Für Konjunktivliebhaber

Das Forum für professionelle Latinisten und Studenten der Lateinischen Philologie

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon Willimox » Di 19. Jan 2010, 20:15

Salvete!

Wenn wir diese Pilze gegessen hätten,
würden wir noch leben.

a) wie ist dieser Kondizionalsatz zu verstehen? Also Lesarten.
b) ist dieser Kondizionalsatz verträglich mit wir leben noch?
c) ist das eine Sonderform im Spielbereich Irrealis?
d) Lateinische ÜS?
Benutzeravatar
Willimox
Senator
 
Beiträge: 2725
Registriert: Sa 5. Nov 2005, 21:56
Wohnort: Miltenberg & München & Augsburg

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon Christophorus » Di 19. Jan 2010, 22:29

hm, das kann ja nur jemand sagen, der nach dem Genuss der falschen Pilze im Jenseits angekommen ist, oder?
Timeo Danaos et donuts ferentes.
Christophorus
Senator
 
Beiträge: 2818
Registriert: Sa 27. Nov 2004, 23:43

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon Laptop » Di 19. Jan 2010, 23:06

Ein Parádoxon ist es nicht. Ein Toter kann auch zu uns sprechen. Bspw. durch einen Testamentsbrief. Wer schriftlich festhält, was er künftig sagen will, der vermag selbst noch im Tode zu sprechen.

Ich würde übersetzen: SI EOS FVNGOS COMEDISSEMVS, ETIAMNVNC VIVI ESSEMVS.
SI·CICERONEM·ÆMVLARIS·VERE·NON·VIVAS (get a life!) OBITER·DICTVM·BREVITAS·DELECTAT (keep it short and simple = kiss)
Benutzeravatar
Laptop
Augustus
 
Beiträge: 5737
Registriert: Sa 12. Mai 2007, 03:38

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon Willimox » Mi 20. Jan 2010, 07:26

Hm,

zusätzliche Lesart:

(Das sind ungiftige Pilze)
Hätten wir sie gegessen, wären wir noch am Leben.
(Tod tritt nicht ein)
Benutzeravatar
Willimox
Senator
 
Beiträge: 2725
Registriert: Sa 5. Nov 2005, 21:56
Wohnort: Miltenberg & München & Augsburg

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon romane » Mi 20. Jan 2010, 15:37

si hos fungos edissemus lucem aspicere possemus
Die Freiheit ist ein seltsames Wesen - wenn man es gefangen hat, ist es verschwunden

www.mbradtke.de
Benutzeravatar
romane
Pater patriae
 
Beiträge: 11669
Registriert: Fr 31. Mai 2002, 10:33
Wohnort: Niedersachsen

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon ille ego qui » Do 21. Jan 2010, 13:43

Willimox hat geschrieben:Hm,

zusätzliche Lesart:

(Das sind ungiftige Pilze)
Hätten wir sie gegessen, wären wir noch am Leben.
(Tod tritt nicht ein)


Ich frage mich gerade, ob ich wohl massiv auf dem Schlauch stehe ...
Man kann doch im Deutschen nicht sage: "... wären wir noch am Leben", wenn der Tod nicht eingetreten ist?

Valete.
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
arma virumque cano ...
ille ego qui
Augustus
 
Beiträge: 6902
Registriert: Sa 3. Jan 2009, 23:01

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon romane » Do 21. Jan 2010, 17:33

leben und leben...

cf. Ovid:
Latona spricht:
Haustus aquae mihi nectar erit, vitamque fatebor
accepisse simul: vitam dederitis in unda.
Die Freiheit ist ein seltsames Wesen - wenn man es gefangen hat, ist es verschwunden

www.mbradtke.de
Benutzeravatar
romane
Pater patriae
 
Beiträge: 11669
Registriert: Fr 31. Mai 2002, 10:33
Wohnort: Niedersachsen

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon Willimox » Do 21. Jan 2010, 18:37

spannende, sehr spannende Frage, o ille qui,

die Standardlesart ist sicher mit deiner Option gemeint.

Anderseits gibt es sicher auch solche Konjunktivverwendungen:

Diese Pilze sollen giftig sein?
Nun, eines kann ich versichern:
Hätten wir sie gegessen, wären wir noch am Leben.


Das ist sicher kein Irrealis in Idealform.... Oder?
Zuletzt geändert von Willimox am Di 9. Feb 2010, 10:27, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Willimox
Senator
 
Beiträge: 2725
Registriert: Sa 5. Nov 2005, 21:56
Wohnort: Miltenberg & München & Augsburg

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon Christophorus » Do 21. Jan 2010, 22:47

Willimox hat geschrieben:spannende Frage, o ille qui,

die Stadardlesart ist sicher mit deiner Option gemeint.

Anderseits gibt es sicher auch solche Konjunktivverwendungen:

Diese Pilze sollen giftig sein?
Nun, eines kann ich versichern:
Hätten wir sie gegessen, wären wir noch am Leben.


Das ist sicher kein Irrealis in Idealform....


nein, vor allem weil dann meines Erachtens im Hauptsatz ein "auch" unabdingbar wäre ...
Timeo Danaos et donuts ferentes.
Christophorus
Senator
 
Beiträge: 2818
Registriert: Sa 27. Nov 2004, 23:43

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon ille ego qui » Do 21. Jan 2010, 23:27

Christophorus hat geschrieben:nein, vor allem weil dann meines Erachtens im Hauptsatz ein "auch" unabdingbar wäre ...
(oder ein "trotzdem")

Ach, jetzt verstehe ich erst, was du von uns willst Willimox ...
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
arma virumque cano ...
ille ego qui
Augustus
 
Beiträge: 6902
Registriert: Sa 3. Jan 2009, 23:01

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon ille ego qui » Do 21. Jan 2010, 23:34

mir scheint es, ganz ins unreine gesprochen, so zu sein, als färbe der irrealis des kondizionalen ns den modus des hs ein. ist eine kondizionale periode im dt. überhaupt möglich, die (echten) irrealis im nebensatz, aber indikativ im hauptsatz stehen hat?
oder suchst du, willimox, nach einer darüber hinausgehenden logischen oder philosophischen deutung?

ille
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
arma virumque cano ...
ille ego qui
Augustus
 
Beiträge: 6902
Registriert: Sa 3. Jan 2009, 23:01

Re: Für Konjunktivliebhaber

Beitragvon Willimox » Fr 22. Jan 2010, 09:07

Salvete

mir scheint es, ganz ins unreine gesprochen, so zu sein, als färbe der irrealis des kondizionalen ns den modus des hs ein. ist eine kondizionale periode im dt. überhaupt möglich, die (echten) irrealis im nebensatz, aber indikativ im hauptsatz stehen hat?
oder suchst du, willimox, nach einer darüber hinausgehenden logischen oder philosophischen deutung?

ille


Wahrscheinlich ist Sprachphilosophie das, was hier angesagt ist.

(1) Wenn-sätze rufen ein bestimmtes Weltwissen auf. In unserem Fall etwa
Es gibt giftige, todbringende Pilze.
Es gibt ungiftige Pilze.

(2) Dann: dein Hinweis auf den Irrealis im Wenn-Satz ist interessant: Ob er wohl eine Färbung des dann-Satzes vornimmt, der dann eigentlich kein echter Konjunktiv im sinne von Nichtwirklichkeit wäre.

a Wenn man giftige Pilze isst, wird man krank oder stirbt man.
b Wenn man nicht giftige Pilze isst, stirbt man nicht daran.
c Wenn man nicht giftige Pilze gegessen hat (in früheren Zeiten, und daslässt sich dann auch auf die Gegenwart transportieren), so ist man daran nicht gestorben.

d Wenn man nicht giftige Pilze essen würde, würde man nicht daran sterben.
e Hätte man nichtgiftige Pilze gegessen, so wäre man nicht daran gestorben.
Egal ob die Sprechsituation nun davon ausgeht, dass man schon als toter aus dem Jenseits spricht oder als lebender Sprachanalytiker.

(3) Mit anderen Worten: In unserem Wenn-satz ist eine absolute Lesart, die von dem Bedingungsgefüge und der Sprechsituation weitgehend abstrahiert, nicht zwingend gegeben. Und so öffnet sich ein Deutungsspielraum.

f Die fraglichen Pilze sind Heilpilze.

g Ihr genuss hätte einem Tod durch was auch immervorgebeugt oder hätte ihn verhindert.

h Die Pilze sind ganz einfach ungiftig, ihr Genuss hat keine negativen Folgen.Dass wir alle sterben müssen ist klar. Dass in unserem Wenn-Satz aber eine Pilzsache der auslöser ist wäre), das ist nicht der Fall.
Benutzeravatar
Willimox
Senator
 
Beiträge: 2725
Registriert: Sa 5. Nov 2005, 21:56
Wohnort: Miltenberg & München & Augsburg


Zurück zu Lateinische Philologie



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste