Goethe Latinus

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Goethe Latinus

Beitragvon consus » Di 17. Apr 2007, 12:11

Salvete, amici linguae Latinae studiosissimi!
Bei einem Streifzug durch die Antiquariate einer rheinischen Großstadt erwarb ich folgendes Buch: „Luise / Ein ländliches Gedicht / In drey Idyllen / von Johann Heinrich Voß. Ins Lateinische übersetzt von M. Benjamin Gottlob Fischer, Professor am K. Seminar zu Schönthal. Stuttgart, In der J. B. Metzler’schen Buchandlung. 1820. | Loisa / Idyllion / tribus eclogis absolutum. Auctore Johanne Henrico Voss. Latine vertit M. Bejamin Gottlob Fischer, professor seminarii Schoenthaliensis. Stutgardiae, Sumtu Johannis Benedicti Metzleri. MDCCCXX.“
Goethe kannte dieses Voß'sche in deutschen Hexametern geschriebene Kleinepos, das dem friedvoll-behäbigen Leben eines protestantischen Pfarrhauses im Holsteinischen gewidmet ist: „Draußen in luftiger Kühle ... / Hielt der redliche Pfarrer von Grünau heiter ein Gastmahl, / Seiner Luise zur Lust, hausväterlich prangend im Schlafrock“ (Vv. 1-5). Fischer sagt es auf Lateinisch so: „Ecce foris ... / Gronaviae pastor, tunica sublimis herili, / Dilectae laetus celebrabat festa Loisae“. Diese „Verbindung des Modernen und Antiken“, wie sie Voß gelang, beeindruckte Goethe, der jetzt seinerseits in seinem Werk „Hermann und Dorothea“ einen zeitgenössischen Stoff in „antikisierende[r] Form“ präsentierte (s. Goethe, Hamburger Ausgabe, Band II, 7. Aufl. Hamburg 1965, S. 668).

Der eben genannte Benjamin Gottlob Fischer übersetzte auch „Hermann und Dorothea“ ins Lateinische („Arminius et Theodora“, Stuttgardiae MDCCCXXII; Seitenbildedition: http://www.pantoia.de/Goethe/Hermann/Fischer/index.html#pagina).
Als Goethe diese Übersetzung in die Hände bekommen hatte, schrieb er am 8. Juli 1823:
Man brachte mir die lateinische Übersetzung von „Hermann und Dorothea“, es ward mir ganz sonderbar dabei; ich hatte dieses Lieblingsgedicht viele Jahre nicht gesehen, und nun erblickt’ ich es wie in einem Spiegel, der ... eine eigene magische Kraft auszuüben die Fähigkeit hat. Hier sah ich nun mein Sinnen und Dichten in einer viel gebildeteren Sprache, identisch und verändert, wobei mir vorzüglich auffiel, dass die römische nach dem Begriffe strebt und, was oft im Deutschen sich unschuldig verschleiert, zu einer Art von Sentenz wird, die, wenn sie sich vom Gefühl entfernt, dem Geiste doch wohltut (s. Goethe, a.a.O., S. 678).
Welch ein Kompliment macht da der deutsche Dichterfürst der Königin der Sprachen!

Hier der Anfang der Dichtung Goethes (Vv. 1-5):
Kalliope
Schicksal und Anteil
Hab ich den Markt und die Straßen doch nie so einsam gesehen!
Ist doch die Stadt wie gekehrt! wie ausgestorben! Nicht funfzig,
Deucht mir, blieben zurück von allen unsern Bewohnern.
Was die Neugier nicht tut! So rennt und läuft nun ein jeder,
Um den traurigen Zug der armen Vertriebnen zu sehen.

In Fischers Übersetzung (Vv. 1-6):
Calliope.
Sors et Miseratio.
Tam solas nunquam plateasque forumque videbam!
Urbs, purgata velut scopis, emortua tanquam
Cernitur! E cunctis mihi quinquaginta videntur
Vix superesse viris! Nova quantum cura videndi
Hem, valet! Extorres ut cernat in agmine tristi,
Unusquisque ruit curritque.

Valete.
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