arno hat geschrieben:im Lateinischen finden sich allerdings Fälle wie: mi-xtam, tem-ptat, comple-ctitur, no-ctis, usw.
Nach dem germanischen Trennverhalten, wo scheinbar die Sprechsilbe ausschlaggebend war, wäre in diesen Fällen eigentlich eher: mix-tam, temp-tat, complec-titur und noc-tis zu erwarten.
Diese lateinische Trennung, die dich überrascht, orientiert sich ja gerade an den Sprechsilben.
Die Handschrift ist wahrscheinlich der
Sangallensis 825? Das könnte wohl Pi mal Daumen noch aus Notkers eigener Zeit stammen.
Du erkennst daran, daß man damals schon die Silbentrennung am romanischen Sprachempfinden ausrichtete (welches Notker „der Deutsche“ ja ganz gewiß
auch hatte).
Für
s- + Konsonant gilt generell, daß diese Verbindung nicht getrennt wird. In der Regel wird dafür sogar das Präfix „zerlegt“ (aber nur aus etymologisierender Sicht; also z. B. nicht nur etymologisch sauber
di-spergo, sondern auch gegen die Etymologie
di-scedo,
di-sputo,
ab-sque etc.).
Das -
x- in deinem Beispiel ist phonetisch natürlich ein -s-, sprich und trenne also:
mi-stam. (Aber selbst wenn – etwa in einem griechischen Fremdwort – das -
x- auch phonetisch eins gewesen sein dürfte, würde es wie -
s- behandelt.)
Das -
ct-, -
pt- u. ä. wird grundsätzlich nicht getrennt, weil eine lautliche Assimilation längst eingetreten ist, während die Schreibung noch historisierend an der Etymologie festhält (allerdings auch nicht immer, nicht selten findet die Assimilierung auch im Schriftlatein statt, oder man löst hyperkorrekt vermeintliche Assimilationen wieder auf und schreibt z. B.
Brictones statt eigenlich richtigem
Brittones etc.).
Man trennt also
tem-ptat, weil man
ten-tat spricht; in Fällen wie
la-ctis oder
no-ctis könntest du einwenden, daß man doch wohl auch bei Assimilation lat-tis oder not-tis gesprochen haben wird. – Mag sein, aber ein -c- oder -p- am Zeilenende, von dem man erst in der neuen Zeile merkt, daß man’s anders hätte sprechen müssen, macht sich einfach schlecht. Man sah es als stummes Graphem an, das (nach Vokal) bloß den nachfolgenden Konsonanten längt und folglich auch bei Silbentrennung an ihm kleben bleibt.
Darum hat es mit Beginn dieser volkssprachlichen Einwirkung auf die lateinische Phonetik sich eingebürgert, die beschriebenen Konsonantenverbindungen nicht zu trennen.
Zu ergänzen bleibt, daß jene »volkssprachliche Einwirkung« konkret vom italienischen Sprachraum ausging (südlich der Linie La Spezia - Rimini), denn anderswo assimilierte man insbesondere den Nexus -ct- nicht (vgl. port. noite, fr. nuit, piem. nöit, sp. noche, prov. nuech, lomb. noč, aber auch rum. noapte gegen it. notte). Dieser Einfluß des entstehenden Italienisch hat offensichtlich europaweit das lateinische Sprachempfinden geprägt.