*g*nomen?

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Re: *g*nomen?

Beitragvon Laptop » Di 14. Apr 2009, 00:33

Was erfahren wir von Grimm? Daß nomen als verschliffenes "gnomen" zu verstehen sei ... War das nicht schon vorher klar?
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Re: *g*nomen?

Beitragvon Domingo » Di 14. Apr 2009, 09:56

Nein, das war nicht vorher klar. Außerdem ist, wie ich schon geschrieben habe, die Wurzel *gnô- wohl sekundär, wie bereits ihre Erscheinungsform nahelegt.

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Re: *g*nomen?

Beitragvon RM » Di 14. Apr 2009, 18:31

Domingo hat geschrieben:Nein, das war nicht vorher klar.

... naja ... :wink:

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Re: *g*nomen?

Beitragvon Domingo » Di 14. Apr 2009, 22:28

Wo ist die wissenschaftliche Genauigkeit abgeblieben? :cry:

Entweder man kann diese angebliche Abschleifung nachvollziehbar machen (zB indem man Parallele zeigt) oder sie muss nach wie vor als reine Spekulation angesehen werden. Schließlich weiß der heute von mir zu Rate gezogene Ernout/Meillet (etymologisches WB des Lat., auf Französisch) nichts von einer Zugehörigkeit von nomen zu noscere.

*gnô- ist übrigens demselben WB zufolge eigentlich der Aoriststamm einer Wurzel *genH-, die nur noch vereinzelt belegt ist und vermutlich wegen der völligen Gleichheit mit der Wurzel, die "zeugen" bedeutete, in dieser Form verdrängt wurde.

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Re: *g*nomen?

Beitragvon RM » Mi 15. Apr 2009, 00:27

Also mal zur "wissenschaftlichen Genauigkeit": Dadurch, daß es irgendwo schwarz auf weiß, also in gedruckter Form zu lesen ist, wird etwas noch nicht genauer. Außerdem sollte man berücksichtigen, daß das hier ja "nur" ein Internetforum ist. Wer z.B. eine neue Hypothese oder Theorie zu etwas abliefern will, wird das wahrscheinlich nicht hier tun. Wenn man sich außerdem die Belege für etymologische Fragestellungen anschaut, kann einem oft mulmig werden, weil vieles nicht sehr ausführlich belegbar ist und einiges wirklich auf Spekulation beruht, vor allem, wenn man Fragestellungen behandelt, deren Ursprünge mehr als 3000 Jahre zurückliegen. Außerdem steht sogar im Georges (s. unter "nam"), daß es da wohl mal einen Pronominalstamm *no- gab. Jetzt ist es kein weiter Weg, daraus alles abzuleiten, nomen, noscere etc. Um aus diesen Vermutungen Gewissheit werden zu lassen, bräuchte man natürlich für die komplette Entwicklung ausreichendes Beweismaterial. Ich vermute aber, daß die Luft da etwas dünn wird. Aber, die Wissenschaft - sogar die Mathematik - hat auch bisher hervorragend mit Hypothesen und Spekulationen gelebt, die sich nicht gleich alle beweisen lassen.

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Re: *g*nomen?

Beitragvon Platon » Mi 15. Apr 2009, 09:21

Erstmal muss man natürlich festhalten, dass die These von Lexer im Grimmschen WB von keinem der modernen indogermanistisch orientierten WB (zumindest soweit ich sehe) aufgenommen wird. Das hat natürlich Gründe:
1. Im Sanskrit existieren die beiden Wurzeln (s. jnana "Wissen, Kenntnis" und naman "Name, Kennzeichen") ja durchaus nebeneinander und es ist natürlich verlockend beide aufgrund ihrer Bedeutung in einen Topf zu werfen bzw. sie voneinander abhängig zu machen, aber nicht belegbar.
2. Die von Pyrrha angeführten slavischen Beispiele sprechen m.E. entgegen ihrer Absicht für die These der Trennung der Wurzeln - bei jmeno u.Ä. scheint mir wie bei Griechisch onoma durch den Laryngal1 bedingt ein vokalischer Anlaut "i" (wie Lexer ja auch vermutet) vorzuliegen, der sich im Anlaut konsonantisch weiterentwickelt, bei znát tatsächlich der Konsonant, der auch in gignoskein, (g)noscere, gnomen auftritt.
3. nam und nomen kann man durchaus zusammenwerfen, dafür gibt es im Sanskrit interessante Belege, nâma, nâmnâ oderr nâmatas kann dort tatsächlich auch "nämlich(!), tatsächlich, sicher" heißen, aber auch dafür würde wohl niemand wirklich die Hand ins Feuer legen, vielleicht spielt hier die Wurzel *nâ "so" eine Rolle, dann würde sich die Verwandschaft aber bis hin zu gr. nai, ekeinos etc. erweitern, da kann man dann so richtig loslegen mit den Theorien.

Ich glaube, festhalten lässt sich sicher nur, dass sich die Wurzeln, sofern sie nicht voneinander abhängen (was durchaus fraglich ist), irgendwann berühren, ob das schon früh im Idg. / Sanskrit, erst im Lateinischen (nomen vs. co-gnomen etc.) oder gar erst bei Lexer in der Etymologie tatsächlich der Fall ist, lässt sich anhand des Materials aber nicht sagen.
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Re: *g*nomen?

Beitragvon RM » Mi 15. Apr 2009, 10:12

Beispiele aus dem Sanskrit sind natürlich immer verlockend, allerdings würde ich mich für die Fragestellung eher auf die westindoeuropäischen Varianten konzentrieren - das Griechische hat sich wohl nicht direkt aus dem Sanskrit entwickelt. Daß sich gn- besonders im Lateinischen leicht zu n- verschleift, ergibt sich schon aus der Aussprache selbst. Insofern bin ich sicher, daß die Wurzeln eng miteinander verwandt sind (wenn sie nicht sogar prinzipiell identisch sind). Die Frage wäre vielleicht eher, wann und wie eine Aufspaltung in die verschiedenen Bedeutungszweige stattgefunden hat.

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Re: *g*nomen?

Beitragvon Domingo » Mi 15. Apr 2009, 11:10

Nun belegt das Skt. zumidnest eins zweifelsfrei: dass nämlich *nomen und *gnô- schon im Indogermanischen getrennt waren. Dazu ist das Skt. auch da sozusagen ;)

Übrigens sehe ich keinerlei Grund, uns auf die "westlichen" Sprachen zu konzentrieren. Latein ist ja mit Griechisch kein bisschen enger verwandt als Sanskrit - eher im Gegenteil, die indoiranischen Sprachen stehen dem Gr. in vielem näher als das Lateinische, abgesehen natürlich von Entlehnungen jüngeren Datums.

Du hast oben geschrieben:

Um aus diesen Vermutungen Gewissheit werden zu lassen, bräuchte man natürlich für die komplette Entwicklung ausreichendes Beweismaterial. Ich vermute aber, daß die Luft da etwas dünn wird. Aber, die Wissenschaft - sogar die Mathematik - hat auch bisher hervorragend mit Hypothesen und Spekulationen gelebt, die sich nicht gleich alle beweisen lassen.


Hypothesen sind schön und gut, aber entweder wir erhärten sie in irgendeiner Weise, oder wir stecken sie wieder in die Schublade. Wenn man in diesen Dingen übrigens so intuitiv vorgehen darf, dann müssten wir umgekehrt auch leugnen, dass kyklos, chakra u. wheel urverwandt sind u. von einem ig. Wort für "Rad" stammen. Oder?

Ciao,


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Re: *g*nomen?

Beitragvon Platon » Mi 15. Apr 2009, 11:15

Daß sich gn- besonders im Lateinischen leicht zu n- verschleift, ergibt sich schon aus der Aussprache selbst. Insofern bin ich sicher, daß die Wurzeln eng miteinander verwandt sind (wenn sie nicht sogar prinzipiell identisch sind).


Das mit der Aussprache ist schon ein schönes Argument, aber ich traue dem Ganzen nicht so, wenn ich im Senatus consultum de Bacchanalibus lese:
BACAS · VIR · NEQVIS · ADIESE · VELET · CEIVIS · ROMANVS · NEVE · NOMINVS · LATINI · NEVE · SOCIVM [...] VTEIQVE · EAM · FIGIER · IOVBEATIS · VBEI · FACILVMED · GNOSCIER · POTISIT · ATQVE usw.
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Re: *g*nomen?

Beitragvon RM » Mi 15. Apr 2009, 12:12

Ich habe schon gesagt, daß es den Effekt, daß sich von derselben Wurzel verschiedene Bedeutungslinien bilden, z.B. auch im Italienischen gibt. Dabei steht die seltener gebrauchte der ursprünglichen näher als die oft verwendete. Daß es sich bei nomen und (g)noscere nicht um zwei direkt voneinander ableitbare Wörter handelt, ist natürlich klar - die Aufspaltung müßte deshalb schon in grauer Vorzeit stattgefunden haben.

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Re: *g*nomen?

Beitragvon Laptop » Mi 15. Apr 2009, 19:53

Beweise gibt es in der Etymologie ohnehin nicht, nur Hinweise. Der eine sieht sie als "Beweis", der andere betrachtet sie skeptisch. Ich behaupte, daß man die etymologischen Angaben selbst hochrangiger WB oft als bweiesen akzeptiert, wo es nur Spekulation ist, manchmal an dem Wörtchen "wohl" zu erkennen, manchmal gar nicht zu erkennen. Das ist fahrlässig, aber in der Etymologie leider Gang und Gäbe.

Intuitiv kann man natürlich oft falsch liegen. Man sollte aber mal die Entwicklung von Sprache betrachten. Ein so grundlegendes Wort wie "Namen" dürfte eines der ersten Wörter überhaut gewesen sein. Womit soll es denn sonst verwandt sein, wenn nicht mit "Kenntnis"? Etwa mit "Information" oder "Einwohnermeldeamt"? Je weiter man zurückgeht, desto kleiner wird der Wortschatz, und die Verwandtschaften immer enger. Da bleibt nicht viel.
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Re: *g*nomen?

Beitragvon Platon » Mi 15. Apr 2009, 20:58

Ein so grundlegendes Wort wie "Namen" dürfte eines der ersten Wörter überhaut gewesen sein. Womit soll es denn sonst verwandt sein, wenn nicht mit "Kenntnis"?


Wie viele Abstrakta erst sekundär z.B. mit primitiven Verben wie "rufen, sagen, sprechen, nennen" usw. 8) Ist alles irgendwann Glaubenssache, wenn ihr meint, dass man Dinge kennt, wenn man sie benennen kann, meinetwegen, Semantik schön und gut, morphologisch muss man die Hypothese aber eben auch glaubhaft machen.
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Re: *g*nomen?

Beitragvon Domingo » Mi 15. Apr 2009, 21:25

Laptop hat geschrieben:Je weiter man zurückgeht, desto kleiner wird der Wortschatz, und die Verwandtschaften immer enger. Da bleibt nicht viel.


Das ist doch ein bisschen dieselbe Argumentationslinie, mit der man traditionell zu dem Schluss kam, dass das Indogermanische keine Unterordnung besaß: weil alle Konjunktionen der belegten ig. Sprachen einzelsprachliche Entwicklungen sind. Genauso würde man aber, ginge man von den romanischen Sprachen aus, um das Lateinische zu rekonstruieren, zu dem Schluss kommen, dass das Lateinsiche kaum Unterordnung gehabt hätte, geht doch das romanische "que" od. "che", mit welchem alle unterordnenden Konj. gebildet sind, auf das Relativpronomen, weswegen Latein offensichtlich an Unterordnung nur Relativsätze besaß :wink: :D

Vieles verschwindet in der Sprache nun einmal spurlos. Wenn jemand behaupten würde, vor 100'000 Jahren habe die Sprache nur einen geringen Wortschatz und wenige Wurzeln gehabt, so mag er recht haben; doch das Indogermanische von vor 5'000 Jahren war bestimmt genauso reich an Wörtern und genauso weit entwickelt in der Grammatik wie unsere modernen Sprachen. Wer kann daher wissen, woher das Wort für "Name" kommt? Vielleicht von einem Wort für "Sippe", weil in den zentralasiatischen Steppen vor 8'000 Jahren die Menschen womöglich nur nach ihrer Sippe genannt zu werden pflegten? :nixweiss:

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Re: *g*nomen?

Beitragvon consus » Do 16. Apr 2009, 13:07

Servus.
Was die hier stattfindende Debatte angeht, so ist durchaus auch ein Blick in den Leumann-Hofmann-Szantyr (Band I) hilfreich:
S. 370:
-men: deverbatives Suffix für ... Sachbezeichnungen; < idg. -mnÌ¥ (ai. –ma, auch gr. –μα).
S. 371:
Ererbtes *nōmnÌ¥ ist nōmen, gleich altind. nāma …, auch gr. ὄνομα usw. Es gehört also etymologisch nicht zu Wz. Idg. g’nō ‚erkennen‘, wurde aber sekundär, erst nach dem Wandel lat. gn- > n- … , als Ableitung von nōsco (*gnōsco) empfunden…
Im Walde-Hofmann lesen wir (Band II, S. 174), dass agnomen und cognomen zu nomen nach cognosco : nosco hinzugebildet worden seien.
Sed iam satis superque…
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