Ernst Jäkel, zweite Klappe.

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Ernst Jäkel, zweite Klappe.

Beitragvon Laptop » Do 13. Nov 2008, 13:48

Hier einige bemerkenswerte Beobachtungen zur Entwicklungsgeschichte der Kasus-Endungen. Zumindest der Ansatz, daß Kasus-Endungen urspr. Artikel waren, ist ja bekannt. Aber die Details, die er hier nennt, habe ich noch nie gelesen. Steckt Wahrheit dahinter?

Zitat Ernst Jäkel (grün eingefärbt):
Nach diesen Voraussetzungen können wir wohl annehmen, dass auch die lateinische Sprache den Artikel hinten angehängt hat, so dass das us — a — um wahrscheinlich der Artikel ist; daher fällt us im Vocat. der 2ten fort, und es wird filius, fili, Tullius, Tulli etc. bleibt aber in deus, weil es hier, da das Wort von Teut kommt, zum Stamme gehörte. Auch in der 3ten Declination ist das Anhängen des Artikels mehr oder weniger sichtbar. Ganz deutlich ist es in folgenden Wörtern, wo die Sylbe is nur angehängter Artikel ist:
pisc-is, Fisch; Schwedisch mit unbestimmtem Artikel en fisk, mit bestimmtem Artikel fisk-en.
turr-is, Thurm; Engl. tor und towr.
canab-is, Hanf.
sinap-is, Senf.
strigil-is, Striegel.
In anderen Wörtern verschmilzt das s mit dem vorhergehenden Buchstaben; so in folgenden:
reg, Recke; mit dem Artikel reg-s = rex.
leg, Gothisch lage (Gesetz); mit dem Artikel leg-s = lex.
radic, Rettich (Schwed. rattiku); mit dem Art. radic-s = radix.
calc, Kalk; mit dem Artikel calc-s = calx.
frug, Frucht; mit dem Artikel frug-s = frux.
F-arc, Burg; mit dem Artikel arc-s = arx.
Bei anderen Wörtern erhielt sich das s des Artikels, es ward aber der vorhergehende Consonant weggeworfen.
dent, Schwed. tand, Zahn; sollte heissen dent-s statt dens.
noct, Nacht; sollte heissen noct-s, statt nox.
seget, Saat; sollte heissen seget-s, statt seges.
anat, Ente; sollte heissen anat-s, statt anas.
virtut, Wehrtat; sollte heissen virtut-s, statt virtus.
corpor, Körper; sollte heissen corpor-s, statt corpus.
leper, Läufer; sollte heissen leper-s, stat lepus.
Bei anderen fiel das s weg, besonders wenn sie sich auf eine liquida endeten:
nomen, Namen; sollte heissen nomen-s, statt nomen.
sol (Schwed. sol, mit best. Art. solen); sollte heissen sols.
honor, hohe Ehr; sollte heissen honor-s, statt honor. honos.
Da die einen von honors den Buchstaben r, andre s wegliessen, so entstand bei diesen, wie bei anderen Wörtern, die doppelte Form or und os.
Bei manchen Wörtern ward der Schluss des Stammes und Artikel im Nom. weggelassen:
cord, Herz (Schwed. hjert, mit bestimmt. Art. hjert-at); sollte heissen cord-s, statt cor.
homin, goman; sollte heissen homin-s, statt dessen heisst es blos homo etc.
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Beitragvon Tiberis » Do 13. Nov 2008, 16:50

mein gott, schon wieder dieser unsägliche Jäkel :cry:
möchte bloß wissen , was dich an diesem elaborat so fasziniert.. :? allein wenn man das vorwort liest, müsste einem aufgrund des dort grassierenden sprachnationalismus und -rassismus richtig schlecht werden. in seiner "argumentation", warum das lateinische vom deutschen (sic!) abstamme und nicht umgekehrt (was ohnehin keiner behauptet),redet er zunächst viel über die "echte, reine, unverfälschte" germanische (nicht: indo-germanische !) "ursprache" , deren besonderes merkmal ein ausgeprägter "formenreichtum" sei, um dann im kontrast dazu gleich einmal die üblichen südländer-klischees nachzulegen : "..während die südländer in ighrem streben nach wohlklang auf kosten der deutlichkeit oder aus bequemlichkeit nur mangelhafte, verstümmelte (formen) haben..."
der (rasse)reinen, also wertvolleren, germanischen "ur"sprache wird die - naturgemäß minderwertige - lateinische "mischsprache" gegenübergestellt. schlußfolgerung : "warum sollte reichtum zur armut betteln gehen?"
usw. :shock:
von der germanischen lautverschiebung wusste herr Jäkel offenbar nichts.
sonst wäre ihm möglicherweise störend aufgefallen, dass idg. anlautendes p im germanischen zu f wird (*pyter > agerm. fader); warum es dann im lateinischen wieder zu p werden sollte (pater) , bleibt Jäkels geheimnis.
idg. anlautendes c wird im germanischen zu h (*cap (nehmen) > agerm. hafjan) ; und lat. sollte es wieder capere heißen ?
aber darüber liest man bei jäkel naturgemäß nichts. statt dessen stellt er einfach lateinische wörter deutschen äquivalenten (oder was er für solche hält) gegenüber . kein wunder, dass die begriffe "germanisch" und "deutsch" immer wieder synonym gebraucht werden.
welch krause blüten diese "methode" hervorbringen kann, zeigen die "ableitungen" etwa von honor (< "hohe ehre") , virtus (<"wehrtat") oder gar haruspex (<"aarspäher") :shock:
ich denke also, dieses linguistische highlight kann man getrost im kuriositätenkabinett der sprachforschung belassen.
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Beitragvon consus » Do 13. Nov 2008, 17:25

:thumbup:
ich denke also, dieses linguistische highlight kann man getrost im kuriositätenkabinett der sprachforschung belassen.

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Beitragvon Laptop » Do 13. Nov 2008, 22:36

Tiberis, die Stellen, wo er das Germanische über das Lateinische hebt verteidige ich nicht. Und wenn ein Kapitel zweifelhaft ist, muß es das nächste nicht sein. Das Buch ist ja eine Zusammenstellung aus vielen Thesen. Was sagst du nun zu der These, die ich hier exponiert habe, nämlich cor < cors, u.dg.? Wenn es nicht widerlegbar ist, ist es ein Hinweis auf mögliche Wahrheit.
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Beitragvon Domingo » Do 13. Nov 2008, 23:33

Ein idg. Neutrum endet im Nominativ Singular nicht auf -s (es sei denn, das s gehört zum Stamm). cor kommt von *krd, das -s hat da nix verloren.
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Beitragvon Catilina coniuratus » Fr 14. Nov 2008, 00:24

Vae mihi! Sprachwissenschaft ist etwas, was mir mißfällt. Aber wenn es schon nicht anders geht, bist du mit "Gerhard Meiser: Historische Laut- und Formenlehre" (, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht,) sicherlich besser beraten. Für mich persönlich ist aber auch das äußerst ungenießbare Kost.
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