Jägerlatein

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Beitragvon CP » Do 15. Mai 2008, 21:07

Salvete!

Wer würde sie nicht kennen, die Beschreibungen des Einhornes, des Elchfanges und des Auerochsen in Caesars Gallischem Krieg VI, 26-28!

Der waidgerechte Fang der Alces gefällt mir dabei am besten, die Einhörner hatte ich mir ein klein wenig anders vorgestellt.

Diese Geschichtchen stammen ja nicht von Caesar, sondern sind später hinzugefügt worden, sind in meiner Ausgabe deshalb auch in eckige Klammern gesetzt.

Weiß man etwas über deren Entstehungsgeschichte? Die von meinem Lateinlehrer gegebene Information, diese Kapitel seien erst im Mittelalter hinzugefügt worden, befriedigt nicht so sehr. Dieses dauerte ja bekanntlich recht lange und manchmal frage ich mich, ...

Es muß doch auch eine gewisse Absicht dahinter gesteckt haben, diese Kapitel den Commentarii hinzuzufügen. Wisst Ihr da Näheres?

Nikolaos Petros
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Beitragvon Princeps » Do 15. Mai 2008, 23:03

Hallo, CP!

Stellt sich doch zunächst einmal die Frage, ob die von dir vorausgesetzte Interpolation zweifelsfrei erwiesen ist / werden kann. In der Ed. Oxoniensis (ca. 100 Jahre, nur Nachdrucke), doch auch in der Teubneriana von Hering (1987) - er hat sich intensiv mit den Interpolationen (Prooemium) bei Caesar beschäftigt - sehe ich keine eckigen Klammern. Nach M. von Albrecht (Gesch. d. röm. Lit. I,341, 2. Aufl. 1994) wird die "Frage der Interpolationen... für die Exkurse des Bellum Gallicum ... heute meist im Sinne der Echtheit beantwortet. Lediglich der zoologische Exkurs (6.25-28) muß Caesar wohl abgesprochen werden."
[Leider will das Mondgesicht nicht aus dem Zitat verschwinden.]
Du musst in solchen Fällen beim Verfassen des Beitrags ein Häkchen bei Smilies in diesem Beitrag deaktivieren machen.
Clemens


Ansonsten kurz H. Oppermann, Caesar (1968), 80:
"Die Textprobe, die den Schriftsteller Caesar von einer anderen Seite, als Ethnographen und Geographen, zeigt, läßt erkennen, daß er hier nicht ... auf eigener Anschauung oder auf Augenzeugenberichten fußt. Man benutzte damals für diese Zwecke sehr viel die griechische und römische Überlieferung, die schriftlich vorlag, und gerade die fabelhaften Tiere der letzten Abschnitte sind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Jägerlatein, das Caesar sich bei den Germanen aufbinden ließ, sondern stammen aus älterer griechischer Literatur, die von unbekannten Ländern romanhaft ausgeschmückte Schilderungen gab."

Warten wir, was die Experten meinen!

Gruß Princeps
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Beitragvon Zythophilus » Fr 16. Mai 2008, 07:43

SALVETE
Nachdem die märchenhafte Beschreibung des Hercyn. Waldes einige Zeit generell als Interpolation qualifiziert worden ist, gibt es heutzutage wieder mehr Stimmen, die für ihre Echtheit sprechen. Dazu kommt noch die Möglichkeit, dass der Abschnitt zwar von Caesar stammt, aber nicht zum BG gehört.
Vermutlich wird die Frage nicht endgültig beantwortet werden; es hängt davon ab, welchen Argumenten man Glauben schenken will.
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Caes. Gall. 6, 25-28

Beitragvon consus » Fr 16. Mai 2008, 08:29

Salvete, amici.
Ohne auf Detailfragen hier eingehen zu wollen, die anderenorts behandelt worden sind, stimme ich - auch angesichts des Wörtchens wohl bei Michael von Albrecht - immer noch dem zu, was Otto Seel im app. crit. seiner Bellum-Gallicum-Edition (Teubner Lpz 1968, S. 192) schreibt (Hervorhebungen von mir):
cap. 25-28 del. Meu., A. Kl., Jachm., Fu., def. Beckmann., Oppermann Barwick; non pauci viri docti (e.g. Co. et A.Kl.) aliis temporibus aliter iudicaverunt; rem intricatam, quaestionis litem adhuc sub iudice esse nemo est qui nesciat...
Seel, der übrigens auch keine eckigen Klammern setzt, verweist dann auf die S. LX-LXIII seiner praefatio. Dort lesen wir (S. LX):
quae ... de silva Hercynia narrantur, certe non sunt indigna quae legantur, nam sunt antiquissima fere et pretiosissima documenta eius imaginis harum rerum, quae Caesaris fere temporibus apud coaequales valebat. ne discipulis quidem invideatur risus ille, quem de alcium venatione narratio (VI 27) excitare solet: ne Caesarem ideo ut stultum et infantili credulitati succumbentem credant, non nimis timendum sit, dummodo ceterum recte legitur et intellegitur; nam me ipsum his – quae nobis sunt – ineptiis non tantopere offendi haud taceam, cum comparem quam mira et incredibilia et nobis facillime refellenda etiam apud Xenophontem sive apud Nearchum – balaenas cetosve tubarum sonitu repellentem: Arrian. Ind. 29 – aliosve minime contemnendos auctores de regionibus ignotis barabarisque bona fide referantur.
Hier stehen wir nun wieder „und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen."
Schönes Wochenende!
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Beitragvon CP » Fr 16. Mai 2008, 10:55

Salvete,


vielen Dank für eure umfangreichen Antworten!

Mir fällt im Zusammenhang mit solchen Geschichtchen noch der Physiologus ein, den wir, gleichsam zur Entspannung, zusätzlich zur regulären Lektüre, immer mal wieder abschnittsweise, in lateinischer Sprache zum Lesen bekamen.

Ist das griechische Original des Physiologus überhaupt überliefert?

Ich habe an solchen Darstellungen meine rechte Freude und möchte mich demnächst auch intensiv mit der Naturgeschichte des älteren Plinius auseinadersetzen.

Könnt ihr mir weitere Leseempfehlungen in diesem Bereich geben?

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Beitragvon CP » Fr 16. Mai 2008, 11:06

kurze Ergänzung:

Habe den Physiologus eben auf Griechisch - leider in lat. Schrift transliteriert -
im Internet entdeckt.

Nikolaos Petros[/b]
Zuletzt geändert von CP am Fr 16. Mai 2008, 20:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon consus » Fr 16. Mai 2008, 11:07

Servus.
Physiologos bei reclam, gr./dt., übers. v O. Schönberger. Wohlfeile Ausgabe, ca. 6 €.
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Beitragvon CP » Fr 16. Mai 2008, 11:22

Vielen Dank! Bestelle ich gleich!


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Beitragvon consus » Fr 16. Mai 2008, 11:26

Addendum:
Neben Plin. nat. 8-11 u. a. auch interessant Isid. orig. 12. Kostprobe aus Isidor (12, 4, 20): Amphisbaena dicta, eo quod duo capita habeat, unum in loco suo, alterum in cauda, currens ex utroque capite, tractu corporis circulato... Plin. nat. in zweispr. Ausg. in der Reihe Tusculum (Plinius, Naturkunde).
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Beitragvon Didymos » Fr 16. Mai 2008, 13:58

Saluete,
Nachdem die märchenhafte Beschreibung des Hercyn. Waldes einige Zeit generell als Interpolation qualifiziert worden ist, gibt es heutzutage wieder mehr Stimmen, die für ihre Echtheit sprechen.

Uns wurde im Proseminar eher das Gegenteil vermittelt : Während man früher geteilter Ansicht war, würde die neuere Forschung kaum noch für die Echtheit votieren.

In meiner Bibliographie finde ich folgenden Aufsatz :

R. Henke, Jägerlatein in Caesars Bellum Gallicum (6, 25–28) : Original oder Fälschung? Gymnasium 105, 1998

Laut meinem damaligen Dozenten, wenn ich mich richtig erinnere, habe dieser Aufsatz bewiesen daß die Stelle nicht von Caesar stammt...

Oder gibt es wieder neuere Untersuchungen?

Grüße,
Didymos
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Beitragvon romane » Fr 16. Mai 2008, 17:36

ja - Elche haben starre Beine, wenn man sie nur im Wasser stehen sieht - vielleicht war es bei dem Augenzeugen so :?
Die Freiheit ist ein seltsames Wesen - wenn man es gefangen hat, ist es verschwunden

www.mbradtke.de
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Beitragvon CP » Di 10. Jun 2008, 10:38

Servus,


im Physiologos sind es übrigens, wie ich seit gestern Abend weiß, die Elefanten, die sich mangels Kniegelenks, zum Schlafen gegen Bäume lehnen.

Dann wird der Text allerdings ziemlich allegorisch und man fragt sich, weshalb sich die Elefantenfänger überhaupt die Mühe geben, den Schlafbaum anzusägen.

Nikolaos Petros (mit beginnender Kniearthritis)
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Beitragvon consus » Di 10. Jun 2008, 18:00

Salvete, amici.
Noch etwas zum Jägerlatein (insb. Caes. Gall. 6, 27). Henke erwähnt in dem von Didymos erwähnten Aufsatz (l. c., S. 137; s. o. 16.05.08) eine Stelle aus Ambrosius’ Hexameron libri VI, und zwar 6, 32 (387 n. Chr.). Wir lesen da über die Elefanten:
Namque arbori innixi aut costas fricant, aut in somno sese relaxant, quae nonnumquam victa atque inflexa tanto corpore frangitur: ille vero, qui sese in eamdem refuderat, corruit nec erigere atque elevare se potest, ibique iacens interit, aut gemitu suo proditus sternitur, dum ventre ceterisque iuxta mollioribus ad vulnus patet. Nam dorsum eius ceteraque exteriora non ulla facile solent tela penetrare. Sunt autem, qui propter ebur has illis insidias parant; ut arbores eas, quibus se applicare consueverint, ex alia parte, qua infrequentior usus ei sit, aliquantulum recidant, ut reflectente se elephanto pondus membrorum eius sustinere non possit ruinamque eius arcessat.

Man vergleiche diese Worte mit Gall. 6, 27. Zum Teil wörtliche Übereinstimmungen in Formulierungen wie z. B. se applicare, die sich weder bei Plinius maior noch bei Solinus fänden, die Caesars Angaben benutzt hätten, seien, so Henke, als weiterer Beweis dafür anzusehen, dass es sich bei den sog. Jägerlatein-Texten um einen ausschmückenden Zusatz eines späteren Interpolators handeln müsse. Cicero habe in seinem Brutus (262) da schon eine gewisse Ahnung gehabt (...illa calamistris inurere).
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Caes. Gall. 6, 26, 1.

Beitragvon consus » Do 12. Jun 2008, 11:17

Allen Freunden des edlen Waidwerks und Caesarlesern einen Gruß zuvor!

Kleine Randbemerkung zu Caes. Gall. 6, 26, 1 (inter aures unum cornu). In Italien, so wird berichtet, sei ein Reh mit einem einzigen Horn in der Mitte des Kopfes entdeckt worden. Möglicherweise handle es sich um eine genetische Fehlbildung, die die Entstehung des Einhornmythos verursacht haben könnte. Ein Photo zeigt das Tier: http://science.orf.at/science/news/151768. Vielleicht handelt es sich dabei aber um eine Photographie, die mit modernen Bildbearbeitungsprogrammen in entsprechender Weise verändert wurde... (mein Verdacht).
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Beitragvon CP » Do 12. Jun 2008, 12:11

Salvete!

Die Berichte über die Elche und Einhörner stimmen selbstverständlich! Die Beschreibung der Ure entspringt aber wildestem Köhlerglauben. :lol:
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