Krux: Vergil, Aeneis 2. 587

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Krux: Vergil, Aeneis 2. 587

Beitragvon Cellus » So 28. Okt 2007, 15:51

Also, es geht um die Krux folgender Textstelle, über die wir im Rahmen eines Vergil Seminars nachdenken sollen:

non ita. namque etsi nullum memorabile nomen
feminea in poena est nec habet victoria laudem
exstinxisse nefas tamen et sumpsisse merentis
laudabor poenas, animumque explesse iuvabit
ultricis flammae et cineres satiasse meorum.*


* Vergili opera, recogn. brevique adnot. crit. instruxit Fredericus Arturus Hirtzel (Oxford 1956)

Ich habe mir schon meine Gedanken gemacht, möchte mir aber andere Meinungen einholen und je nachdem, ob es tatsächlich eine Crux ist, auch eine Diskussion anregen, um mal zu sehen, wie man an solche Überlieferungsprobleme herangehen kann. Vielleicht hat auch der ein oder andere einen Kommentar zu Hause liegen, einen solchen ich bisher noch nicht heranziehen konnte.

Wenn ich meinen textkrit. Apparat richtig verstehe, entschieden sich die meisten Editoren für flammae statt famae oder famam. Letzteres wird von Servius überliefert, worauf sich Deuticke stützt, so auch (et) habet haec statt nec habet, das wiederum von den editores plerique für richtig befunden wurde.

Meine Überlegung setzt bei bei nec habet an, dass ich dem (et) haec habet vorziehe, weil der Inhalt somit auch syntaktisch gegliedert wird: Aeneas, der überlegt, Helena umzubringen, charakterisiert die Bestrafung einer Frau zunächst als etwas Negatives (nullum memorabile nomen; nec habet victoria laudem). Die Konzession, dass die Tötung aber dennoch etwas Gutes in sich birge, folgt im nächsten Vers (exstinxisse nefas usw.) und wird durch tamen syntaktisch unterstrichen. Deshalb ist folglich (et) haec habet zu verwerfen.

Und weil nun Servius auch ultricis famam statt ultricis flammae überliefert, halte ich auch hier das von Servius nicht überlieferte für zutreffender, davon ausgehend, dass Servius sich auf nur eine einzige HS oder Version stützt, die für die hier zitierte Passage fehlerhaft zu sein scheint.

So richtig überzeugt mich das selbst noch nicht, zumal ich das Werk des Servius im Einzelnen nicht kenne. Aber soweit erst mal. Anregungen ? :)
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Beitragvon Cellus » Mi 31. Okt 2007, 13:53

Solche Anfragen sind offenbar doch zu vorbereitungsintensiv für das schnelltriebige Internet. Soll kein Vorwurf sein, denn beim Verfassen des Strangs habe ich selbst gemerkt, dass man sich doch zunächst geduldig in die Sachlage eindenken muss, um das Problem zu verstehen und vor allem um lösungsrelevante Argumente anführen zu können. Ich habe gestern einen Artikel zu der äußert umstrittenen Passage, Aen. 2. 567-88, bei Jstor gefunden, der einiges an Konzentration und Geduld abverlangt. Naja, so erkläre ich mir jedenfalls die ungewohnte Stille zu dieser Sache. Da sich eventuell doch noch jemand dazu äußern möchte, lasse ich den Strang aber weiterhin bestehen.
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Re: Krux: Vergil, Aeneis 2. 587

Beitragvon romane » Mi 7. Nov 2007, 17:53

Cellus hat geschrieben:Meine Überlegung setzt bei bei nec habet an, dass ich dem (et) haec habet vorziehe, weil der Inhalt somit auch syntaktisch gegliedert wird: Aeneas, der überlegt, Helena umzubringen, charakterisiert die Bestrafung einer Frau zunächst als etwas Negatives (nullum memorabile nomen; nec habet victoria laudem). Die Konzession, dass die Tötung aber dennoch etwas Gutes in sich birge, folgt im nächsten Vers (exstinxisse nefas usw.) und wird durch tamen syntaktisch unterstrichen. Deshalb ist folglich (et) haec habet zu verwerfen.

Gerade deshalb verwerfe ich es nicht!
Eien Frau umzubringen ist nichts löbliches - aber dennoch ein Sieg und man könnte einen Doppelpunkt setzen und findet die Erklärung
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Beitragvon Cellus » Di 13. Nov 2007, 11:32

Hi, Romane, wenn ich das richtig verstanden habe, versucht du das Problem durch die Interpunktion zu lösen ? Um sicher zu gehen, es richtig erfasst zu haben, möchte ich dich bitten, deine Edition dieser Passage aufzuschreiben.

Mit der Interpunktion rechtfertigt übrigens auch Austin die Lesung habet haec statt nec habet:

namque etsi nullum memorabile nomen
feminea in poena est, habet haec victoria laudem
exstinxisse nefas tamen, et sumpsisse merentis
laudabor poenas.


(R.G. Austin, Virgil Aeneid 2.567-88 )

Allerdings räumt er wiederum ein, dass es ungewöhnlich sei, dass tamen folglich soweit hinten steht, zumal "the rhythm lumbers".
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Beitragvon romane » Di 13. Nov 2007, 18:11

583 ...namque etsi nullum memorabile nomen
584 feminea in poena est, habet haec victoria laudem
585 exstinxisse nefas tamen, et sumpsisse merentis
586 laudabor poenas, animumque explesse iuvabit
587 ultricis famae et cineres satiasse meorum.


etsi...tamen als Rahmen einer allgemeinen These
statt TAMEN, (Komma) setze ich tamen: (Doppelpunkt)
es folgt die Schlussfolgerung
Die Freiheit ist ein seltsames Wesen - wenn man es gefangen hat, ist es verschwunden

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Beitragvon Cellus » Do 15. Nov 2007, 11:21

Dein Vorschlag erschwert aber meiner Meinung nach die eindeutige Zuordnung der negativen Aspekte zu etsi und der positiven zu tamen. Ich halte die symmetrische Gestaltung der Syntaktik vielleicht nicht unbedingt für zwingend, aber sie erscheint mir plausibler, zumal die Ungewöhnlichkeit, tamen ans Ende der Aussage zu stellen, auf die es sich bezieht, bestehen bleibe. Ich nehme an, du verbindest dann auch habet haec victoria laudem mit exstinxisse nefas und nicht, wie ich, mit laudabor. Hier stellt sich nun die Frage, welche der beiden Phrasen stilistisch "stimmiger" ist, wenn die Passage denn überhaupt aus Vergils Hand stammt, was ich der Einfachheit halber erst mal annehme. Dazu kenne ich aber Vergils Latinität zu wenig, aber ich lasse mich natürlich gerne aufklären.

Ein Argument Austins wäre allerdings noch, dass haec notwendig sei, um das unbestimmte victoria durch haec zu konkretisieren, also mit feminea in poena est gedanklich zu verknüpfen. Demnach wäre natürlich nec habet victoria laudem auch nicht unproblematisch.
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Beitragvon Latein-Fan » Do 7. Feb 2008, 15:29

Und wieder einmal lässt die Crux philologorum die Leute im Kreis tanzen.....und beide Möglichkeiten gelten, weshalb sie sich von selbst wieder rechtfertigt - > ein Teufelskreis :nixweiss:

Man entscheide sich für eine überlieferte Version und genieße den Textinhalt. :cool2:

Mit besten Grüßen

Fautor
Multo maxumum bonum patriae, civibus, tibi, liberis, postremo humanae genti pepereris, si studium pecuniae aut sustuleris aut, quoad res feret, minueris. (Sallust in seinem 2. Brief)
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