ODI ET AMO

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Beitragvon Tiberis » Mi 6. Jun 2007, 20:06

optime, mi Apolloni!

saepius hoc modo in carminibus convertendis contendere nos oportet ! :)
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
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Beitragvon consus » Mi 6. Jun 2007, 21:20

Salvete, amici!
Gestattet sei ein Hinweis auf den Aufsatz von J. D. Bishop: Catullus 85, structure, hellenistic parallels, and the topos, Latomus 30 (1971), pp. 633-642. Ich konnte ihn noch gerade überfliegen, denn unsere Seminarbibliothek wird zurzeit umgeräumt. Die Struktur des Distichons verdeutlicht Bishop mit einem Schaubild, das, obwohl hier nicht originalgetreu wiedergebbar, durchaus etwas von der Kunst Catulls erahnen lässt:
odi--->------>---amo--->----faciam------>--- requiris
excrucior---<---sentio----<--fieri----<---<----nescio.

Die von Bishop angeführten hellenistischen Parallelen aus der Anthologia Palatina haben m. E. nicht die Qualität der Verse Catulls. Ein Beispiel eines anonymen Dichters mag genügen (l.c. 12, 103):
οιδα φιλειν φιλεοντας· επισταμαι, ην μ’ αδικηι τις,
μισειν· αμφοτερων ειμι γαρ ουκ αδαης.

Ich weiß Liebende zu lieben; ich verstehe, wenn mir einer Unrecht tut,
zu hassen; in beidem bin ich nämlich nicht unkundig.

Im Übrigens lässt sich Catulls c. 85, was des Dichters Stimmung angeht, gut vergleichen mit c. 72:
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Dicebas quondam solum te nosse Catullum,
     Lesbia, nec prae me velle tenere Iovem.
Dilexi tum te non tantum ut vulgus amicam,
     Sed pater ut gnatos diligit et generos.
Nunc te cognovi: quare etsi impensius uror,
     multo mi tamen es vilior et levior.
Qui potis est, inquis? quod amantem iniuria talis
     cogit amare magis, sed bene velle minus.


[Nachtrag: Catulls c. 85 wird im Kap. 17 von Thomas Wolfes „Look Homeward, Angel“ in der Darstellung einer Lateinstunde erwähnt.]

Ceterum Tiberi nostro ex pectore assentior, dummodo summa animi contentione (ne dicam divina quadam sollertia) carmina convertamus.

Servus.
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Re: ODI ET AMO

Beitragvon krambambuli » Do 3. Sep 2015, 13:04

Ich hasse und liebe. Warum ich das mache, fragst du vielleicht?
Ich weiß es nicht... aber ich fühle, dass es geschieht und ich werde (zu Tode) gepeinigt.

Das Gedicht in korrektem Versmaß im Deutschen umzusetzen, ohne durch die Interpretation den Sinn zu entstellen, finde ich schwierig... :)
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Re: ODI ET AMO

Beitragvon ille ego qui » Fr 4. Sep 2015, 21:57

ein sehr schöner thread! schön, ihn einmal wieder durchzuschmökern :book:
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
arma virumque cano ...
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Re: ODI ET AMO

Beitragvon Zythophilus » Fr 4. Sep 2015, 22:40

Hass ist und Liebe in mir. Warum das so ist, das magst du fragen.
Ich weiß es nicht, ich fühl' es und mich quält innere Pein.
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Re: ODI ET AMO

Beitragvon Prudentius » Sa 5. Sep 2015, 09:52

Das Distichon enthält acht Verben, aber weder Substantiv noch Adjektiv!

Man kann es als eine Art Gründungsmanifest der subjektiven Liebeselegie der Römer ansehen, sie gehört ja zu den wenigen Literaturgattungen, die die Römer unabhängig von den Gr. hervorgebracht haben, neben der Satire; ihre Hauptvertreter waren die drei Augusteer Properz, Tibull und Ovid.
Properz nimmt ja gleich in seiner ersten Zeile das Motiv des excrucior auf: "Cynthis prima suis miserum me cepit ocellis", die miseria des Elegikers war sprichwörtlich, er war hilflos den Launen der spröden Schönen ausgeliefert. So lässt sich auch verstehen, dass Augustus dieses Bild des jammervollen Mannes missfallen hat, da er ja das Römertum erneuern und stärken wollte, auch durch Familienpolitik; und dass er Ovid so ungnädig behandelt hat.
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Re: ODI ET AMO

Beitragvon Tiberis » Sa 5. Sep 2015, 13:22

hassen und lieben zugleich: du fragst, warum ich das tue?
weiß nicht. doch dass es geschieht fühl' ich und quäl' mich dabei.
ego sum medio quem flumine cernis,
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Re: ODI ET AMO

Beitragvon marcus03 » Sa 5. Sep 2015, 14:00

Klasse ! :klatsch: :hail:

Non solum Catulli Nasonesque sed etiam Goethe-i Schillerique tibi invideant !
Cum nostro Z. et c. antiquos poetas Romanos timere docere iamdudum coepisti. ;-)
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