von Princeps » Mi 28. Jan 2009, 16:52
Salve, Noctua!
Auszug aus N. HOLZBERG, Ovid, 2007:
3. Die literarische Tradition (S. 17-18)
Die bereits zitierte Vorrede zu den Metamorphosen ist zwar ungewöhnlich kurz, aber reich an Aussagen über die literarische Tradition, an die Ovid anknüpft. Zieht man die Prologe anderer berühmter Werke, die in Hexametern verfaßt sind, zum Vergleich heran, stellt man fest: Während Homers Ilias und Odyssee sowie Vergils Aeneis zu Beginn die Taten eines Helden ankündigen und sich somit eindeutig als heroische Epen ausgeben, verheißt der Erzähler der Metamorphosen, über Verwandlungen von Gestalten in neue Körper, also ein Sachthema, «singen» zu wollen, und deshalb erwartet man von ihm zunächst ein Lehrgedicht in der Art von De rerum natura (Die Natur der Dinge) des Lukrez.
Doch dann erfahren wir, daß dieses Sachthema nicht wie sonst in einem didaktischen Hexameteropus systematisch erörtert werden soll, sondern nach Art des narrativen Epos in einer fortlaufenden Erzählung und noch dazu im Rahmen einer Weltgeschichte. Ovid spricht hier von einem carmen perpetuum, und damit übernimmt er, wie die zeitgenössischen Leser bemerkt haben dürften, von dem hellenistischen Dichter Kallimachos (ca. 320–240 v. Chr.) einen Begriff, mit dem dieser einmal ein von Königen und Heroen handelndes poetisches Werk bezeichnet (Aitia Frg. 1.3–5). Andererseits spielt der römische Dichter, indem er die Götter bittet, sein carmen vom Ursprung der Welt in die eigene Zeit «herabzuführen» (deducere), auf einen von Vergil im sechsten Hirtengedicht verwendeten Terminus an: carmen deductum. Das bedeutet, da deducere vom «Herabführen » der Fäden am Webstuhl gebraucht werden kann, «fein gesponnenes Gedicht», und ein solches erzählt, wie der Dichtergott Apollo bei Vergil sagt, gerade nicht von Königen und Schlachten (Ecl. 6.3–5).
Ovid betreibt also in doppelter Hinsicht das, was die Philologen Gattungskreuzung nennen: Er kombiniert sowohl Lehrgedicht und Epos als auch «fortlaufendes» und «fein gesponnenes Gedicht». Soweit es sich bei den Metamorphosen um ein carmen deductum handelt, setzt Ovid in gewisser Weise die Art seines bisherigen Dichtens fort. Denn als «fein gesponnen» galt seit Kallimachos die sogenannte «Kleinpoesie», in der es nicht wie im Epos um Haupt- und Staatsaktionen, sondern um alltägliche Begebenheiten wie die Romanze von zwei unheroischen Liebenden geht und deren Verfasser nicht pathetisch, sondern in schlichter Diktion, mit Liebe zum Detail, anspielungsfreudig und humorvoll schreiben. Ebendies ist charakteristisch für sämtliche erhaltenen Werke Ovids von den Amores bis zu den Remedia amoris und wird nun auch zu einem wichtigen Element der Metamorphosen, die in Stoffwahl und Stil zumindest teilweise der Kleinpoesie gleichen.
Und noch eines haben sie mit diesem Genre gemeinsam: Wie schon Kallimachos und andere Verfasser von Kleinpoesie spricht auch Ovid in seiner elegischen Liebesdichtung und dann wieder in dem Hexameteropus als poeta doctus (gelehrter Dichter). Er stellt subtile intertextuelle Bezüge zu den verschiedensten literarischen Werken her und verrät dabei zum Beispiel seine Vertrautheit mit entlegenen Mythen oder philologischen Kommentaren zu den von ihm «zitierten» Autoren, insbesondere zu Homer. Im Bereich der Sprache gibt er sich dadurch «wissenschaftlich», daß er Wortwitz unter anderem durch Anspielung auf etymologische Bedeutungen erzeugt, die zeitgenössische Linguisten herausgefunden zu haben glauben.
Es sind schon einige Jährchen her, dass ich W. WIMMEL, Kallimachos in Rom, in Händen hatte: dort dürftest du fündig werden. Wimmel beschäftigt sich freilich besonders mit der Recusatio - der Weigerung, ein Epos zu schreiben.