Salvete,
ergänzend zu Catilina:
(1) Der BefundIn der Aeneis soll – so der Auftrag der Götter (Zeus) – Aeneas von Troja nach Italien segeln, dort die Herrschaft gewinnen und in Latium den Grundstein für Roms spätere Weltherrschaft legen.
Die Göttin Juno/Hera behindert diese Fahrt, sie ist zornig auf die Trojaner und die trojanische Königsfamilie. Denn Paris, der Bruder von Aeneas, hat bei einem Schönheitswettbewerb den goldenen Apfel nicht der Göttermutter, sondern der Liebesgöttin Venus überreicht.
Junos Zorn scheint sich zu mildern, als Aeneas nach Karthago kommt. Sie tut alles, damit Aeneas sich in die Karthagerkönigin Dido verliebt. Denn Karthago ist Junos Lieblingsstadt. Sucht Aeneas sein Glück
jenseits des „politischen Auftrags der Götter“ im privaten Bereich der Liebe, dann wird die Zukunft anders aussehen als von den Göttern geplant: Rom wird Karthago nicht vernichten, und Juno ist doppelt glücklich. Denn im Erfolgsfall hat sie ihrem Favoriten eine glänzende Zukunft beschert und gleichzeitig die Vorrangstellung des trojanisch(-römischen) Intimfeindes Rom unterbunden.
Juppiter ruft den Götterboten Mercur zu sich, der soll dem „pflichtvergessenen“ Aeneas folgendes ausrichten:
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Non illum nobis gentrix pulcherrima talem
Promisit Graiumque ideo bis vindicat armis;
Sed fore, qui gravidam imperiis belloque frementem
Italiam regeret (…) ac totum sub leges mitteret orbem.
(…)
Naviget! Haec summa est, hic nostri nuntius esto.
(Vergil: Aeneis IV, 227ff.)
Nicht versprach uns seine wunderschöne Mutter jenen Aeneas als solchen (erotikfaszinierten) Typen;
Und nicht deshalb befreite sie ihn zweimal aus der Waffengewalt der Griechen;
Vielmehr sollte er einer werden, der das machtschwere und im Kampf tosende Italien regiert und den ganzen Erdkreis unter seine Gesetze zwingt.
Er soll segeln! Das ist das Wichtigste, das soll die Botschaft von uns
sein.
Die Rhetorik des mächtigen Zeus wirkt, Aeneas verzichtet auf das private Glück mit Dido und erfüllt seinen politischen Auftrag, die Gründung des römischen Reiches und - cum grano salis - die Zivilisierung des Erdkreises ("orbem sub leges mittere").
(2) Stoisch?Ich lasse den Aspekt "Fatumgehorsam" beiseite, er scheint mir
durchwachsen. Ähnlich "durchwachsen" auch die Klassifizierung mittels anderer Merkmale:
- "Das"
Stoische in seiner idealtypischen Formel hat wohl obligatorisch das Merkmal
abgeklärte apathia. Oder gar "eupathia". Die liegt bei Aeneas in der Dido-Episode sicher nicht vor.
- Die
Dominanz von Vernunft über den Triebapparat ist bei A. auf eine sehr individuelle Weise gegeben.
- Vor der spätstoischen Phase gilt das "accedere ad rem publicam", hier metonymisch für politisches Engagement, als wichtiges Element des "beate vivere".
- Im epikuräischen Umkreis gilt politisches Engagement eher als glücksverhindernd. Die unversöhnliche Dido der Unterwelt hat da auf ihre Weise sÃcher auch in der Perspektive des Epos ihr (Teil-)Recht.
Fazit:
Kein idealtypischer, reflektierender Stoizismus. Wohl aber -
unterhalb von solchen Formeln - ein Konflikt zwischen Hedonismus, Privatglück und historisch-politischem Auftrag. Der Konflikt wird im Kampf - wörtlich und metaphorisch - ausgetragen. Eine kontinuierlich-abgeklärte Handlungsweise oder Mentalität? Nein, etwas Interessanteres - das sagt ja Catilina coniuratus. Einfühlung ist bei diesem Helden, der alles andre als tugendblass ist, sehr gut möglich: Anteile, Motive, menschliche Schattierungen - sie geben den Ausschlag.
Vale(te)