innerliche Abhängigkeit bei Phaedrus

[ille ego qui]

Salvete!
Ich hadere mal wieder mit Pronomina und innerer Abhängigkeit.
Zuerst dürft ihr über Folgendes Gedicht des Phaedrus (Appendix Perottina, 17) freuen :

XVII. [Aesopus et domina]
Quam noceat saepe uerum dicere

Aesopus turpi cum seruiret feminae,
quae se expingendo totum tricaret diem,
uestem uniones aurum argentum sumeret,
nec inueniret digito qui se tangeret,
"Licetne paucis?" inquit. "Dicas." "Censeo,
quiduis efficies, cultum se deposueris."
"Adeone per me uideor tibi meliuscula?"
"Immo, ni dederis, sponda cessabit tua."
"At non cessabunt latera" respondit "tua";
et obiurgari iussit ferulis garrulum.
Post paulo armillam tollit fur argenteam.
Eam non apparere ut dictum est mulieri,
omnes furore plena uocat, et uerbera
proponit grauia, uerum si non dixerint.
"Aliis minare; me" inquit "non falles, era;
flagris sum caesus , uerum quia dixi modo."

Ratlos macht mich V. 4: "nec inueniret digito qui se tangeret". Wenn die klassische Regel auch hier bei Phaedrus gilt (indirekte reflexivität in innerlich abhängigen nebensätzen), müsste der (explikativ-"konsekutive"?) Relativsatz innerlich abhängig sein. falls dem so ist, worin könnte diese innerliche abhängigeit inhaltlich bestehen? oder müssen wir konstatieren: phaedrus schreibt hier "wider die 'regel'"?

valete.

[Zythophilus]

SALVE
Ich würde das als finalen Relativsatz auffassen, und in Analogie zu einem finalen ut-Satz passt das se schon. Von selber hätte ich aber eher auch eum geschrieben.
VALE

[ille ego qui]

irgendwie so wird es wohl sein, stimmt. danke, zythophile. irgendwelche einwände?
valete

[consus]

Eine andere Überlegung: Ist es nicht ein indirekter Fragesatz? Bei solchen Sätzen ist substantivisches qui nicht ungewöhnlich.

[ille ego qui]

... oder schlichtweg oblique rede: "sie fand keinen, der sie - wie sie selbst klagte - "auch nur mit dem finger anfassen wollte ... schluchz ..."

ich neige momentan dem zythophileischen finalsatz zu ...

[consus]

Obliquer Konjunktiv leuchtet ein; se wäre hier dann auch in einem Relativsatz mit konsekutivem Nebensinn möglich: ... fand keinen von der Art, dass .... Die Finalität plausibel zu erklären, dürfte m. E. kaum möglich sein. Vgl. Menge2000 § 455 (2), S. 628.

[ille ego qui]

"(quaesivit et) invenit, qui" ... "jemanden, der sie zumindest mit dem finger berühren SOLLTE"?
... wenn man das gelten lassen sollte, wären die grenzen zur "oratio obliqua" von oben fließend, scheint mir.

valete.

p.s.: zur indirekten frage, Conse: unter welchen bedingungen genau ist "qui" statt "quis" möglich?

[consus]

Servus, Ille.
Zu subst. qui vgl. Georges s.v. qui, Sp. 2151f., Sinn: was für einer...? Auf diese Weise von quis zu unterscheiden.

[Zythophilus]

SALVETE
Die Finalität lässt sich schon begründen. Konsekutiven Sinn hätte der Satz, wenn der Gesuchte sie von sich aus berühren wollte, hier scheint es so zu sein, dass sie das bezwecken will. Wenn man möchte, kann man es auch als begehrenden Relativsatz sehen, doch Begehrsätze werden zumeist ohnedies als Untergruppe der Finalsätze gesehen.
VALETE

[consus]

Eine beruhigende Fn. aus KSt II, S. 295: ... in der Tat kann die Auffassung des mehrdeutigen qui c. coni. nicht selten Zweifeln unterliegen.