Sueton

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Sueton

Beitragvon CP » So 3. Aug 2008, 16:48

Salvete,

lebte Sueton in der Gegenwart, er wäre Redakteur bei Die Bunte! Dieses Eindruckes kann ich mich bei meiner derzeitigen Lektüre nur sehr schwer erwehren.

Am julisch-claudischen Haus will er keinen guten Fetzen lassen. Der arme Clau - Clau - Claudius!


Wie verlässlich ist Sueton eigentlich in seinen Angaben?


Viele Grüße
CP
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Beitragvon Marcus » Sa 16. Aug 2008, 14:36

Ausschnitt aus dem Artikel zu Sueton im Neuen Pauly:
"Der Umgang mit den Quellen - im wesentlichen denselben, die Tacitus benutzte (Cluvius Rufus, Plinius d. Ä., dazu Archivmaterial und Privatbriefe der Kaiserfamilien) - hält sich im Rahmen des in der Ant. Üblichen und konzentriert sich keineswegs auf die chronique scandaleuse. Daher tritt nun diese “histor.-private Biographie” gleichberechtigt neben die pragmatische Form der Annalen (Annalistik) und Historien, wenn auch mit gewisser Verschiebung des Anspruchs vom Nutzen zur Unterhaltung."

Dort finden sich auch weitere Literaturhinweise.
οἱ γὰρ ῾Ελλήνων λόγοι πολλοί τε καὶ γελοῖοι, ὡς ἐμοὶ φαίνονται, εἰσίν
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Beitragvon Catilina coniuratus » Mo 25. Aug 2008, 12:17

Hallo allerseits. Ich melde mich mal mit meinem ersten Beitrag zu Wort.

Im Rahmen meiner Examensarbeit habe ich mich ausgiebig mit Sueton beschäftigt. Ein Autor der "Bunte" wäre er kaum gewesen, selbst wenn man das auf dem ersten Blick meinen könnte. Wahrscheinlich kommt man schnell zu dieser Ansicht, wenn man Erzähltechnik und -tradition außer Acht läßt, was ohne weiteres nicht zulässig ist.

Antike Biographien haben immer einen sehr subjektiven Beigeschmack, aber ein genauerer Blick verrät hier mehr. Suetons Anspruch bestand darin, Sachverhalte meist lückenlos darzustellen bzw. aufs Wichtigste zu beschränken, und sehr selten kommt es vor, daß seine eigene Ansicht herausgelesen werden kann. Im Sinne der Objektivität gibt es viele Zitate oder zitatähnliche Formulierungen, die in Hinblick auf Darstellung und Inhalt nicht immer den Anspruch auf Wahrhaftigkeit halten können, aber zumindest nicht absichtlich vom Autor verzerrt wurden. Wenn hier und dort ein Kaiser in der Tendenz negativ gezeichnet wird, so ist dieser Umstand auf das gleich geartete Quellenmaterial zurückzuführen. Fest steht, daß Sueton wie wenige Zugang zu den Kaiserarchiven hatte und seine Informationen auf intensiver Recherche beruhen.

Die Frage nach dem romanhaften Stil der Darstellung und der Authentizität ist nach heutigem Geschmack übrigens ebenfalls zugunsten Suetons zu entscheiden. Man vergleiche hierzu Darstellungen zum gleichen Thema bei Velleius Paterculus, Florus oder Cassius Dio. Insgesamt sollte man aber immer bedenken, daß die aufgezählten Autoren immerhin der Überlieferung standgehalten haben. Kurzum, die Darstellungsart ist zumindest kein Indikator für den Grad an Glaubwürdigkeit.
Ceterum contendo Carthaginem esse delendam.
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Beitragvon CP » Di 26. Aug 2008, 14:53

Salvete!

Ganz kurz, ich habe derzeit keine Bibliothek zur Verfügung, glaube aber, mich an einen entsprechenden Beitrag in der RE erinnern zu können. Gleich nach meiner Rückkehr in die Zivilisation werde ich Näheres berichten!

So fordert, laut Sueton, Sulla Caesar auf, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Caesar ist zu diesem Zeitpunkt aber flamen Dialis und muß als solcher eine recht archaische nicht scheidbare Ehe führen. Ein Sachverhalt, der sowohl Sulla als auch Sueton mit Sicherheit bekannt ist.

Was also? Eine Forderung Sullas, von der dieser ganz genau weiß, daß sie unerfüllbar ist. Oder ein Mißverständnis Suetons?

Mit diesen Fragen will ich mich demnächst auseinandersetzen. Auch mit Fragen der Tabus, denen die flamines, allen voran der flamen Dialis, unterworfen sind. Letzterer - schwer vorstellbar bei Caesar - darf beispielsweise kein Heer unter Waffen sehen. Dazu findet sich bei Sueton - ich konnte mich in den letzten Wochen nicht mehr mit ihm beschäftigen - m. W. aber nichts.
CP
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Beitragvon Marcus » Di 26. Aug 2008, 18:03

Auch eine durch confarreatio geschlossene Ehe war scheidbar.
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Beitragvon Willimox » Di 26. Aug 2008, 19:37

Scheidungungszwang von Sulla ausgehend unwahrscheinlich?

a) Quellenlage: Caesar wahrscheinlich nicht im Amt

Die antiken Quellen

machen es wahrscheinlich, dass Caesar das Flamen-Amt zum fraglichen Zeitpunkt (Sullas Intervention) nicht angetreten hatte.

Hier dazu ein hilfreicher Conspectus:

http://romanhistorybooks.typepad.com/ro ... _dial.html

vgl die Basisüberlegungen unter d) Mommsen


Somit lässt sich durchaus interpolieren, dass eine Scheidung möglich war, dass sie eine Amtsübernahme zumindest erschwerte und eine politische Laufbahn im Popularen-Lager verhindern konnte.

Allerdings: Eine explizite Formulierung dieser These ist auf die Schnelle nicht zu finden.

b) fakultativ: Caesar im Amt

Dann: Selbst wenn Caesar bei Sullas Intervention bereits das Amt innehatte, ist Suetons Darstellung auf der immanent-logischen Ebene nicht unbedingt unwahrscheinlich:

Warum sollte es einem absoluten Herrscher wie Sulla nicht möglich sein, gewisse Lücken und Rabulismen zu kennen und Caesar dazu zu zwingen, deren Vorliegen zu bestätigen?

Und selbst wenn dieses Argument nicht gilt: Warum sollte Sueton eine Darstellung erfinden, von der kompetente zeitgenössische Leser annehmen mussten, dass entsprechende soziokulturell fundierte Prämissen nicht vorlagen?

c) Patt

Also müsste man - so scheint mir - in der Frage, ob Sueton eine Bunte-Recherchier-Mentalität hatte, bei Ja und Nein zumindest (bei Beschränkung auf b) eine Pattsituation ansetzen.

d) Mommsen

Als Caesars Geburtsjahr pflegt man das Jahr 654 (100) anzusetzen, weil
er nach Sueton (Caes. 88), Plutarch (Caes. 69) und Appian (civ. 2 149) bei
seinem Tode (15. Maerz 710 44) im 56. Jahre stand; womit auch die Angabe, dass
er zur Zeit der Sullanischen Proskription (672 82) achtzehn Jahre alt gewesen
(Vell. 2, 41), ungefaehr uebereinstimmt.

Aber in unaufloeslichem Widerspruch damit steht es, dass Caesar im Jahre 689 (65) die Aedilitaet, 692 (62) die
Praetur, 695 (59) das Konsulat bekleidet hat und jene Aemter nach den
Annalgesetzen fruehestens resp. im 37/38., 40/41. und 43/44. Lebensjahr
bekleidet werden durften. Es ist nicht abzusehen, wie Caesar saemtliche
kurulischen Aemter zwei Jahre vor der gesetzlichen Zeit bekleidet haben, noch
weniger, dass hiervon nirgends Erwaehnung geschehen sein sollte.

Vielmehr legen diese Tatsachen die Vermutung nahe, dass er, da sein Geburtstag unbezweifelt auf
den 12. Juli fiel, nicht 654 (100), sondern 652 (102) geboren ist, also im Jahre
672 (82) im 20/21. Lebensjahre stand und nicht im 56., sondern 57 Jahre 8 Monate
alt starb. Fuer diesen letzteren Ansatz laesst sich ferner geltend machen, was
man auffallenderweise dagegen angefuehrt hat, dass Caesar "paene puer" von
Marius und Cinna zum Flamen des Jupiter bestellt wurde (Vell. 2, 43); denn
Marius starb im Januar 668 (86), wo Caesar nach dem gewoehnlichen Ansatz
dreizehn Jahre und sechs Monate alt, also nicht "beinahe", wie Velleius sagt,
sondern wirklich noch Knabe und aus diesem Grunde eines solchen Priestertums
kaum faehig war. War er dagegen im Juli 652 (102) geboren, so stand er bei dem
Tode des Marius im sechzehnten Lebensjahr; und dazu stimmt die Bezeichnung bei
Velleius wie die allgemeine Regel, dass buergerliche Stellungen nicht vor Ablauf
des Knabenalters uebernommen werden.

Zu diesem letzteren Ansatz passt es ferner allein, dass die um den Ausbruch des Buergerkrieges von Caesar geschlagenen
Denare mit der Zahl LII, wahrscheinlich dem Lebensjahr, bezeichnet sind; denn
als er begann, war Caesar hiernach etwas ueber 52 Jahre alt. Auch ist es nicht
so verwegen, wie es uns an regelmaessige und amtliche Geburtslisten Gewoehnten
erscheint, in dieser Hinsicht unsere Gewaehrsmaenner eines Irrtum zu zeihen.
Jene vier Angaben koennen sehr wohl alle auf eine gemeinschaftliche Quelle
zurueckgehen und duerfen ueberhaupt, da fuer die aeltere Zeit vor dem Beginn der
acta diurna die Angaben ueber die Geburtsjahre auch der bekanntesten und
hoechstgestellten Roemer, zum Beispiel ueber das des Pompeius, in der
auffallendsten Weise schwanken, auf keine sehr hohe Glaubwuerdigkeit Anspruch
machen. Vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 570.


http://www.gutenberg.org/dirs/etext02/5momm10.txt

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Beitragvon Marcus » Di 26. Aug 2008, 21:31

Für mich lesen sich Vell. 2, 43 und Sueton Caes. 1, 1 schon so, als hätte er das Amt zum fraglichen Zeitpunkt innegehabt.

Dass Caesar sehr wohl 100 v. Chr. geboren wurde und nicht, wie Mommsen annahm, 102, ist heute communis opinio. Vgl. Gelzer, Caesar, 6. Aufl. 1960, S. 1 Anm. 1. oder Holmes, The Roman Republic I, 1923, S. 436-442. (Auch RE- & DNP-Artikel.)

Caesar wurde wohl noch von Marius für das Amt des flamen dialis vorgesehen, trat es jedoch erst später, aber vor Sullas "Intervention", an. (So auch Groebe, RE X, Sp. 187, s. v. Iulius [131].)

Fraglich erscheint für mich nur, ob er das Amt des Priesters im Rahmen einer Annullierung aller Maßnahmen von Marius und Cinna verlor (Velleius) oder erst als Folge seiner Weigerung, sich von Cornelia zu trennen (Sueton).
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Beitragvon CP » Mi 27. Aug 2008, 14:08

Salvete!

Auch eine durch confarreatio geschlossene Ehe war scheidbar.


Bist Du Dir sicher? - Ich meine mich nämlich an eine andere Aussage (RE?) zu erinnern.
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Beitragvon Marcus » Mi 27. Aug 2008, 15:23

Meint wenigstens Prof. Dr. Gottfried Schiemann im Neuen Pauly s. v. confarreatio:
"Die Scheidung einer durch c. begründeten Ehe erfolgte durch eine diffarreatio, wohl wieder mit priesterlichem Ritual (Plut. qu. R. 50)."

Und auch der Georges scheint das so zu kennen:

diffarreatio, onis, f., die förmliche Trennung der Ehe, die durch die confarreatio (s. d.) geschlossen war, Paul. ex Fest. 74, 13. Corp. inscr. Lat. 10, 6662 (wo Plur., Ggstz. confarreationes).
[Lateinisch-deutsches Handwörterbuch: diffarreatio. Georges: Lateinisch-Deutsch / Deutsch-Lateinisch, S. 18040
(vgl. Georges-LDHW Bd. 1, S. 2144)
http://www.digitale-bibliothek.de/band69.htm ]
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Beitragvon consus » Mi 27. Aug 2008, 17:50

Kleine Ergänzung zum Vorigen.
Im OLD s.v. diffarreatio (a ceremony of divorce) lesen wir
(1) Paul. Fest. p. 74 M.: diffarreatio genus erat sacrificii, quo inter virum et mulierem fiebat dissolutio
(2) CIL 10.6662: SACERDOTI CONFARREATIONVM ET DIFFARREATIONVM
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Beitragvon Zythophilus » Do 28. Aug 2008, 00:18

Die wörtliche deutsche ÜS hat auch etwas für sich: "Entdinkelung".
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Beitragvon CP » Do 28. Aug 2008, 11:00

Die wörtliche deutsche ÜS hat auch etwas für sich: "Entdinkelung".


Wäre "Entspeltung" nicht angemessener?:lol:
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