von consus » Do 9. Aug 2007, 11:17
Heute soll auf eine etwas ungewöhnliche Übersicht über die lateinische Literatur hingewiesen werden. Sie findet sich im Kapitel III des 1884 erschienenen Romans À rebours (Gegen den Strich) des Franzosen Joris-Karl Huysmans (dt. von Walter und Miriam Münz, Reclam Stuttgart, 1992), und zwar in der Beschreibung der lateinischen Bibliothek eines gewissen Herrn des Esseintes, der im Mittelpunkt des Romans steht (Reclamausgabe, S. 55-69). Hier in Auswahl einige dort zu lesende Einschätzungen des Esseintes’ zu verschiedenen lateinischen Autoren.
Vergil: „einer der schrecklichsten Federfuchser, einer der heillosesten Langweiler, die die Antike je hervorgebracht hat. Seine gewaschenen und geschniegelten Schäfer, die sich einer nach dem anderen mit Kübeln voll schulmeisterlicher und unterkühlter Verse überschütten... Aeneis... der Bau dieser Hexameter, die nach Blech, nach hohlen Milchkannen klangen und ihre literweise abgefüllten Wortquantitäten gemäß der unverrückbaren Verordnung einer trockenen und pedantischen Prosodie ausdehnten...“ (S. 56 f.).
Horaz: „... sein Abscheu vor Horazens elefantösen Reizen, vor dem Stammeln dieses trostlosen Tölpels, der die gipsernen Scherze eines alten Clowns affektiert...“ (S. 57).
Cicero: „In der Prosa reizten ihn die schwatzhafte Sprache, die redseligen Metaphern, die unverständlichen Abschweifungen der Kichererbse nicht viel mehr... die Emphase seines Gewäschs, die wuchtige Masse seines fleischigen, satten, aber verfetteten, marklosen und entbeinten Stils...“ (ibd.).
Caesar: „...eine kaltschnäuzige Dürre, eine merkbuchhafte Sterilität, eine unglaubliche und ungebührliche Hartleibigkeit“ (S. 58 ).
Petronius: „Der Autor..., den er wahrhaft liebte..., ein feiner Analytiker und wundervoller Schilderer; ruhig, ohne Parteilichkeit oder Haß, beschrieb er das tägliche Leben in Rom, erzählte in den hellwachen kleinen Kapiteln des ‚Satyricon’ von den Sitten seiner Epoche... entrollte er das Alltagsleben des Volkes, seine Episoden, seine Roheiten und Brünste“ (S. 58 f.).
Apuleius: „Dieser Afrikaner erfreute ihn; in seinen ‚Metamorphosen’ war die lateinische Sprache auf ihrem Höhepunkt. Sie führte Schlick und die verschiedensten Wasser, die aus allen Provinzen angeschwemmt waren, mit sich...“ (S. 61).
Commodianus: „...in volkstümlichen Hexametern, die Zäsuren nach der Weise des heroischen Verses aufwiesen, ohne Rücksicht auf Quantität und Hiatus geformt und oft von Reimen begleitet waren... Diese gezwungene, düstere, Lohe dünstenden Verse voll umgangsspachlicher Ausdrücke und Wörter, ..., interessierten ihn mehr als der immerhin überreife und schon grünspanige Stil der Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus und Aurelius Victor...“ (S. 63).
Und so geht es weiter bis ins 10. Jahrhundert. Man lese selbst und erfreue sich an dieser reizvollen, zum Widerspruch herausfordernden Lektüre.