Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

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Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon agricola » Di 9. Feb 2010, 22:13

Hallo,

letztlich tauchte bei uns die Frage auf, ob das Supinum I für jedes Verb gebildet werden kann. Beim Sup II gibt es nur wenige Verben, bei denen es gebildet wird (auditu, cognitu, dictu, factu, intellectu, memoratu [Bsp. aus Rubenbauer Hofmann]).

Mein Frage lautet:
Wie weit ist die Herkunft des Supinums erforscht? Kann es sein, dass alle Supina Überbleibsel von nur wenigen bestimmten Verben waren, die man durch Substantivierung (u-Dekl.) gebildet hatte.

Die Folge wäre nämlich, dass nur die wenigsten Verben zu einem Supin gemacht werden können.

Herzliche Grüße,

agricola
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon Medicus domesticus » Di 9. Feb 2010, 22:51

Hallo agricola,
Das Supin (ob I oder II) wird ja recht selten angetroffen.
Aber trotzdem finde ich diese Seite recht informativ:
http://www.altphil.uni-freiburg.de/down ... upinum.pdf
Ganz ausführlich dazu der "Neue Menge" §§ 518-519...
Gruß, Medicus
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon agricola » Mi 10. Feb 2010, 20:48

Hallo Medicus domesticus,

vielen Dank für die Tipps, da steht es wirklich ausführlich drin. Die Frage aber ist:

Da das Supinum selten verwendet wird, ínteressiert mich immer noch, ob der Römer jedes Verb zum Sup gemacht hat / machen konnte, oder ob das nach Sprachgeschichte eher auf eine Anzahl von ca. 20 Verben begrenzt war. Oder anders gefragt:

Ist es bei ciceronischen oder caesarianischen Stilübungen erlaubt, aus jedem Verb ein Supin zu machen oder würden sich die Römer in dem Fall im Grabe rumdrehen? :chefren:

viele Grüße,
agricola
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon consus » Mi 10. Feb 2010, 21:25

agricola hat geschrieben:Ist es bei ciceronischen oder caesarianischen Stilübungen erlaubt, aus jedem Verb ein Supin zu machen...?
Si ut Medicus noster iam scripsit Menge §§518sq. inspexeris perpenderisque, in supinorum usu modum adhibendum tibi esse intelleges.
:book:
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon consus » Do 11. Feb 2010, 11:24

Addendum.
Pluribus verbis res pertracta est a Kühner-Stegmann II 1 § 128 (pp. 721-727). Quicumque Caesarem Ciceronemque scribendo imitari cogitat, supinis eum quam restrictissime oportet uti.
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon Laptop » Do 11. Feb 2010, 11:48

Wie überträgt man die Funktion des Supin. II auf Verben, die keines bilden können?

difficile dictu - schwer zu sagen
(?) difficile cogitare - schwer zu denken
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon consus » Do 11. Feb 2010, 12:32

Salve, Laptop.
Möglich ist ad + Gerundium: facile/difficile ad iudicandum, cogitandum, eloquendum u.dgl. Schöne Übersicht über Ersatzmöglichkeiten bei Menge § 519 (4). Statt Haec res difficilis est cognitu (übliches Sup. II) könnte man sagen:
Haec res difficilis est ad cognoscendum.
Difficile est hanc rem cognoscere.
Haec res difficulter cognoscitur.
Huius rei difficilis est cognitio.
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon agricola » Do 11. Feb 2010, 17:37

jaja,

natürlich weiß ich, dass das Supinum nur maßvoll benutzt werden soll. Ich habe auch die entsprechenden Kapitel von Menge durchgearbeitet. Ist das hier nicht das Expertenforum. Vermutlich habe ich meine Frage nicht klar genug ausgedrückt. :wink:

Mich hat vor allem die Herkunft des Supins interessiert. So wie die Sache aussieht, werden nur wenige Supina verwendet. Das wiederum lässt mich vermuten, dass die Bildung eines Supins aus jedem Verb nicht erlaubt ist.

Das Gerundium kann zum Beispiel i.A. aus jedem Verb gebildet werden. Das würde ich beim Supinum nicht so zulassen, aus einem gewissen Sprachgefühl heraus. Jetzt möchte ich es aber philologisch exakt wissen:

Darf ich aus jedem Verb i. A. das Sup I bilden?

Meine Vermutung ist, dass das NICHT geht, allerdings auch noch nicht erforscht worden ist. Ich glaube, es verhält sich wie mit den Nachsilben -heit und -keit im Deutschen: Man kann nicht an jedes Adjektiv eine Silbe -heit oder -keit setzen, obwohl es rein technisch möglich ist z.B. geht nicht so gut:
Hübschheit, Genialheit, Superkeit, Großheit usw...

Deswegen bitte ich noch einmal um eine differenziertere Antwort auf mein Anliegen, falls mir hier wirklich jemand helfen kann. Der Hinweis, das Sup moderat zu verwenden, ist für mich keine wirkliche Antwort. :hammer:

Valete! agricola :eek:
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon Medicus domesticus » Do 11. Feb 2010, 21:04

Hallo agricola,
Das Supinum I als alter Richtungsakkusativ könnte man prinzipiell aus vielen Verben bilden, das Supinum II ist da ja noch deutlicher beschränkt. (siehe Menge)
Ich bin kein Philologe, sondern Arzt, aber ich denke das Problem ist die Seltenheit des Supinum I und dass es nur nach Verben der Bewegung (des Schickens, Gehens usw.) zur Bezeichnung des Zwecks steht.
Im Menge sind ja einige Beispiele angegeben, aber für die Erforschung des Supinum I hat man in der klassischen Literatur wenig Beispiele:
Zitat Menge aus § 518 hat geschrieben:Der Gebrauch des Supinum I ist bei Cicero und Caesar auf einige wenige Beispiele beschränkt.....


Aber die Philologen hier im Forum können dir sicher noch weiterhelfen.

Gruß, Medicus
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon consus » Fr 12. Feb 2010, 01:39

...Darf ich aus jedem Verb i. A. das Sup. I bilden?...

Nihil nisi haec:
Infinitivus futuri passivi ex supino I constat et ex infinitivo praesentis passivi verbi eundi: laudatum iri, monitum iri, lectum iri, factum iri, auditum iri. Qua ex re nonne apparet tot esse supina I quot infinitivos futuri passivi?
Quod vero ad ceterum supini I usum attinet, constat coniunctum esse cum verbis, quibus motus significatur; nihil enim est aliud nisi accusativus directionis cuiusdam substantivi verbalis: pabulatum mittere, piscatum abire, cubitum ire... Haec hactenus. Nunc eo cubitum. :lol:
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon Laptop » Fr 12. Feb 2010, 03:49

@consus Das ist eine schönes Register an alternativen Ausdruckweisen, in der Tat. Im Vergleich dazu fällt die Kürze des Supinum II auf, die es so praktisch macht.
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon agricola » So 14. Feb 2010, 14:17

Okay, mit der Aussage von Consensus konnte ich jetzt doch etwas mehr anfangen. Merci,

agricola
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon mercatoris » Mo 15. Feb 2010, 19:04

Salvete!

Die Verbalform Supinum I bildet jedes Verb, das die sog. 3. Stammform auf -tum (-sum/-xum) aufweist.
Ob das Supin I z.B. als Zweckangabe in Stilklausuren verwendet werden kann, muss natürlich im Einzelfall betrachtet werden. Im allgemeinen ist der Sprachgebrauch Ciceros, wie von den Vorschreibern schon geschildert, so, dass alternativen Konstruktionen (nd-Formen, ut-Sätze etc.) der Vorzug gegeben wird, was aber nicht automatisch bedeutet, dass in solchen Fällen die Verwendung eines Supin I, sofern vorhanden, falsch wäre.
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Re: Supinum I: konstruiert oder Überbleibsel

Beitragvon Domingo » Mi 17. Feb 2010, 03:07

agricola hat geschrieben:Mein Frage lautet:
Wie weit ist die Herkunft des Supinums erforscht? Kann es sein, dass alle Supina Überbleibsel von nur wenigen bestimmten Verben waren, die man durch Substantivierung (u-Dekl.) gebildet hatte.


Das kann wohl nicht sein. Das Supinum ist nichts anderes als eine Kasusform des Verbalsubstantivs auf -tu-, namentlich dessen Akk. sing. oder Dat. sing. Das -tum-Supinum erweist sich dadurch als Verbform, dass es ein Akkusativobjekt regieren kann, wodurch es in die Gruppe der Infinitive gehört ( = Verbalsubstantive mit Verbalrektion).

Warum nun gerade diese beiden Kasusformen so benutzt werden, wie sie benutzt werden, und bei welchen einzelnen Verben das Supinum II vorkommt, ist eine Frage des Sprachgebrauchs. Im Altindischen entspricht zB der Akk. des Verbalsubstantivs auf -tu, also -tum dem Infinitiv in den westlichen Sprachen, während die Instrumentalform -tvâ (mit Verbalrektion) sehr häufig benutzt wird, um eine dem Hauptverb unmittelbar vorangehende Handlung auszudrücken - wo man im Lat. ein Part. benutzt: milites hortatus abiit, hostibus debellatis domum rediit usw. usf.

Domingo
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