ODI ET AMO

Das Forum für professionelle Latinisten und Studenten der Lateinischen Philologie

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

ODI ET AMO

Beitragvon Sokrates Palaios » Di 5. Jun 2007, 22:54

poemata dilecta legens alterius poematis mihi dilecti memini:
Zu finden bei Catull, lib. 85

odi et amo, quare id faciam fortasse requiris
nescio sed fieri sentio et excrucior.

Ein wunderbares Gedicht, aber wie schwierig eine deutsche Übersetzung, die den ganzen Inhalt in die knappe Form des Distichons bringt. Mörike hat es übersetzt und bestätigt, dass er sich sehr lange damit beschäftigt hat (den literarischen Beleg finde ich jetzt leider nicht mehr). Hier Mörike:

Hassen und lieben zugleich muss ich. - Wie das? Wenn ich`s wüsste!
Aber ich fühl`s und das Herz möchte zerreißen in mir.

Hier eine Übertragung von W. Eisenhut, Catull, lat.-deutsch, Heimeran Verlag 1960:

Hass erfüllt mich und Liebe. Weshalb das? so fragst du vielleicht mich.
Weiß nicht, doch dass es so ist, fühl ich und quäle mich ab.

Raoul Schrott bringt in "Die Erfindung der Poesie" Eichborn Verlag 1997
eine Übertragung, die ich ziemlich unpoetisch finde:

ich hasse und liebe - warum fragst du vielleicht
ich weiß es nicht ich fühl`s - es kreuzigt mich

Und hier mein Versuch:

Ja, ich hasse und liebe! "Wie ist das nur möglich?" so fragst du.
Weiß nicht, aber ich fühl`s; und es zerreißt mir das Herz.

Ich finde, das kleine Liedchen ist es wert, dass ihr euch auch damit beschäftigt.

Fac audeas!
salutem plurimam vobis
οἶδα οὐκ εἰδώς
Benutzeravatar
Sokrates Palaios
Censor
 
Beiträge: 714
Registriert: Mi 9. Nov 2005, 16:01
Wohnort: Alte Kurpfalz

Beitragvon consus » Di 5. Jun 2007, 23:28

Ein Anlass zur Freude, o Sokrates, wieder einmal dieses perfekte Catullianum zu lesen. Suchen wir doch zum Vergleich auch nach Übersetzungen in andere Sprachen. Hier zwei italienische (Zufallsfunde im Netz):

Code: Alles auswählen
Odio e amo. Perché io faccia questo, forse domandi.
    Non lo so. Ma sento che accade e mi tormento.

Odio ed amo. Chiederai come faccia!
    Non so, ma avviene ed è la mia tortura.

Felicissimam noctem!
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Beitragvon Michael » Mi 6. Jun 2007, 10:56

Ein paar Übersetzungen, die mir recht gut gefallen, wären ...

F. Pressel (1860)
Hass und Liebe zugleich durchglüht mich. Weswegen? Ich weiß nicht,
Aber ich fühl's nun einmal, fühl es mit höllischer Pein.

W. Amelung (1911)
Haß und Liebe mein Leben! Warum? Ich kann es nicht sagen;
Blindlings folg ich dem Trieb, ernt' ich auch Marter und Tod!

W. Herlitschka (1948):
Hassen und lieben, warum ich es tue, das magst du wohl fragen.
Weiß ich's doch nicht, nur wie's tut, fühl ich und hänge am Kreuz.


Meine eigene Übersetzung im letztjährigen Lateinunterricht lautete:

Ich hege Gefühle des Hasses und der Liebe. Vielleicht kommt dir die Frage in den Sinn, weswegen ich dies tue?
Es ist mir selbst schleierhaft; doch ich fühle diese Geschehnisse und sie zerreißen mich innerlich.


Hier gibt es auch die Orffsche Vertonung des Orginalgedichtes zu hören:
http://gesangsverein-theiss.heim.at/musik/odietamo.mp3
Zuletzt geändert von Michael am Mi 6. Jun 2007, 12:13, insgesamt 1-mal geändert.
Michael
Quaestor
 
Beiträge: 53
Registriert: Sa 28. Okt 2006, 22:48
Wohnort: BW

Beitragvon consus » Mi 6. Jun 2007, 11:43

Salvete, amici Catulliani!
Michael zitiert die von Herberth E. Herlitschka angefertigte Übersetzung von c. 85. Sie ist nachzulesen in Herlitschkas Übersetzung von Thornton Wilders romanhaftem Pseudotatsachenbericht „The Ides of March“ (Kap. XIII-B). In diesem Buch spielt Catull überhaupt eine nicht unbedeutende Rolle. (Obiter dictum: Herlitschkas Formulierung „hänge am Kreuz“ halte ich aus nahe liegenden Gründen für völlig deplatziert.) Auch in einem anderen Werk der englischsprachigen Literatur findet Catulls Distichon Beachtung, nämlich in Thomas Wolfes „Look Homeward, Angel“ (1929).
:book:
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Beitragvon Michael » Mi 6. Jun 2007, 12:23

consus hat geschrieben:Sie ist nachzulesen in Herlitschkas Übersetzung von Thornton Wilders romanhaftem Pseudotatsachenbericht „The Ides of March“ (Kap. XIII-B).


Oder zu deutsch auch "Die Iden des März" ... Ist überhaupt ein recht interessantes Buch, und das sage ich, obschon mir Wilder ansonsten nicht allzu sehr zusagt.

consus hat geschrieben:Herlitschkas Formulierung „hänge am Kreuz“ halte ich aus nahe liegenden Gründen für völlig deplatziert.


Die da wären?
Michael
Quaestor
 
Beiträge: 53
Registriert: Sa 28. Okt 2006, 22:48
Wohnort: BW

Beitragvon consus » Mi 6. Jun 2007, 12:45

Ut paucis dicam: Mich stören hier im Kontext die christlichen Assoziationen, die sich beim Lesen dieser Formulierung aufdrängen. Anderen mag es anders ergehen.
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Beitragvon Michael » Mi 6. Jun 2007, 12:49

Ich kenne mich mit der Etymologie des Wortes nicht aus, aber steckt bei "excruciare" nicht das Kreuz (crux, crucis) schon im Wort und ist Herlitschkas Übersetzung dann nicht sogar besonders genau?
Michael
Quaestor
 
Beiträge: 53
Registriert: Sa 28. Okt 2006, 22:48
Wohnort: BW

Beitragvon consus » Mi 6. Jun 2007, 13:24

Richtig gesehen, aber diese Art der Genauigkeit führte m. E. hier zu einer unglücklichen Wiedergabe von ex-cruc-iare. Ein schönes Beispiel dafür, welche Probleme beim Übersetzen auftreten können.
Servus.
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Beitragvon Michael » Mi 6. Jun 2007, 13:44

Dann sagt dir auch P. Mahns Übertragung (1918) nicht sonderlich zu?

Liebe heg ich und Haß. Fragst du, warum ich es tue?
Weiß nicht. Doch es geschieht, fühl ich und kreuzige mich.
Michael
Quaestor
 
Beiträge: 53
Registriert: Sa 28. Okt 2006, 22:48
Wohnort: BW

Beitragvon Sophokles » Mi 6. Jun 2007, 15:41

Ich möchte an dieser Stelle noch eine englische Übersetzung von Ezra Pound anführen:

I hate and love. Why? You may ask but
It beats me. I feel it done to me, and ache.


Meine "Lieblingsübersetzung" stammt von Otto Weinreich, 1960:

O, ich hasse und liebe! Weshalb ich es tue, du fragst´s wohl.
Weiß nicht! Doch dass es geschieht, fühl ich - unendlich gequält.

Drei Jahre später hat R. Helm folgende Übersetzung hervorgebracht, die bei mir keinen Anklang fand:

Hassen tu ich und lieben. Warum ich´s tue, so fragst du.
Weiß nicht. Doch dass ich es tu´, fühl ich und martre mich ab.

Hierbei stört mich insbesondere die zu häufige Verwendung des Wortes "tun"!
Benutzeravatar
Sophokles
Praetor
 
Beiträge: 107
Registriert: Sa 25. Nov 2006, 19:43

Beitragvon Michael » Mi 6. Jun 2007, 16:04

Mich stören allgemein diese ganzen Übersetzungen (gibt ja noch einige mehr davon), bei denen das "nescio" mit "weiß nicht" übersetzt wird (ohne "ich"). Das klingt zu bruchstückhaft, zu modern, das passt nicht in die sonst teilweise kunstvoll ausgearbeitete Lyrik ...
Michael
Quaestor
 
Beiträge: 53
Registriert: Sa 28. Okt 2006, 22:48
Wohnort: BW

Beitragvon Sophokles » Mi 6. Jun 2007, 16:08

Ja, das "weiß nicht" ist relativ häufig, aber ich denke, dass es sonst schwierig wird, das Gedicht noch in Form eines Distichons zu schreiben, da alles andere evtl. schon zu lang wird.

So schreibt z.B. M. v. Albrecht 1995 seinen zweiten Vers:

Ich weiß es nicht, aber ich fühle, dass es mir widerfährt und leide Qualen.

Hier ist der zweite Vers viel zu lang, der erste nämlich lautet:

Ich hasse und liebe. Warum ich das tue, fragst du vielleicht.

Diese Übertragung hat mir damals am wenigstens gefallen.
Benutzeravatar
Sophokles
Praetor
 
Beiträge: 107
Registriert: Sa 25. Nov 2006, 19:43

Beitragvon Apollonios » Mi 6. Jun 2007, 17:58

Bruno Snell schreibt dazu in Neun Tage Latein. Plaudereien (Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 1955):

"Hassen und lieben zugleich muß ich. Wie das? - Wenn ich's wüßte!
Aber ich fühls, und das Herz möchte zerreißen in mir.

Dies ist eines der meistübersetzten lateinischen Gedichte, und soviele Übertragungen ich kenne, die Mörikes scheint mir die schönste. Und trotzdem: wie viel ist auch bei ihm verlorengegangen. Wenn ich nun an diesem Beispiel zeige, wie unzulänglich das Übersetzen ist, so wahrhaftig nicht, um Mörike etwas am Zeug zu flicken, denn, wie gesagt, seine Übertragung ragt unter allen hervor. Aber durch solchen Vergleich des Originals mit der Übertragung können wir uns die Schönheiten der Catullschen Verse besonders eindringlich klarmachen.
Schon der Anfang stellt den Übersetzer vor eine unüberwindliche Schwierigkeit. Er kann odi et amo nicht, wie es natürlich und angemessen wäre, wiedergeben mit: "Ich hasse und liebe" - denn der Hexameter fordert am Anfang eine betonte Silbe (...). Mörike hilft sich - nicht ungeschickt - durch "Hassen und Lieben zugleich muß ich". Das hat aber den Nachteil, daß er statt 1 1/2 Versfuß 3 1/2 nötig hat, - und damit ist der prägnante programmatische Anfang zerdehnt und um seine lapidare Wirkung gebracht. Es kommt hinzu, daß durch das "muß ich" vorweggenommen wird, was sich bei Catull erst im Lauf der ersten 1 1/2 Verse entwickelt: denn in der Frage: quare id faciam, wird zunächst die Möglichkeit offen gehalten, daß Catull dieses zwiespältige Gefühl als eigene Tätigkeit hervorbrächte, und erst in dem fieri sentio kommt heraus, daß er (...) fühlt, wie dies mit ihm gemacht wird, daß es ihm geschieht. Die wesentlichste Anmerkung Mörikes aber ist, daß er den gedachten Gesprächspartner Catulls ausgeschaltet hat. Catull sagt: quare id faciam, fortasse requeris, (...) - während bei Mörike der Dichter sich selbst den Einwand macht: "Wie das?" - und gleich antwortet: "Wenn ich's nur wüßte." (...)
Die antike Lyrik ist nicht ein Selbstgespräch des einsamen Herzens, sondern richtet sich immer an ein Gegenüber, sei es die Gottheit, sei es der Kreis derer, in deren Gesellschaft der Dichter sich befindet, sei es ein Einzelner, der Freund, die Geliebte, der Feind usf.
Hier bei Catull sind wir gewissermaßen an der Grenze der antiken Form: die Anrede ist noch beibehalten, aber eigentlich ist das Gedicht schon ein einsamer Herzensausbruch. (...) Mörike (...) hat (...) das Gedicht (...) wesentlich modernisiert.
Aus dem nüchternen "nescio" macht Mörike den Seufzer: "Wenn ich's nur wüßte!" Und auch der Schluß, so schön er ist, sentimentalisiert ein wenig: statt "ich werde zermartert", heißt es: "das Herz möchte zerreißen in mir". Catull spricht nicht vom Herzen und nicht davon, daß es etwas möchte, sondern stellt hart nur die Tatsache fest, daß er zu Tode gequält wird."
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon Tiberis » Mi 6. Jun 2007, 18:08

salvete,

angesichts dieser zahlreichen varianten sollte es auf eine mehr auch nicht ankommen :)

odi et amo, quare id faciam fortasse requiris
nescio sed fieri sentio et excrucior.


ja, ich hasse und liebe. warum? so fragst du vielleicht mich.
weiß ich nicht. doch das gefühl, dass es geschieht, quält mein herz.
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
Benutzeravatar
Tiberis
Pater patriae
 
Beiträge: 11872
Registriert: Mi 25. Dez 2002, 20:03
Wohnort: Styria

Beitragvon Apollonios » Mi 6. Jun 2007, 19:15

amici illustrissimi,

jetzt versuch ich es auch mal:

Liebe und Haß in mir! Warum? Ich kanns dir nicht sagen -
spür nur, daß es so ist und daß es mich zerreißt.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Nächste

Zurück zu Lateinische Philologie



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 16 Gäste