lat. Text aus der Neuzeit (von Gertz)

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lat. Text aus der Neuzeit (von Gertz)

Beitragvon Denise » Fr 5. Jun 2009, 20:31

Hallo

ich hab hier einen Text aus dem 19. Jh. Der Autor versucht eine Konjektur/ Emendatio zu erklären.

Der antike Text ist Senecas De Ira. Die Textstelle lautet: "Quid ergo? non aliquando castigatio necessaria est?" Quidni? sed haec sincera/ sine ira, cum ratione. non enim nocent, sed medetur specie nocendi. (Was also? Ist nicht irgendwann mal Züchtigung notwendig? Warum nicht? Aber dies aufrichtig/ ohne Wut, mit Vernunft. Denn sie schadet nicht sondern heilt mit dem Anschein zu schaden.)
Anschließend folgt ein Vergleich: Ein Schmied würde auf verformte Lanzen einschlagen. Dies sähe wie Gewalt aus, sei es aber nicht, da die Lnze verbessert wird.

Im antiken Text ist in allen Hss sincera überliefert, Gertz würde sine ira setzen. Seine Begründung versteh ich aber leider nicht. Ich weiß aber nur nicht, ob es daran liegt, dass ich den Text nicht richtig übrsetzen kann, oder ob ich es inhaltlich auch nicht versteh.

Hier mal Gertz`Text:

Cap. 6,1 edunt: "Quid ergo? non aliquando castigatio necessaria est?" Quidni? sed haec sincera, cum ratione. Senecam castigationem sinceram ita appellare potuisse, ut eam intellegi vellet, quae non irae et cupiditatis impulsu fieret (nam sic vulgo enarrant), non credo.

Melius certe sublato commate sincera casu cum ratione conjungeretur; sed tamen ita potius Senecam scripsisse putaverim: sed haec sine ira, cum ratione: sic apte et diserte locutus est ut cap. 11,2; 15,1.

De hoc mendorum genere multa Madvigius Adv. crit. I p. 26 sqq. disputavit multaque exempla attulit, in quibus ut hoc loco litteris quibusdam paullulum mutatis et deinde conflatis prorsus alia verba effecta sunt. (Fußnote: er nennt zwei Bsp. aus Plinius und erläutert sie)

In iis, quae statim subsequuntur, objectum verbi elidimus non hastilia quaedam detorta esse sed tantum hastilia, quae cuneis adactis explicandi causa elidunt et findunt, ut ferrum ligno inseratur, ideo dico, qiua apud editores hunc locum male enarrari video.

Meine Übersetzung.

Ich glaube nicht, dass Seneca es konnte, so Züchtigung als aufrichtig zu erklären, wie er wollte, dass sie verstanden wird, die nicht durch einen Anstoß des Zorns oder der Gier entsteht (denn so legen sie [wer sie ist,wird nicht gesagt] sie massenhaft dar).

Sicher sollte besser im unten dargereichten Abschnitt sincera ....(nur Ablative???).... mit ratio verbunden werden. Doch ich glaube dennoch, dass Seneca eher so geschrieben hat: sed haec sine ira, cum ratione: so sprch er passend und deutlich, wie in Kap. 11,2; 15,1.

Von dieser Art an Fehlern erörterte Madvig(ius?) viele und brachte viele Beispiele, in denen wie an dieser Stelle, weil einige Buchstaben ein wenig verändert worden und dann zusammengeschmolzen sind, völlig andere Worte entstanden sind.

Bei denen, die sich sofort anschließen, sage ich, dass das Objekt des Verbes elidimus nicht hastilia quaedam detorta ist, sondern nur hastilia, die nachdem sie in Keile getrieben worden sind, um des Erlösens Wille zerschlagen und zerspalten [wer ist hier Subjekt?], wie Eisen ins Holz gepfropft wird; ich sage dies deshalb, weil ich sehe, dass bei den Herausgebern diese Stelle schlecht dargestellt wird.



Kann sich dies jemand einmal ansehen? In der ersten Hälfte hab ich das Gefühl, alles ist falsch. Vielleicht ist dieses Latein anders als klssisches Latein. Vor allem weiß ich an der Stelle nicht weiter, wo nur Ablative sind. Was gehört zusammen?
Und bei der zweiten Hälfte frag ich mich, wozu er er das schreibt (auch wenn er es sagt). Was hat das damit zu tun, dass er sincera durch sine ira ersetzen will?
Und diese Ersetzung jetzt gerechtfertigt? Es gibt mehrer Ausgaben, die sine ira nicht übernommen haben.

Ich hoffe meine Frage ist nicht zu eigenartig oder zu speziell.

Danke schonmal
Denise
Denise
 

Re: lat. Text aus der Neuzeit (von Gertz)

Beitragvon Clemens » Fr 5. Jun 2009, 21:46

sublato commate ist ein abl. abs. und casu würde ich als abl. limitationis sehen. Hilft das?
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Re: lat. Text aus der Neuzeit (von Gertz)

Beitragvon consus » Sa 6. Jun 2009, 10:51

Servus, Denise.
Hier mein Verständnis der Anm. zu Seneca:
Senecam castigationem sinceram ita appellare potuisse, ut eam intellegi vellet, quae non irae et cupiditatis impulsu fieret (nam sic vulgo enarrant), non credo.
Dass Seneca eine Zurechtweisung sinceram (rein, unverdorben, frei von emotionalen Elementen) so hätte nennen können, dass er sie als diejenige verstanden wissen wollte, die nicht infolge einer Einwirkung von Zorn und Leidenschaft geschehe (denn so interpretiert man es gemeinhin), glaube ich nicht.
enarrant] 3. Pl. entspricht dem deutschen man.
Melius certe sublato commate sincera casu cum ratione conjungeretur; sed tamen ita potius Senecam scripsisse putaverim: sed haec sine ira, cum ratione: sic apte et diserte locutus est ut cap. 11,2; 15,1.
Besser gewiss ließe sich unter Aufhebung des Kommas sincera kasusgemäß mit ratione verbinden; aber dennoch möchte ich meinen, dass Seneca eher folgendermaßen geschrieben hat: sed haec sine ira, cum ratione: so sprach er passend und deutlich wie in Kap. 11,2; 15, 1.
De hoc mendorum genere multa Madvigius Adv. crit. I p. 26 sqq. disputavit multaque exempla attulit, in quibus ut hoc loco litteris quibusdam paullulum mutatis et deinde conflatis prorsus alia verba effecta sunt.
Über diese Art von Fehlern stellte Madvig [dänischer Philologe, c.] … viele Erörterungen an und trug dafür viele Beispiele vor, bei denen wie an dieser Stelle infolge einer geringfügigen Änderung gewisser Buchstaben und deren hierauf folgender Verschmelzung völlig andere Wörter entstanden sind.
(M. E. eine überzeugende Argumentation; man beachte auch die Gegenüberstellung sine ira / cum ratione.)
In iis, quae statim subsequuntur, objectum verbi elidimus non hastilia quaedam detorta esse sed tantum hastilia, quae cuneis adactis explicandi causa elidunt et findunt, ut ferrum ligno inseratur, ideo dico, quia apud editores hunc locum male enarrari video.
Dass in dem, was sogleich folgt, das Objekt des Verbums elidimus nicht hastilia quaedam detorta ist, sondern nur hastilia (Speerschäfte), die man durch Herantreiben von Keilen der Ausdehnung wegen quetscht und spaltet, damit Eisen [Speerspitze, c.] dem Holz eingefügt werden könne, sage ich deshalb, weil ich bei den Herausgebern diese Stelle schlecht erklärt sehe.
In iis, quae] Neutrum Plural > im Deutschen Singular (ea, quae = das, was).
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Re: lat. Text aus der Neuzeit (von Gertz)

Beitragvon Denise » So 7. Jun 2009, 10:29

Danke.

Irgendwie hatte ich mich wohl im ersten Teil komplett verrannt. Jetzt ergibt das Ganze wenigstens einen Sinn, auch wenn ich es nicht nachvollziehen kann:

Reicht so eine Aussage als Rechtfertigung für eine Konjektur (/Emendatio? wo ist da der Unterschied)?
Ich meine; er hat zwar Recht mit den Parallelstelle, aber das kann auch zufall sein. Es geht schließlich um das gleiche Thema.
In 11,2 heißt es, man müsse Fehlgegangene verbessern, zwar nicht ohne Züchtigung aber ohne Zorn; in 15,1: all dies (= kämpfen, jagen, entscheiden) schaffe die Vernunft auch ohne Zorn.
Seneca wiederholt sich ständig in De Ira. Ein Buch hätte vollkommen gereicht.

Was die Behauptung mit dem Verschreiben angeht: ware es nicht eigenartig, wenn ausgerechnet ein neues Wort entsteht, das inhaltlich auch passen würde (als Hendiadyoin). Das würde bedeuten, dass der Abschreiber Latein konnte. Dies war aber doch häufig nicht der Fall.

Was meint ihr, bin ich zu kritisch oder pingelig?
Denise
 

Re: lat. Text aus der Neuzeit (von Gertz)

Beitragvon Clemens » So 7. Jun 2009, 10:58

Wir verdanken viele Fehler in den überlieferten Texten ja gerade dem Umstand, dass die Abschreiber beziehungsweise deren Korrektoren zwar Latein konnten, aber nicht gut genug für den abzuschreibenden Text. So wurden unverständliche Textstellen vermeintlich verbessert.
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