Wein.

(4) Fr. van Hoffs
Einfachheit.
Fort mit eitler, welscher Pracht!
Fort mit Kränzen, bastumwunden!
Späh’ nicht lang in Herbstesstunden,
wo versteckt ein Röslein lacht!
Schlichte Myrte ziemet just
wie dem Schenken, so dem Zecher.
So kredenze mir den Becher,
so genieß’ ich seine Lust.

Wer wagt eine neue Übersetzung? (1910: "welsche Pracht"!)
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Beitragvon Apollonios » Fr 13. Apr 2007, 17:41

Nun denn - ich versuch es mal:

Persischen Prunk, Junge, ich hasse ihn -
Kränze aus Bastgeflecht sind abscheulich;
such nicht nach der Rose, die irgendwo
so spät noch blühe.

Schlichter Myrte füg nichts eifrig hinzu,
unschicklich ist sie nicht dir, dem Diener,
und mir nicht, wenn ich im tiefen Schatten
der Reben trinke.

Und hier meine Rache an van Hoffs:

Je déteste, garçon, la pompe Persien,
les couronnes de filasse ne me plaisent pas.
Ne vas pas chercher la rose en fleur
tardive.

Ton zèle n'ajoute rien au simple myrte
qui n'est malséant ni au servant
ni à moi buvant sous l'ombre épais
des vignes.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
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Beitragvon Sokrates Palaios » Mo 16. Apr 2007, 21:54

Goethe, vielleicht nach Horazlektüre "persicos odi...":

Hatem (zu dem Knaben, der dem Dichter einschenkt):

Der schläft recht süß und hat ein Recht zu schlafen.
Du guter Knabe hast mir eingeschenkt,
Vom Freund und Lehrer, ohne Zwang und Strafen,
So jung vernommen, wie der Alte denkt.
Nun aber kommt Gesundheit holder Fülle
Dir in die Glieder, daß du dich erneust.
Ich trinke noch, bin aber stille, stille,
Damit du mich, erwachend nicht, erfreust.
[Goethe: West-östlicher Divan, S. 258. Die digitale Bibliothek der deutschen Lyrik, S. 22113 (vgl. Goethe-BA Bd. 3, S. 129)]
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Beitragvon Sokrates Palaios » Di 17. Apr 2007, 21:13

Ich kenne dieses wunderbare Gedicht schon lange auswendig und es freut mich, Dass ihr es auch schätzt, wie das Zitat von Consus beweist: "Zweiunddreißig Wörter: ein quantitatives minimum mit einem maximum an Aussagekraft. Welch ein Glück, dass uns solche Verse überliefert wurden! Haec hactenus."
In meiner Horazausgabe habe ich eine Notiz gefunden mit dem Hinweis auf Goethes Divan, die ich irgendwann einmal dazugesetzt habe. Daher auch mein Goethezitat oben.
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Horaz und Goethe

Beitragvon consus » Di 17. Apr 2007, 21:37

Mit Freude, o Sokrates, habe ich auch das Goethe-Zitat gelesen. Regt sehr zum vergleichenden Nachdenken an. Überhaupt Goethe und Horaz: Im nächsten Monat wird im Goethe-Museum Düsseldorf eine Ausstellung mit dem Titel "Das Landhaus des Horaz" eröffnet; bin gespannt, was man da erfährt. (Der Goethe Latinus hat mich immer schon gereizt.)
Optime vale.
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Beitragvon Sokrates Palaios » Do 19. Apr 2007, 22:33

Salve, Consus!
Danke für den Hinweis auf Horaz im Goethemuseum Düsseldorf; da ich aber im Odenwald wohne, weiß ich noch nicht, ob es reicht nach Rhenaniam inferiorem. Den Namen "Goethe Latinus" hab ich hier zum ersten Mal gelesen; aber man findet ja bei G. viele Belege, dass er nicht nur "seinen" Horaz sondern auch Catull, Tibull und Properz wie die Bibel gekannt hat. Vielleicht bringe ich morgen (unter dem Titel "G. Latinus") etwas, was mir aufgefallen ist.
Valete, amici!
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Beitragvon consus » Do 19. Apr 2007, 23:15

Quod ad Goethe Latinum attinet: in Bibliotheca Augustana, ω βέλτιστε, proposita sunt Iohannis Volfgangi Goethe „Scholia in carmina Priapea". Digna mihi videntur, quae diligentius perlegantur. --- Tu quid de Goethe Latino scripturus es? Magna me in exspectatione esse scito!
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Beitragvon Sokrates Palaios » Fr 20. Apr 2007, 22:36

Profecto diligenter "scholia..." adhuc mihi ignota legere coepi.
Gratias tibi ago
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