Oxford/Teubner

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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon RM » Fr 4. Sep 2009, 00:12

Da fällt mir die Laokoon-Gruppe ein (http://de.wikipedia.org/wiki/Laokoon-Gruppe), die jahrelang völlig falsch rekonstruiert dastand, bis man ein Stück von Laokoons Arm wiedergefunden hat. Danach hat man es lieber unterlassen, die fehlenden Stücke zu ergänzen. Ich denke, so geht es bei der Herausgabe antiker Texte auch oft zu. Manchmal ist einem das Werk eines Kopisten, der das Original nicht verstand und sich auf das Abmalen von Buchstaben beschränkte, lieber als mutwillige "Korrekturen".

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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon Laodamas » Fr 4. Sep 2009, 01:18

Schon mal was von Konjekturen gehört, werther RM?
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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon Merkur » Fr 4. Sep 2009, 01:28

Laodamas hat geschrieben:Schon mal was von Konjekturen gehört, werther RM?

:?

Ich möchte mich ja nicht einmischen, aber: Könntest du diese Frage etwas präzisieren, werther Laodamas?
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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon linguator » Fr 4. Sep 2009, 01:41

RM hat schon Recht, dass Konjekturen gelegentlich sehr fragwürdig ausfallen ("Konveniert meinem Sprachgefühl nicht, mach ich anders"-Konjekturen).

Trotzdem find ich aber übertrieben, Editionen deshalb grundsätzlich für schlechter als Handschriftenarbeit zu befinden. Wenn die ordentlich gemacht sind, erspart man sich damit viel Grübelei, die ein kluger Kopf im Normalfall auch besser hinbekommen hat als man selbst das könnte.

Wenn man natürlich ebenso viele Handschriften (+n) wie der Editor zur Verfügung hat und sie auch noch lesen kann, hat man freilich schon gewisse Chancen, näher ans Original zu kommen als der edierte Text es tat. Aber dann ist man schon bald mehr Paläograph als Philologe.


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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon RM » Fr 4. Sep 2009, 08:25

Laodamas hat geschrieben:Schon mal was von Konjekturen gehört, werther RM?

Natürlich, habe selbst ja auch schon welche "verbrochen" :wink: Aber genau das wollte ich am Beispiel der Laokoon-Gruppe erläutern: Der früher gestreckte Arm war auch eine Konjektur - leider eine, die dem Original nicht entsprach, wie sich dann hgerausstellte.
Der Leser/Benutzer einer kritischen Ausgabe kann nur dann beurteilen, wie gut die Konjekturen sind, wenn er einen umfangreichen Apparat mit allen Lesarten zur Verfügung gestellt bekommt. Was er nicht sieht, ist, ob die Lesarten stimmen und der Paläograph nicht schon stillschweigend Konjekturen eingebaut hat. Daher müßte man eben auch die Handschriften zur Hand nehmen, besonders bei Prosatexten.

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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon Quintus » Fr 4. Sep 2009, 12:05

Hallo,

Domingo hat geschrieben:Nur dürfte die Meinung des Herausgebers darüber, was die beste Lesart ist, meistens auf einer größeren Kenntnis des Stils des Autors, der zeitgenössischen Sprache, der kulturellen Voraussetzungen usw. usf. beruhen, als sie der ottonormale Kopist besaß. Meine ich zumindest 8) Dann dürfte der kritische Text auch näher am Original sein.


Dem würde auch ich zustimmen. Gerade um dem Original so 'nah' wie möglich zu kommen, ist es eben notwendig, alle überlieferten Texte eines antiken Werkes genau zu prüfen. Nur so kann man sich bei kritischen Stellen für die "wahrscheinlichste Lesart" entscheiden oder z.B. verderbte Stellen "so gut wie möglich" rekonstruieren. Dabei muss jedem aber immer bewusst sein, dass man ein 'Original' nie zu hundertprozent wiederherstellen kann.

RM hat geschrieben: Der Leser/Benutzer einer kritischen Ausgabe kann nur dann beurteilen, wie gut die Konjekturen sind, wenn er einen umfangreichen Apparat mit allen Lesarten zur Verfügung gestellt bekommt. Was er nicht sieht, ist, ob die Lesarten stimmen und der Paläograph nicht schon stillschweigend Konjekturen eingebaut hat. Daher müßte man eben auch die Handschriften zur Hand nehmen, besonders bei Prosatexten.


Das ist freilich prinzipiell richtig. Jedoch sollte man bei wissenschaftlichen Ausgaben davon ausgehen, dass die Lesarten stimmen, Konjekturen nicht schon stillschweigend eingebaut wurden, denn genau das macht eben die Qualität einer Ausgabe aus. In vielen Fachzeitschriften - z.B. Gnomon - werden neue Ausgaben ja auch von Fachleuten rezensiert, sodass man sich hier eine Bewertung bezüglich einer Ausgabe einholen kann, oder man fragt einfach Dozenten in der Uni um Rat, welche Ausgabe sie verwenden würden. Hat man sich auf diese Weise erkundigt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, mit einer nach wissenschaftlichen Methoden erstellten Ausgabe zu arbeiten, die nicht den Anspruch hat, 'das Original' zu sein, sondern sich diesem so weit wie möglich zu nähern.

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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon RM » Fr 4. Sep 2009, 18:41

Quintus hat geschrieben:Jedoch sollte man bei wissenschaftlichen Ausgaben davon ausgehen, dass die Lesarten stimmen, Konjekturen nicht schon stillschweigend eingebaut wurden, denn genau das macht eben die Qualität einer Ausgabe aus.

Ich gehe davon nicht unbedingt aus, wenn ich es nicht selbst nachgeprüft habe :wink: Zum Glück sind viele Texte ja doch ganz gut überliefert.

Quintus hat geschrieben:... oder man fragt einfach Dozenten in der Uni um Rat, welche Ausgabe sie verwenden würden.

Und was macht man, wenn man sich mit etwas beschäftigt, das der Dozent nicht kennt und von dem es nur genau eine Ausgabe gibt? Außerdem würde ich das nicht machen, wenn ich vorhabe, über einen Text etwas zu veröffentlichen - da rede ich vorher nämlich nur ungern drüber ... :)

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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon Domingo » Fr 4. Sep 2009, 19:01

RM hat geschrieben:Ich gehe davon nicht unbedingt aus, wenn ich es nicht selbst nachgeprüft habe


Und vermutlich gingest Du als Naturwissenschaftler nicht unbedingt davon aus, dass der Wert, der in Lehrbüchern für die Lichtgeschwindigkeit angegeben wird, richtig ist, wenn Du nicht selbst in Deinem Keller das einschlägige Experiment durchgeführt hättest :roll:
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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon RM » Fr 4. Sep 2009, 19:18

Zu dem Thema gibt es in der Tat interessante Untersuchungen. Gerade in Lehrbüchern finden sich erstaunlich viele Fehler. Die Lichtgeschwindigkeit ist in den meisten aber inzwischen recht genau angegeben (mit der richtigen Versuchsanordnung ist es nicht so schwierig, sie zu messen), schwieriger wird's bei der Frage, wie lang ein Meter ist :wink:
Aber "davon ausgehen, dass" sollte man beim wissenschaftlichen Arbeiten nicht grundsätzlich. Ab und zu schadet es nichts, die Voraussetzungen noch einmal zu überprüfen - das gilt nicht nur für die Naturwissenschaften.

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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon linguator » Fr 4. Sep 2009, 20:12

Trotzdem kann man nicht alles, womit man jemals arbeitet, überprüfen. Hier und da muss man sich gezwungenermaßen auf anderer Leute Arbeit verlassen. Ob man sich jetzt auf einen Kopisten des 14. Jahrhunderts verlässt (der von einem Kopisten eines Kopisten eines Kopisten eines Kopisten (...) eines Kopisten abgeschrieben hat) oder auf jemanden, der zwanzig Kopien in der Hand hatte und die Zusammenhänge halbwegs geblickt und rekonstruiert hat, macht m.E. schon einen deutlichen Unterschied zugunsten des Editors.

Ich streite ja nicht ab, dass auch das Werk eines Kopisten "in sich" logisch und zusammenhängend und gut sein mag, aber in dem Falle ist die Chance sehr gering, dass man es bemerkt, wenn drei Abschreib-Generationen vorher der Kopist mal seine Freunde und Kollegen in der Himmelsvision des Paulus untergebracht hat. Oder seine Schwiegermutter in der Hölle. (Semifiktives Beispiel, die Visio Pauli ist tatsächlich ein ziemlich kurioser Fall von mittelalterlicher Kopistenkreativität.)

Und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kopist des (hochgradig copyright-unsensiblen) Mittelalters im Text herumgepfuscht hat erscheint mir allemal erheblich schwerwiegender als die, dass der Editor kommentarlos im Text herummanipuliert hat.
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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon Quintus » Fr 4. Sep 2009, 20:41

Hallo

RM hat geschrieben:Ich gehe davon nicht unbedingt aus, wenn ich es nicht selbst nachgeprüft habe Zum Glück sind viele Texte ja doch ganz gut überliefert.


Das heißt also, dass Du vor jeder wissenschaftlichen Arbeit mit einem bestimmten Autor erst einmal Deine eigene Textausgabe erstellen würdest :wink: , um auf Nummer sicher zu gehen :wink: . Ich weiß von einem Vortrag, wie schwierig und langwierig die Erstellung einer wissenschaftlichen Textausgabe ist. Das ist selbst bei in Bezug auf die Seitenzahl eher kleineren Schriften eine intensive und langwierige Aufgabe. Also hätte man da sehr viel Arbeit ;-). Sicher gibt es bessere und schlechtere Ausgaben, aber im Großen und Ganzen wird man ihnen schon vertrauen dürfen, zumal ja im Apparat die anderen Lesarten angegeben sind, und man sich also auch entgegen den vom Editor herausgegeben Text entscheiden darf und eventuell manchmal muss :wink: .

RM hat geschrieben:Quintus hat geschrieben:
... oder man fragt einfach Dozenten in der Uni um Rat, welche Ausgabe sie verwenden würden.

Und was macht man, wenn man sich mit etwas beschäftigt, das der Dozent nicht kennt und von dem es nur genau eine Ausgabe gibt? Außerdem würde ich das nicht machen, wenn ich vorhabe, über einen Text etwas zu veröffentlichen - da rede ich vorher nämlich nur ungern drüber ...


Wenn der Dozent das nicht kennt, hat man natürlich Pech (oder vielleicht auch Glück) gehabt :-D . Ansonsten ist es wohl für den Dozenten nur schwer möglich, aus der Frage, welche Textausgabe man beispielsweise zu Ciceros De divinatione benutzen sollte, herauszuahnen, was für eine Thematik man in diesem Werk eingehender untersuchen möchte :wink: .

So ernst sollte man diese Diskussion bezüglich der Fragwürdigkeit von wissenschaftlichen Textausgaben allerdings nicht nehmen. Auch wenn sie wohl nicht immer perfekt sind, sind sie für die philologische Arbeit nicht wegzudenken. Ebenso ist es aber sinnvoll, selbst mit wachsamen und kritischem Blick mit ihnen zu arbeiten.

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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon consus » Fr 4. Sep 2009, 20:53

Quintus hat geschrieben:... wissenschaftlichen Textausgaben ... nicht immer perfekt ... für die philologische Arbeit nicht wegzudenken.... selbst mit wachsamen und kritischem Blick mit ihnen zu arbeiten.

Na endlich, jetzt haben wir doch ein gutes Schlusswort, wie mir scheint.
:)
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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon RM » Fr 4. Sep 2009, 21:14

Quintus hat geschrieben:Das heißt also, dass Du vor jeder wissenschaftlichen Arbeit mit einem bestimmten Autor erst einmal Deine eigene Textausgabe erstellen würdest :wink: , um auf Nummer sicher zu gehen :wink:

Wäre natürlich ideal - aber zumindest schaue ich mir gerne die verschiedenen Ausgaben an - wenn ich damit wissenschaftlich arbeiten möchte. Am liebsten arbeite ich aber mit Sachen, von denen es weder brauchbare Ausgaben noch allzu viel Sekundärliteratur und möglichst nur eine einzige oder maximal zwei Handschriften gibt :wink: Wie lange es dauert - tja, mindestens zwei Jahre, aber eigentlich wird man nie fertig :sad: ... aber von welchem Dozenten redest du eigentlich immerzu? :wink:

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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon consus » Fr 4. Sep 2009, 21:44

Legitimis causis orta est discordia dira:
Irrita iam fundi vanaque verba reor.

:roll:
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Re: Oxford/Teubner

Beitragvon Quintus » Sa 5. Sep 2009, 00:18

Hallo,


consus hat geschrieben:Legitimis causis orta est discordia dira:

Irrita iam fundi vanaque verba reor.



Ich stimme dem kleinen und eleganten Gedicht von Consus vollkommen zu, auch wenn ich nicht hoffe, dass irgendjemand das oben Geschriebene als 'dira concordia' empfunden hat. Ich wollte mit meinen Beiträgen auf jeden Fall keine irgendgeartete discordia :wink: bezwecken und schließe mich dem von Consus in seinem vorletzten Beitrag ausgewähltem Schlusswort an.

RM hat geschrieben:Am liebsten arbeite ich aber mit Sachen, von denen es weder brauchbare Ausgaben noch allzu viel Sekundärliteratur und möglichst nur eine einzige oder maximal zwei Handschriften gibt Wie lange es dauert - tja, mindestens zwei Jahre, aber eigentlich wird man nie fertig


Das hört sich ziemlich interessant an, was Du da machst, RM. Was für Handschriften bearbeitest du denn?

RM hat geschrieben:... aber von welchem Dozenten redest du eigentlich immerzu?

Ich habe von keinem bestimmten Dozenten gesprochen, meinte "den" Dozenten an sich :wink: .

Viele Grüße,
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