Worttrennung im Lateinischen

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Worttrennung im Lateinischen

Beitragvon arno » Do 17. Mai 2007, 19:03

Hallo,

ich schreibe momentan meine ZA über die Worttrennung am Zeilenende im Altenglischen, Gotischen, Altnordischen und Althochdeutschen. Für das Althochdeutsche gab es dazu so gut wie keine Studien, weshalb ich mir selbst eine Handschrift ausgesucht und diese daraufhin untersucht habe. Die Handschrift die ich behandle ist Notkers Boetius-Übersetzung der "De consolatione Philosophiae". Soviel zum Vorgeplänkel;-), jetzt zu meinem Problem bzw. meiner Frage:

Da die Handschrift halb althochdeutsch, halb lateinisch ist, habe ich neben knapp 1500 ahd. Belegen beinahe ebenso viele lateinische. Das Trennverhalten der Schreiber im Ahd sieht sehr regelgerecht aus, im Lateinischen finden sich allerdings Fälle wie: mi-xtam, tem-ptat, comple-ctitur, no-ctis, usw.
Nach dem germanischen Trennverhalten, wo scheinbar die Sprechsilbe ausschlaggebend war, wäre in diesen Fällen eigentlich eher: mix-tam, temp-tat, complec-titur und noc-tis zu erwarten.
Haben hier also die Schreiber schlicht das Lateinische falsch getrennt? Oder gibt es im Lateinischen Trennregeln, die diese Worttrennungen (die mir seltsam vorkommen) erklären? :?

Ich würde mich sehr freuen, wenn mir jemand von euch weiterhelfen könnte! Wär echt super!

Danke schonmal und schönen Feiertag noch!
Andrea
arno
 

Beitragvon intedum » Do 17. Mai 2007, 19:15

In früher schrieb man nur mit Großbuchstaben, ohne Satzzeichen, ohne Worttrennung und ohne Rücksicht auf irgendwelche Trennregeln, man schrieb bis zum Zeilenende und dann einfach in der nächsten Zeile weiter, wies grad kam.
Ob es im Frühmittelalter verbindliche Regeln gab, kann ich nicht sagen.

Heute gilt meist folgendes:

> Zusammengesetzte Worter werden meist nach Bestandteilen getrennt (ab-ire, sic-ut)
> einzelne Konsonanten kommen zur nächsten Silbe (hierzu zählen auch ch/ph/th, x, z: pa-ter, lu-xus)
> bei mehreren Konsonanten kommt der letzte zur Folgesilbe
> muta cum liquida bleiben ungetrennt (das sind bpdtgc+lrmn: ca-pra, tene-brae, cas-tra)

Da der Schreiber bei dir mi-xtam getrennt hat, waren ihm eventuelle Regeln wohlmöglich nicht wichtig.
οιδα ουκ ειδως.
intedum
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Beitragvon consus » Do 17. Mai 2007, 19:28

Servus, Andrea!

Habe hier heute zu Hause nur folgendes Werk zur Hand:

R. Kühner / Fr. Holzweissig: Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, Erster Teil; Elementar-, Formen- und Wortlehre, Darmstadt 1966.

§ 54 (S. 249-252) handelt von der „Abteilung der Silben“. Auf S. 249 lesen wir:

„Die alten Grammatiker haben diesen Gegenstand keiner besonderen Untersuchung unterworfen; wohl aber erkennt man aus der Art und Weise, wie sie die Silben abgetrennt haben, deutlich, dass sie gewissen Grundsätzen gefolgt sind. Über die zusammengesetzten Wörter gibt Quintil. 1. 7, 9 Folgendes an: Est in dividendis verbis observatio mediam litteram consonantem priori an sequenti syllabae adjungas. Aruspex enim, quia pars ejus posterior a spectando est, s litteram tertiae dabit; abstemius, quia ex abstinentia temeti composita vox est, primae relinquet.“
Was Inschriften angeht, so wird die Trennung vermieden oder aus Platzgründen willkürlich vorgenommen (a.a.O.).
Über die weiteren Details handeln die sich daran anschließenden Abschnitte.

Der Kühner/Holzweissig und andere ausführliche wiss. Grammatiken werden in jeder Universitäts- und Seminar- bzw. Institutsbibliothek stehen.

Feliciter.
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Danke!

Beitragvon arno » Do 17. Mai 2007, 19:47

Vielen Dank für die schnellen Antworten! Ist wirklich super nett, dass ihr mir weiterzuhelfen versucht.

@intedum: Das mit Muta cum Liquida und all den anderen Regeln, die du erwähnst, war im Altenglischen, Altnordischen, Gotischen und Althochdeutschen auch so. Und der Schreiber der Boetius-Übersetzung hält sich für das Ahd auch beinahe ausnahmslos daran. Deshalb hat es mich auch so gewundert, dass er es bei lateinischen Belegen anders macht. Aber vielleicht hast du recht, und es war ihm einfach für das Lateinische nicht so bewusst oder wichtig, wie für seine Muttersprache. Andererseits war Latein für nen Mönch wahrscheinlich schon nen halbe Muttersprache... Komisch...

@consus: Danke für den Buchtipp! Ich werd dann morgen wohl einfach mal bei den Lateinern vorbeischaun und in den Grammatiken stöbern. Vielleicht gibts in den detaillierteren Abschnitten ja was Brauchbares oder Erleuchtendes.

Also vielen Dank euch beiden noch mal!
arno
 

Beitragvon consus » Do 17. Mai 2007, 19:51

Nachtrag:

mi-xtam, tem-ptat, comple-ctitur, no-ctis,


Nach Kühner/Holzweissig müsste folgendermaßen getrennt werden:

mix-tam, tem-ptat, com-plec-ti-tur, noc-tis; ca-stra

Servus.
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Beitragvon nighean_neonach » Do 17. Mai 2007, 20:44

Interessantes Thema! Ich werde mal ein, zwei Leute dazu fragen, ob ihnen was einfällt, ob das schon mal untersucht wurde oder so.

Was genau studierst du? *neugier*
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Silbentrennung von castra

Beitragvon consus » Do 17. Mai 2007, 22:29

Wahrlich ein interessantes Thema auch für den Latinisten! Dazu noch Folgendes in aller Kürze:

Man stößt z. T. auf widersprüchliche Angaben, so etwa bezüglich der Trennung des Wortes CASTRA.

(1) Kühner-Holzweissig (Ausf. Gram. d. lat. Spr. Tl.I, Darmstadt 1966, S. 250) trennen CA-STRA und begründen es damit, dass mit der Konsonantengruppe STR ein lateinisches Wort beginnen könne (z. B. stringo); daher auch ro-strum, po-stremus, magi-stri.

(2) Niedermann (Hist. Lautl. d. Lat., Heidelbg. 3. Aufl. 1953, S. 182) hält dies für eine Argumentation, „die keinen Anspruch auf sprachwissenschaftliches Interesse erheben“ könne; es handele sich um „rein theoretisierende Klügeleien“ römischer Grammatiker vom 4. Jh. an.
Er trennt daher CAS-TRA gemäß der vorher von ihm formulierten Regel: „Von drei Konsonanten ... gehörten der erste und zweite zur vorausgehenden Silbe, wenn die Gruppe nicht auf Verschlußlaut mit folgendem r oder l ausging. Im letzteren Falle lag der Silbeneinschnitt hinter dem ersten der drei Konsonanten.“ Also temp-to, sanc-tus, aber: cas-tra, plaus-trum.

Servus.
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Beitragvon arno » Fr 18. Mai 2007, 08:34

Hallo, schönen guten Morgen!

Ich finds ja toll, dass euch das Thema auch interessiert! Mich hat die Beschäftigung mit den Silbenstrukturen auch irgendwie begeistert, obwohl ich das anfangs gar nicht so vermutet hättte. Es ist erstaunlich wie sich alle germanischen Sprachen in der Hinsicht ähneln.

@Mona: Super, dass du mal nachfragst, ob es schon Untersuchungen dazu gibt. Da ich nicht Latein studiere - Germanistik und Anglistik - sondern kenn ich mich auf dem Gebiet einfach zu wenig aus.

@consus: Danke, dass du nochmal nachgeschaut hast! So erscheinen mir die Trennungen auch viel einleuchtender. Ich werd mir das Buch heut auf jeden Fall besorgen, damit ich was hab, auf das ich mich berufen kann. Übrigens, nur falls es dich interessiert: die Muta cum Liquida Regel und die Sache mit -str als Kopf der zweiten Silbe oder als s-tr gibt es im Germanischen auch. Bei str hängt es vor allem vom Silbengewicht ab, wie getrennt wird. Nach vorausgehender kurzem Vokal bzw. leichter Silbe wird das s noch zu dieser geschrieben um das Gewicht quasi auf zwei Morae zu erhöhen, bei vorausgehender ohnehin schon schwerer Silbe wurde in der zweiten Silbe tautosyllabiert. Irgedwie schon cool, dass die Schreiber das alles mehr oder weniger aus ihrem Bauchgefühl heraus gemacht haben und nur aus dem Gespür für die Einheit einer Silbe...
arno
 

Beitragvon consus » Fr 18. Mai 2007, 08:52

Servus, Andrea!
Vielleicht ist auch die folgende knapp 10 Seiten umfassende Abhandlung nützlich:
A. Hill, Juncture and Syllabic Division in Latin, in: Language 30 (1954), SS. 439ff.
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Beitragvon nighean_neonach » Fr 18. Mai 2007, 12:05

arno hat geschrieben:@Mona: Super, dass du mal nachfragst, ob es schon Untersuchungen dazu gibt. Da ich nicht Latein studiere - Germanistik und Anglistik - sondern kenn ich mich auf dem Gebiet einfach zu wenig aus.


Ich studiere auch kein Latein, aber u.a. historische Sprachwissenschaften, und so bekommt man ja einiges mit... :)
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Beitragvon Laptop » Di 22. Mai 2007, 09:30

Für mich ist das eine Frage des gesunden Lateinverstands. Castrum kann doch nur "cas-trum" getrennt werden, weil "-trum" ein Morphem mit der Bedeutung etwa "-dingens" ist.
Temp-to ist für mich auch offensichtlich, da das -p- zur ersten Silbe gehört, vielleicht auch zu ersten Morphem, falls es dieses gibt, aber sicher nicht "tem-pto"!

Gruß
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Beitragvon consus » Di 22. Mai 2007, 10:33

Zumindest bei tempto ist an einen parasitären Übergangslaut zu denken: -mt > -mpt. So auch u. a. -ms- > -mps- wie bei sumo, sumpsi, sumptum, sumere. Eine Erklärung dieses Phänomens, das sich möglicherweise auch auf die Silbentrennung auswirkt, bei Niedermann; Hist. Lautl. d. Lat., Heidelbg. 3. Aufl. 1953, S.163f.
Servus.
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Re: Worttrennung im Lateinischen

Beitragvon Ketelhohn » Fr 25. Mai 2007, 12:50

arno hat geschrieben:im Lateinischen finden sich allerdings Fälle wie: mi-xtam, tem-ptat, comple-ctitur, no-ctis, usw.
Nach dem germanischen Trennverhalten, wo scheinbar die Sprechsilbe ausschlaggebend war, wäre in diesen Fällen eigentlich eher: mix-tam, temp-tat, complec-titur und noc-tis zu erwarten.


Diese lateinische Trennung, die dich überrascht, orientiert sich ja gerade an den Sprechsilben. ;)

Die Handschrift ist wahrscheinlich der Sangallensis 825? Das könnte wohl Pi mal Daumen noch aus Notkers eigener Zeit stammen.

Du erkennst daran, daß man damals schon die Silbentrennung am romanischen Sprachempfinden ausrichtete (welches Notker „der Deutsche“ ja ganz gewiß auch hatte).

Für s- + Konsonant gilt generell, daß diese Verbindung nicht getrennt wird. In der Regel wird dafür sogar das Präfix „zerlegt“ (aber nur aus etymologisierender Sicht; also z. B. nicht nur etymologisch sauber di-spergo, sondern auch gegen die Etymologie di-scedo, di-sputo, ab-sque etc.).

Das -x- in deinem Beispiel ist phonetisch natürlich ein -s-, sprich und trenne also: mi-stam. (Aber selbst wenn – etwa in einem griechischen Fremdwort – das -x- auch phonetisch eins gewesen sein dürfte, würde es wie -s- behandelt.)

Das -ct-, -pt- u. ä. wird grundsätzlich nicht getrennt, weil eine lautliche Assimilation längst eingetreten ist, während die Schreibung noch historisierend an der Etymologie festhält (allerdings auch nicht immer, nicht selten findet die Assimilierung auch im Schriftlatein statt, oder man löst hyperkorrekt vermeintliche Assimilationen wieder auf und schreibt z. B. Brictones statt eigenlich richtigem Brittones etc.).

Man trennt also tem-ptat, weil man ten-tat spricht; in Fällen wie la-ctis oder no-ctis könntest du einwenden, daß man doch wohl auch bei Assimilation lat-tis oder not-tis gesprochen haben wird. – Mag sein, aber ein -c- oder -p- am Zeilenende, von dem man erst in der neuen Zeile merkt, daß man’s anders hätte sprechen müssen, macht sich einfach schlecht. Man sah es als stummes Graphem an, das (nach Vokal) bloß den nachfolgenden Konsonanten längt und folglich auch bei Silbentrennung an ihm kleben bleibt.

Darum hat es mit Beginn dieser volkssprachlichen Einwirkung auf die lateinische Phonetik sich eingebürgert, die beschriebenen Konsonantenverbindungen nicht zu trennen.

Zu ergänzen bleibt, daß jene »volkssprachliche Einwirkung« konkret vom italienischen Sprachraum ausging (südlich der Linie La Spezia - Rimini), denn anderswo assimilierte man insbesondere den Nexus -ct- nicht (vgl. port. noite, fr. nuit, piem. nöit, sp. noche, prov. nuech, lomb. noč, aber auch rum. noapte gegen it. notte). Dieser Einfluß des entstehenden Italienisch hat offensichtlich europaweit das lateinische Sprachempfinden geprägt.
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Beitragvon arno » Fr 25. Mai 2007, 15:54

Hey super! Vielen Dank! Das klingt nicht nur total logisch und nachvollziehbar, sondern ist auch noch sehr verständlich erklärt! Hilft mir auf jeden Fall sehr weiter! MERCI!

Schönes Pfingstwochenende dann,
Andrea
arno
 

Beitragvon Laptop » So 3. Jun 2007, 13:30

Am besten ist doch man silbentrennt überhaupt nicht! Hat doch nur
kosmetische Gründe, und da Trubel drum zu machen ...
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