textkritische Frage Cic. rep.

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textkritische Frage Cic. rep.

Beitragvon aquarius » Sa 16. Aug 2008, 13:33

Hallo, ich habe eine Frage bezüglich Cic. rep. II 28. Und zwar schreibt Ziegler ea sunt...non ferenda mendacia, obwohl ea sunt...non ferenda in mendacio überliefert ist. Für diese Änderung gibt er in seiner Praefatio die ciceron. Klausel 'gerundivo scilicet adhibito' an. Was diese Klausel konkret beinhaltet, frage ich mich...und jetzt auch euch. Denn in einer späteren Ausgabe ändert Powell es wieder in ea sunt...non ferenda in mendacio um. Dann kann Zieglers Argument doch nicht so gewichtig gewesen sein. Was meint ihr dazu? :?
aquarius
 

Beitragvon consus » Sa 16. Aug 2008, 21:51

Servus.
Ganz schnell noch zu später Stunde: In Zieglers Praefatio heißt es auf S. XXV (Hervorhebung von mir):
II 28 locutio vix tolerabilis ea sunt enim demum non ferenda in mendacio ut leviter ita feliciter mutata in ferenda mendacia et sensui satis fecit et clausulam effecit gratissimam ex consuetudine Ciceroniana formatam (gerundivo scilicet adhibito, cf. I. Wolff, De clausulis Ciceronianis, annal. phil. suppl. XXVI 629)

Die Gerundivkonstruktion ea sunt ... ferenda mendacia lässt, wenn ich es richtig sehe, am Ende die von Cicero verwendete Klausel akatalektischer Dikretikus erkennen: - u - - u ~ (~ bedeutet: letzte Silbe anceps)*. Gezählt wird häufig von der betonten Silbe des vorletzten Wortes** aus, also hier (fe) rénda mendácia. So erhalten wir den akatal. Dikretikus: - u - - u ~.
Man kann durchaus den Prosarhythmus zugrunde legen, wenn es um textkritische Entscheidungen geht, und ferenda in mendacio wegen des schlechteren Rhythmus ("numero peiore") verwerfen.

---------------------------------------------------------------------------------
* Vgl. u. a. Crusius, Friedrich, Römische Metrik. Eine Einführung, neu bearb. von Hans Rubenbauer, 6. Aufl. München 1961, S. 134-136 (§§ 185f.).
** Deshalb Zieglers Bemerkung gerundivo scilicet adhibito.
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Beitragvon Latein-Fan » So 17. Aug 2008, 13:56

Scheint plausibel...
Multo maxumum bonum patriae, civibus, tibi, liberis, postremo humanae genti pepereris, si studium pecuniae aut sustuleris aut, quoad res feret, minueris. (Sallust in seinem 2. Brief)
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Beitragvon aquarius » So 17. Aug 2008, 14:01

danke, danke, danke!!!!!!! :)
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Beitragvon Didymos » So 17. Aug 2008, 14:10

Ich finde Zieglers\ Consus' Erklärung natürlich auch sehr gut, aber ich frage mich warum der neue Herausgeber, wie Du schreibst, sich anscheinend bewußt gegen diese Änderung entschieden hat?

Gibt es ein Argument oder führt er eines an, das den überlieferten Text stützen würde?

Grüße,
Didymos
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Beitragvon Platon » So 17. Aug 2008, 17:39

Gibt es ein Argument oder führt er eines an, das den überlieferten Text stützen würde?


Natürlich, einerseits den Vorrang dessen, was der Herausgeber auf der Handschrift liest (Powell liest im Codex bzw. seiner photomechanischen Kopie - in Übereinstimmung mit A. Mai - schlichtweg etwas Anderes als Ziegler), andererseits ist in mendacio als Klausel (Spondeus + Kretikus) nun auch wieder nicht so ungewöhnlich und ergibt m.E. auch guten Sinn.
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Beitragvon Marcus » So 17. Aug 2008, 18:26

Ohne tatsächlich Ahnung von Textkritik oder der antiken Kunstprosa zu haben, würde ich doch auch vermuten, dass eine Sinn ergebende, tatsächlich gelesene Variante einer nur der Metrik dienlichen, quasi ausgedachten Version vorzuziehen ist?

Übrigens hat die gute alte Ausgabe von C. F. W. Mueller auch "non ferenda in mendacio"; ebenso wie alle anderen älteren Ausgaben, die man bei google-books finden kann. ;)
Offenbar kam vor Ziegler noch niemand auf die Idee an dieser Stelle etwas zu ändern.

Welchen Ruf hat Ziegler eigentlich als Herausgeber? Ist er sehr konjekturfreudig? ;)
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Beitragvon aquarius » Mo 18. Aug 2008, 02:33

ich will nebenbei noch erwähnen, dass die zweite handschrift auch schon ferenda mendacia hatte...und das hat auch powell gesehen...
aquarius
 

Beitragvon Platon » Mo 18. Aug 2008, 12:04

dass die zweite handschrift auch schon ferenda mendacia hatte...und das hat auch powell gesehen...


Welche soll das sein?
Platon
 

Beitragvon Marcus » Mo 18. Aug 2008, 12:45

hab keine neue ausgabe hier.. aber gibt es im palimpsest vat. lat. 5757 nicht ne zweite, korrigierende hand? :>
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Beitragvon aquarius » Mo 18. Aug 2008, 13:37

na, okay...Powell schreibt *v2...also vermutlich irgendein Korrektor
aquarius
 

Beitragvon Marcus » Mo 18. Aug 2008, 13:48

http://www.sureproxy.com/nph-index.cgi/ ... d1&hl=3dde

bzw.
http://www.sureproxy.com/nph-index.cgi/ ... d1&hl=3dde

heruntergeladen; auf seite 276 der pdf

(geht auf seite 102 los: "The Palimpsest of Cicero's De Re Publica - A Transcription, with Introduction")

nach seite 276 also steht dort "in mendacio" .. sonst nix ;)
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Beitragvon aquarius » Mo 18. Aug 2008, 15:07

Ich nehme meine Bemerkung zurück. Powell hat es eben doch nicht gelesen...wie peinlich, dass ich das falsch gesehen habe
aquarius
 

Beitragvon aquarius » Di 19. Aug 2008, 23:13

noch mal danke an alle für die aufschlussreiche diskussion!!! da ich vorher von metrik noch nich so viel wusste, war das sehr 'erleuchtend'. ich werde mich jetzt erst mal intensivst mit dem thema 'metrik' auseinandersetzen. :smile:
aquarius
 


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