Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

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Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

Beitragvon Pyrrha » Mo 11. Jan 2010, 00:16

Salvete,
Die Frage, welche Belege es für die offene oder geschlossene Aussprache von Vokalen in den beiden klassischen Sprachen gibt, setze ich mal hier fort. Wie sieht es damit im Lateinischen aus, und auf welcher Grundlage fußt die Überzeugung, dass die langen griechischen Vokale offen, die kurzen aber geschlossen ausgesprochen wurden?
Gruß, Pyrrha.
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Re: Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

Beitragvon ille ego qui » Mo 11. Jan 2010, 00:24

zumindest ein kleines Indiz für eine jeweils verschiedenen quali(!)tät von omikron und omega bzw. epsilon und eta dürfte, schätze ich, die tatsache sein, dass es in beiden fällen jeweils zwei verschiedene zeichen gibt - was bei den anderen vokalen nicht der fall ist ... wie gesagt, ein schwaches (!) indiz (!).
für die knallharten beweise seien die fachmänner zuständig ;-)
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Re: Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

Beitragvon Tiberis » Mo 11. Jan 2010, 02:25

salvete !
ich habe meine ansicht dazu zwar schon im "lateinforum" geäußert, wiederhole mich aber gerne:
es gibt zahlreiche anhaltspunkte. um nur ein einziges beispiel zu nennen: langes e wurde geschlossen ausgesprochen (ganz im gegensatz zu dieser unsäglichen weinerlich-affektierten Pyramus u.Thisbe- Wiedergabe auf youtube) , denn wie sonst wäre die häufige vertauschung des -es (als endung in der 3.dekl.) durch -is zu erklären?
eine ausführliche und , wie ich meine, fundierte darstellung der lat. aussprache findet sich übrigens in Kühner-Holzweissig, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, Teil 1,Darmstadt WBG 1966, 11-54.
wie es im griechischen aussieht, kann ich nicht sagen, ohne mich vorher in die "materie" eingelesen zu haben. dennoch vermute ich, dass es z.b.einen einfluss auf die aussprache gehabt haben könnte,ob sich etwa ein eta in einer betonten oder unbetonten silbe befindet. und außerdem: von welchem griechisch reden wir überhaupt? innerhalb mehrerer jahrhunderte ändert sich bekanntlich so manche aussprache..
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Re: Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

Beitragvon RM » Mo 11. Jan 2010, 09:04

Die modernen Griechen sind i.d.R. der Auffassung, daß die altgriechische der neugriechischen Aussprache wesentlich näher war, als wir das normalerweise glauben. Daß Scipio mit Eta geschrieben wurde, kann also auch heißen, daß das Eta dem I sehr nahe war. Dann gibt es im Griechischen auch noch das Problem der Dialekte.
Die Schreibung lateinischer Eigennamen im Griechischen ist dennoch ein sehr starkes Indiz, wie es wohl ausgesprochen wurde. Ein weiteres wären die pompeianischen Inschriften mit Schreibfehlern, die uns zumindest die Aussprache im 1. Jhdt. ein wenig erschließen können.

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Re: Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

Beitragvon philistion » Mo 11. Jan 2010, 11:27

Aber wurde die Aussprache des Eta nicht v.a. auch durch lautmalerische Verben wie dem blöken der Schafe rekonstruiert?

Nehmen wir das altbekannte Beispiel "Ὁ δ᾿ ἠλίθιος ὥσπερ πρόβατον βῆ βῆ λέγων βαδίζει" aus einer Komödie des Kratinos:
-> Der Idiot bewegt sich wie ein Schaf und sagt dabei bäh, bäh.

Könnt Ihr euch vorstellen, dass die Schafe "Wi Wi" geblökt haben, wie man nach neugriechischer Aussprache denken müsste? (Wo bliebe dann der Unterschied zu den Pferden? :) )

Also dass Schafe leicht regional unterschiedlich blöken kann ich mir gut vorstellen, aber grundlegend wird es sich höchstwahrscheinlich immer noch um eine Form wie Määh, Bääh, o.ä. handeln..
Sonst wäre es ja auch nicht nur ein anderer "Dialekt"..
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Re: Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

Beitragvon VulpiusHerbipolensis » Mo 11. Jan 2010, 15:35

Daß Scipio mit Eta geschrieben wurde, kann also auch heißen, daß das Eta dem I sehr nahe war.

Ja, bei Plutarch, wie du selbst schriebst (seltsame Form :shock: ).
Aber wurde die Aussprache des Eta nicht v.a. auch durch lautmalerische Verben wie dem blöken der Schafe rekonstruiert?
Nehmen wir das altbekannte Beispiel "Ὁ δ᾿ ἠλίθιος ὥσπερ πρόβατον βῆ βῆ λέγων βαδίζει" aus einer Komödie des Kratinos:
-> Der Idiot bewegt sich wie ein Schaf und sagt dabei bäh, bäh.

Ja, bei Kratinos.
Da sind ja einige Jahrhunderte dazwischen!
Die modernen Griechen sind i.d.R. der Auffassung, daß die altgriechische der neugriechischen Aussprache wesentlich näher war, als wir das normalerweise glauben.

Ein Italiener in meiner Jahrgangsstufe betont auch immer wieder, dass Cicero ja eigentlich Italienisch gesprochen habe :roll: .

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Re: Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

Beitragvon RM » Mo 11. Jan 2010, 21:27

VulpiusHerbipolensis hat geschrieben:Ein Italiener in meiner Jahrgangsstufe betont auch immer wieder, dass Cicero ja eigentlich Italienisch gesprochen habe :roll: .

Er liegt damit sicher näher an der Wahrheit als jemand, der behauptet, er habe Deutsch gesprochen.
Es gibt aber schon einige italienische Dialekte, die wesentlich näher am Lateinischen liegen als das Standard-Florentinisch mit römischer Aussprache.
Aber, auch wenn Kratinos sehr alt geworden ist, war er, von Plutarch aus gesehen, sozusagen Spätmittelalter. Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob und wie sich die Tierlaute in den letzten 2500 Jahren verändert haben. Die Schafe selbst dürften sich durch zwischenzeitliche Züchtung aber einigermaßen verändert haben.

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Re: Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

Beitragvon VulpiusHerbipolensis » Mo 11. Jan 2010, 21:37

Aber, auch wenn Kratinos sehr alt geworden ist, war er, von Plutarch aus gesehen, sozusagen Spätmittelalter. Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob und wie sich die Tierlaute in den letzten 2500 Jahren verändert haben. Die Schafe selbst dürften sich durch zwischenzeitliche Züchtung aber einigermaßen verändert haben.

Ich möchte nicht behaupten, die Tierlaute hätten sich verändert, sondern nur, dass Philistions Zitat die offene Aussprache von Eta nur für Kratinos' Zeit und Dialekt belegt, die griechische Schreibung von Scipio die geschlossene nur für Plutarchs.
Es gibt aber schon einige italienische Dialekte, die wesentlich näher am Lateinischen liegen als das Standard-Florentinisch mit römischer Aussprache.

Und dennoch wird wohl keiner von ihnen auch nur annähernd so unverändert sein, dass er in dieser Detailfrage sichere Rückschlüsse aufs Lateinische erlaubt.

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Re: Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

Beitragvon Pyrrha » Mo 11. Jan 2010, 21:48

Dazu kommt, dass das Beispiel mit den Schafen zwar ein Argument für die Aussprache des Eta als E-Laut im Gegensatz zum I-Laut ist, aber nicht geeignet ist, um Rückschlüsse auf die Klangfarbe des E-Lautes zu ziehen.
Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?
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Re: Offene / geschlossene Aussprache von Vokalen

Beitragvon Domingo » Mo 18. Jan 2010, 06:00

Tiberis hat geschrieben:wie sonst wäre die häufige vertauschung des -es (als endung in der 3.dekl.) durch -is zu erklären?


Meinst Du im Akk. Pl.? Das ist doch einfach eine Alternativendung, die von den i-Stämmen kommt. Konsonantische und i-Dekl. gehen im Lateinischen ja bekanntlich durcheinander.
Ich könnte ja gegenfragen: Warum passiert das denn nur im Akk. Pl.?

Vale

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