Schopenhauer und Latein

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Schopenhauer und Latein

Beitragvon consus » Mo 5. Okt 2009, 13:42

Salvete, amici.
Ein bisschen Schopenhauer für alle Lateiner zu Beginn des WS 09/10 kann nicht schaden: Worte*, die zum Teil ebenso provozieren wie das Herz erfrischen, sicher vielen schon bekannt, doch immer wieder lesens- und bedenkenswert:


Die Erlernung mehrerer Sprachen ist nicht allein ein mittelbares, sondern auch ein unmittelbares, tief eingreifendes, geistiges Bildungsmittel. Daher der Ausspruch Karls V.: „So viele Sprachen Einer kann, so viele Mal ist er Mensch.“ (Quot linguas quis callet, tot homines valet.)
[…]
Bisweilen auch drückt eine fremde Sprache einen Begriff mit einer Nüance aus, welche unsere eigene ihm nicht giebt und mit der wir ihn jetzt gerade denken: dann wird Jeder, dem es um einen genauen Ausdruck seiner Gedanken zu thun ist, das Fremdwort gebrauchen, ohne sich an das Gebelle pedantischer Puristen zu kehren.
[…]
Daher also muß man, bei der Erlernung einer fremden Sprache, mehrere ganz neue Sphären von Begriffen in seinem Geiste abstecken: mithin entstehn Begriffssphären wo noch keine waren. Man erlernt also nicht bloß Worte, sondern erwirbt Begriffe. Dies ist vorzüglich bei der Erlernung der alten Sprachen der Fall; weil die Ausdrucksweise der Alten von der unserigen viel verschiedener ist, als die der modernen Sprachen von einander; welches sich darin zeigt, daß man, beim Uebersetzen ins Lateinische, zu ganz andern Wendungen, als die das Original hat, greifen muß. Ja, man muß meistens den lateinisch wiederzugebenden Gedanken ganz umschmelzen und umgießen; wobei er in seine letzten Bestandtheile zerlegt und wieder rekomponirt wird. Gerade hierauf beruht die große Förderung, die der Geist von der Erlernung der alten Sprachen erhält.
[…]
Endlich ist aus dem Gesagten leicht abzusehn, daß die Nachbildung des Stiles der Alten, in ihren eigenen, an grammatischer Vollkommenheit die unserigen weit übertreffenden Sprachen, das allerbeste Mittel ist, um sich zum gewandten und vollkommenen Ausdruck seiner Gedanken in der Muttersprache vorzubereiten.
[…]
Durch das Lateinschreiben allein lernt man die Diktion als ein Kunstwerk behandeln, dessen Stoff die Sprache ist, welche daher mit größter Sorgfalt und Behutsamkeit behandelt werden muß… Ohne diese Vorschule artet die Schreiberei leicht in bloßes Gewäsche aus.
[…]
Der Mensch, welcher k e i n L a t e i n versteht, gleicht Einem, der sich in schöner Gegend bei nebligem Wetter befindet: sein Horizont ist äußerst beschränkt: nur das Nächste sieht er deutlich, wenige Schritte darüber hinaus verliert er sich ins Unbestimmte. Der Horizont des Lateiners hingegen gehr sehr weit, durch die neueren Jahrhunderte, das Mittelalter, das Alterthum. - Griechisch, oder gar noch Sanskrit, erweitern freilich den Horizont noch um ein Beträchtliches. - Wer kein Latein versteht, gehört zum V o l k e , auch wenn er ein großer Virtuose auf der Elektrisirmaschine wäre und das Radikal der Flußspathsäure im Tiegel hätte.
An euern Schriftstellern, die kein Latein verstehn, werdet ihr bald nichts Anderes, als schwadronirende Barbiergesellen haben. Sie sind schon auf gutem Wege mit ihren Gallicismen und leicht seyn wollenden Wendungen. Zur Gemeinheit, edele Germanen, habt ihr euch gewendet, und Gemeinheit werdet ihr finden.
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* Vereinzelte, jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände, Kap. 25: Ueber Sprache und Worte, § 299. Band X der Zürcher Ausgabe, S. 616-621.
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Re: Schopenhauer und Latein

Beitragvon Domingo » So 18. Okt 2009, 20:04

Ich bin fast versucht, "Amen" zu schreiben :smile:

Ich weiß zwar nicht, was "grammatikalische Vollkommenheit" ist und warum dies den modernen Sprachen abgehen soll, aber die allermeisten Aussagen kann ich unterschreiben.
ἐγὼ μὲν ὁ αὐτός εἰμι, ὑμεῖς δὲ μεταβάλλετε.
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