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Beitragvon Brakbekl » Sa 3. Okt 2009, 08:36

Hallo,

also ich möchte mal einen Spezialisten fragen:
Im Pons-Standard Wörterbuch steht S. 425 "m am Wortende wurde nicht als m gesprochen, stattdessen wurde wahrscheinlich der Vokal davor nasaliert. (Vergl. die Elision des m am Wortende vor Vokal in der Dichtung)

Davon weiß RUBI* nichts! Meine Frage: Hat das eventuell ein Portugiese hERausgefunden? vergl. bendita

Danke für die profunde Antwort.


*Rubenbauer/Hoffmann
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Re: EndeM

Beitragvon Zythophilus » Sa 3. Okt 2009, 09:00

SALVE
Dass das Schluss-m nur schwach bis gar nicht ausgesprochen wurde, ist nichts Unbekanntes.
Wir finden das Phänomen bei Inschriften (optumo viro in der Scipioneninschrift ist Akk.!), und auch in der Metrik wird ein auf m auslautendes Wort wie eines mit Vokal am Schluss gewertet, wie erwähnt. Die romanischen Sprachen übernehmen die lat. Wörter meist in der m-losen Akk.Form.
Welche Belege führt denn der PONS an, die für die nasale Aussprache sprechen?
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Re: EndeM

Beitragvon Brakbekl » Sa 3. Okt 2009, 09:14

Hallo Zythophilus,

Pons führt gar nichts an, ich war bloß erstaunt, daß sich davon nichts bei Rubenbauer fand. Immerhin handelt es sich um ein Kleines A6-formatiges WB in beiden Richtungen, eher für die Schule gebaut. Ich hab's erst seit einem Tag in der Hand.

Zu Scipioneninschrift: Meinst Du die auf dem Sarg im Vatican ausgestellte? Gibts davon was im Internet zu sehen? Ich hab von Dichtung bisher nicht allzuviel profitieren können.
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Re: EndeM

Beitragvon Zythophilus » Sa 3. Okt 2009, 09:22

Hier gibt's einmal einen Überblick (Inschrift B) http://de.wikipedia.org/wiki/Grab_der_Scipionen
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Re: EndeM

Beitragvon RM » Sa 3. Okt 2009, 10:08

Aber ob man aus dem gelegentlichen Weglassen des M auf diesen Inschriften auf die Aussprache schließen kann, ist die Frage. Oft genug wurde es ja auch geschrieben und es könnte auch sein, daß -o tatsächlich als Akkusativendung verwendet wurde (interessant z.B.: PATER REGEM ANTIOCO SVBEGIT). Im Mittelalter hat man die M's i.d.R. durch einen Strich über dem Vokal davor abgekürzt, der dann gelegentlich vergessen wurde. Außerdem hat sich die Aussprache im Lauf der Jahrhunderte sicherlich enorm geändert.

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Re: EndeM

Beitragvon linguator » Sa 3. Okt 2009, 11:15

Huhu,

ich hab vergangenes Jahr ein Seminar der Indogermanisten besucht (die meinen, dass sie da viel Ahnung von haben). Die einschlägige Meinung ist, dass in der frühen (!) lateinischen Sprache, so ~700 bis 200, eine Nasalierung stattgefunden haben muss, weil es dort in den Inschriften relativ konsequent fehlt. In der späten Republik und mehr noch in der Kaiserzeit wird die Schreibung auch auf den Inschriften anscheinend immer "schulbuchmäßiger", sodass man davon ausgehen muss, dass

- *m entweder nun gesprochen wurde
- oder nun einfach mehr Leute "richtig" lesen und schreiben konnten.

Dass *m bei der allgemeinen Entwicklung zum immer-romanischeren erst im Laufe der Entwicklung gesprochen wurde (was im Prinzip ja eher verkomplizierend als vereinfachend für die Aussprache ist), erscheint mir dann doch eher fragwürdig. Bleibt dann aber die Frage, warum man das noch so geschrieben hat.

Mit Blick auf die Metrik scheint diese Wegnasalier-Theorie auch zutreffend, denn -m am Wortende wird meist so behandelt (auch bei Vergil und späteren), als wärs garnicht da. Das sieht etwa so aus, dass bei Worten mit Akk. auf "-um" das "m" weggedacht wird und man dann ggf. das "u" mit dem Startvokal des nächsten Wortes verschleift: "imperium omisit" -> "imperiu(m) omisit" -> "imperi(u)(m) omisit" -> "imper(i)(u)(m) omisit".
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Re: EndeM

Beitragvon Zythophilus » Sa 3. Okt 2009, 11:36

Offensichtlich gehen einige sehr wohl davon aus, dass man aus dem (mehr als gelegentlichen) Weglassen des *m in Inschriften darauf schließen kann, dass es nicht oder nur sehr schwach ausgesprochen wurde. Die Inschrift ... REGEM ANTIOCO ... beweist lediglich, dass eine orthographisch richtige Version direkt neben der falschen stehen kann. Mir scheint es plausibler, dass im Laufe der Zeit die auditive Schreibung immer mehr der orthographisch korrekten Variante wich.
Außerdem wäre es ziemlich befremdlich, wenn ein deutlich ausgesprochenes *m in der Metrik behandelt würde, als wäre es nicht da.
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De M littera in E mollita

Beitragvon consus » Sa 3. Okt 2009, 11:54

Zur Frage des auslautenden M*:
Quint. inst. 9, 4, 40:
Atqui eadem illa littera [sc. M], quotiens ultima est et vocalem verbi sequentis ita contingit, ut in eam transire possit, etiam si scribitur, tamen parum exprimitur, ut 'multum ille' et 'quantum erat', adeo ut paene cuiusdam novae litterae sonum reddat. Neque enim eximitur, set obscuratur et tantum in hoc aliqua inter duas vocales velut nota est, ne ipsae coeant.
Velius Longus (G.L. VII, S. 78, 19ff.):
Cum dico 'etiam nunc', quamquam per M scribam, nescio quomodo tamen exprimere non possum.
Priscianus (G.L. II, S. 29, 15f.):
M obscurum in extremitate dictionum sonat, ut 'templum', apertum in principio, ut 'magnus', mediocre in mediis, ut 'umbra'.
Interessant eine Notiz bei Velius Longus (G.L. VII, S. 80, 17ff.):
Nonnulli circa synaliphas quoque observandam talem scriptionem existimaverunt, sicut Verrius Flaccus, ut, ubicumque prima vox M littera finiretur, sequens a vocali inciperet, M non tota, sed pars illius prior tantum scriberetur, ut appareret exprimi non debere.
Damit fällt Licht auf zwei Quintilianstellen:
inst. 1, 7, 23:
non Cato Censorius 'dicam' et 'faciam' 'dicae' et 'faciae' scripsit eundemque in ceteris, quae similiter cadunt, modum tenuit? Quod … ex veteribus eius libris manifestum est …
inst. 9, 4, 39:
illa Censorii Catonis 'dicae' 'faciae'que, M littera in E mollita.
Es hat also auch Cato wie Verrius Flaccus ein besonderes Zeichen für das auslautende M verwendet, und zwar ein um 90° gedrehtes M, also Σ, das dann leicht als E gedeutet werden konnte: DICAM > DICAΣ > DICAE usw.

Anm.
RHH erwähnt die Synaloiphe (M vor anlautendem Vokal) im § 270 (2).

_____________________________________________________________________________
* Zum Folgenden vgl. Max Niedermann, Historische Lautlehre des Lateinischen, Heidelberg 1953, S. 110-112.
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Re: EndeM

Beitragvon RM » Sa 3. Okt 2009, 12:46

Zythophilus hat geschrieben:Die Inschrift ... REGEM ANTIOCO ... beweist lediglich, dass eine orthographisch richtige Version direkt neben der falschen stehen kann. Mir scheint es plausibler, dass im Laufe der Zeit die auditive Schreibung immer mehr der orthographisch korrekten Variante wich.

Ich bin mir da nicht so sicher, was zur Zeit seiner Entstehung orthographisch "richtig" und was "falsch" war. Wenn es dort steht, war es wahrscheinlich so, daß es für das Umfeld, in dem es entstanden ist, als richtig angesehen wurde. Jetzt muss mir aber mal jemand erklären, was im frühen Latein der Unterschied zwischen "auditiver Schreibung" und "orthographisch korrekter Variante" ist, wenn wir nicht genau wissen, wie es ausgesprochen wurde (ist z.B. "subigit omne Loucanam opsidesque abdoucit" eine auditiv richtige Schreibung?). Bei der "Nasalierung" bin ich etwas skeptisch und glaube eher, daß die Laute m am Ende und n vor s etc. lediglich sehr schwach bzw. nur zwischen Vokalen oder gar nicht ausgesprochen wurden. Leider sind die Bemerkungen von Quintilian etc. wenigstens 200 Jahre später entstanden, deuten aber nicht direkt auf eine Nasalierung wie im Französischen oder Portugiesischen hin.

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Re: EndeM

Beitragvon Zythophilus » Sa 3. Okt 2009, 13:03

Wenn später die Akkusative fast durchwegs in den Inschriften das *m bekommen, so scheint es doch so, dass man es so als orthographisch richtig empfand. Früher war vielleicht dieses Bewusstsein nicht so gegeben, doch klingt es nicht plausibel, dass ein tatsächlich deutlich ausgesprochenes *m in so vielen Fällen weggelassen wird (gilt ebenso für den Gen.Pl.). Weiters wäre es etwas seltsam, ein falsches und auch nicht ausgesprochenes *m doch in einigen Fällen dazusetzen; cui bono?
Genau lässt sich die Aussprache natürlich nicht rekonstruieren, aber die Hinweise ergeben ein relativ deutliches Bild - vorausgesetzt, dass man die Augen aufmacht. Für den, der das zu seiner Zeit las, war es ja insofern ohnehin verständlich, als er sich den Text vorlas.
Auch Consus' Nachricht zeigt ja, dass sich gebildete Römer durchaus der Divergenz zwischen dem Schriftbild und der Aussprache bewusst waren.
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Re: EndeM

Beitragvon Zythophilus » Sa 3. Okt 2009, 13:11

Vermutlich wussten auch die Steinmetze nicht immer so genau, was sie da schrieben.
Die Inschrift H im Scipionengrab bringt ein schönes Beispiel, wie die Schreibung von der Aussprache abweichen kann. ei sollte eigentlich ein langes i sein, wie es in der zweiten Silbe von sibi ursprünglich ist, bevor die Jambenkürzung eintritt.
Im Hexameter
Maiorum optenui laudem, ut sibei me esse creatum
muss aber sibei doppelkurz sein, weil es sonst nicht ins Versmaß passt. Vielleicht hat der Schreiber tatsächlich das Wort als Jambus vor Augen und auf den Lippen, der Verfasser der Verse sicher nicht.
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Re: EndeM

Beitragvon RM » Sa 3. Okt 2009, 14:34

Eine interessante Frage, welche Soziolekte es im Rom des 2./3. Jhdts. v. Chr. gab und wie weit die Aussprache verschiedener Bevölkerungsschichten voneinander abwichen (Prof. Higgins alias Henry Sweet läßt grüßen ...), was zu einer solchen Diskrepanz hat führen können.

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Re: EndeM

Beitragvon Zythophilus » Sa 3. Okt 2009, 15:16

Wie sprach ein römisches Blumenmädchen im frühen 2. Jh. vor Christus? Wie werden's wohl nie erfahren, aber wahrscheinlich könnte man eine antike Version von "My Fair Lady" daraus machen.
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Re: EndeM

Beitragvon Brakbekl » Sa 3. Okt 2009, 16:12

HALLO, NOCHMAL ABSCHLIEßEND: GIBT ES IM NET IRGENDWO LATEINISCHES ZU HÖREN? KLASSIKER TEXTE MEINE ICH.

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Re: EndeM

Beitragvon RM » Sa 3. Okt 2009, 17:24

Ja, Vergil, gelesesen von unserem guten Valahfridus: http://wiredforbooks.org/aeneid/

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