Dignitas

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Dignitas

Beitragvon Brakbekl » Mo 2. Aug 2010, 09:12

Hallo,

ich leite Dignitas momentan parallel zu Benignitas (Wohlgeborenheit) von gottgeboren ab. Gibt es dazu Einwände? Habe gerade den Walde nicht zur Hand. Aber wie genau?

Dii gnatus*?
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Re: Dignitas

Beitragvon romane » Mo 2. Aug 2010, 09:13

dignus - würdig
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Re: Dignitas

Beitragvon Brakbekl » Mo 2. Aug 2010, 09:34

Hallo, Romane

daß das so übersetzt wird, ist mir schon deutlich. Aber ich mache mir gerade Gedanken darüber, was das eigentlich ist - Würdigkeit - und frage derhalben nach einer Etymologie von dignus.
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Re: Dignitas

Beitragvon Zythophilus » Mo 2. Aug 2010, 09:50

dignus gehört zu decet und decus.
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Re: Dignitas

Beitragvon Sokrates Palaios » Mo 2. Aug 2010, 10:01

Leitet sich dann auch decet und decus von dico ab?
Im Georges lese ich nämlich:
[2158] dignus, a, um, Adi. m. Compar. u. Superl. (für *dic-nus zu dico)
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Re: Dignitas

Beitragvon Zythophilus » Mo 2. Aug 2010, 10:05

SALVE
Das ist dann offensichtlich eine andere Etymologie. Ich weiß nicht, was der aktuelle Stand der Wissenschaft ist. decet klingt für mich plausibler, aber das muss nicht den Ausschlag geben.
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Re: Dignitas

Beitragvon consus » Mo 2. Aug 2010, 10:17

Meines Wissens werden beide Herleitungen genannt: N. L.
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Re: Dignitas

Beitragvon Brakbekl » Mo 2. Aug 2010, 12:09

Ich find meine Etymologie schöner.

kann jemand nicht mal die Ableitungen ausführlich auflisten, besonders die Lautveränderungen, dam mit die Etymologie nicht beim bloßen Abschreiben und Behaupten per Autoritästbeweis bleibt, sondern zu etwas Nachvollziehbarem wird.

Danke
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Re: Dignitas

Beitragvon consus » Mo 2. Aug 2010, 12:53

Man hüte sich vor Etymogeleien, vor Volksetymologien! Ausgewiesenen Forscherautoritäten kann man zunächst getrost Glauben schenken. Klar ist für Max Niedermann (Hist. Lautl. d. Lat., Heidelberg 1953, S. 61 und S. 143) die Herleitung dignus aus *degnos, *decnos (zur selben Wurzel wie decet 'es ziemt sich'; c > g ... , -gn- > g vor n nasaliert zu sprechen trotz der Schreibweise gn. Iam satis...
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Re: Dignitas

Beitragvon Laptop » Mo 2. Aug 2010, 14:42

Satisne? Das mag ja für ihn klar sein, wissenschaftlich ist es erst wenn eine Begründung gegeben ist, die auch nachvollziehbar ist. Bei etymologischen Angaben fehlt eine solche allzu oft, und selbst Autoritäten widersprechen sich, so daß man am besten nicht voreilig Glauben schenkt, nur weil eine Autorität etwas behauptet. Ein weiteres Problem ist, wie ich schonmal schrieb, daß wirklich gesicherte Etymologien mit ungesicherten Vermutungen undistinguiert vermischt sind, so daß dann auch der Weizen von der Spreu nicht ohne weiteres erkennbar ist.
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Re: Dignitas

Beitragvon Brakbekl » Mo 2. Aug 2010, 15:48

Und was vor allem bislang nicht untersucht ist, ist die sog. "Volksetymologie". Dabei ist die Annäherung zweier Worte und deren schließliches Verschmelzen tagtägliche Realität. Der gesamte Witz, und den hat es immer gegeben, basiert nur auf dem Anklang, selbst der gebildete Witz recurriert nirgends auf eine Wurzel. Eventuell ist aber auch die Wortwurzel selber nur philologische Fiktion. Schließlich hat sie noch niemand gesehen. Was ist denn ein Wort anderes als ein Klang. Schon die Buchstabenfolge ist eigentlich Fiction. Wo sollte sich eine "Wortwurzel" denn aufhalten? Das Ganze beginnt schon in den Wörterbüchern, die bei Weg und weggehen, weil Vokal lang und Vokal kurz gleich zwei Stämme bzw. Lemmata creieren.

Richtig Laptop. Wenn eine Version abgeleht wird, muß auch geschrieben werden, warum sie abgelehnt wird. Einfach mit "nicht belegt" zu antworten, ist zwar ein Argument, aber kein starkes. Und dann gibt es da auch noch den Zweifel, ob Wortgeschichte wirklich einlinig ist. Ob es da wirklich immer nur eine Entwicklung gegeben hat? Oder ob zwei und mehrere Prozesse nebeneinander laufen.

Gibt es eigentlich ein nach Wurzeln geordnetes WB für Latein?
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Re: Dignitas

Beitragvon Platon » Di 3. Aug 2010, 11:07

kann jemand nicht mal die Ableitungen ausführlich auflisten, besonders die Lautveränderungen, dam mit die Etymologie nicht beim bloßen Abschreiben und Behaupten per Autoritästbeweis bleibt, sondern zu etwas Nachvollziehbarem wird.


Solche Entsprechungsreihen gibt es durchaus, der Fokus des Indogermanisten ist naturgemäß etwas breiter und es ist damit auch nicht getan, da auch so Dinge wie Silbenstruktur oder Aufeinandertreffen von Lauten eine Rolle spielen. Für das Lateinische ist hier Meisers Historische Laut- und Formenlehre der lateinischen Sprache als Einführung maßgeblich. Der Weg zum Nachvollziehen der indogermanischen Sprachwissenschaft ist aber weiterhin ein sehr dorniger und es ist oft nicht mit wenigen Worten getan.

Bild
(aus Martin Kümmels sehr lesenswerter Einführung in die Lateinische Sprachwissenschaft, abrufbar unter http://www.indogermanistik.uni-freiburg.de/seminar/pers/kuemmel/umat/latsprawi-m.fragen.pdf)

Für die m.E. nach richtige Zusammenstellung von dignus und decet / decus sind v.a. folgende Fragen von Bedeutung:

1. Warum g statt c?

Urindogermanischer Velar wird vor Nasal zu g, vor n als ng (d.h. velares n) realisiert.
Beispiel: segmentum zur Wurzel *sek ("schneiden", vgl. secare)

2. Warum i statt e?

Vor Nasal wird e häufig zu i, durchgängig vor ng.
Beispiel: signum zur gleichen Wurzel wie segmentum, auch lat. tingo für gr. τέγγω

D.h. dignus ist entstanden aus idg. *dek-no-s

Gibt es eigentlich ein nach Wurzeln geordnetes WB für Latein?


Da die heute übliche wissenschaftlich orientierte Etymologie auf Sprachvergleich und der Rekonstruktion einer gemeinsamen indogermanischen Ursprache beruht, macht ein rein lateinisches Wurzelwörterbuch keinen Sinn.
Nach der Ermittlung einer Wurzel kann man in den gängigen indogermanischen Wörterbüchern z.B. von Pokorny nachschlagen, mir persönlich gefällt auch das von Koebler (http://www.koeblergerhard.de/idgwbhin.html). Dann kann das Interpretieren und Finden einer "Ursprungsbedeutung" erst wirklich losgehen.
Platon
 

Re: Dignitas

Beitragvon Brakbekl » Di 3. Aug 2010, 11:48

Danke an Platon. Das ist nachzuvollziehen, obwohl nicht alle Fragen ausgeräumt sind, was auch nicht zu erwarten wäre.

Wie ich ersehe, kommt dann wohl der Buchstabe Sigma auch von der Wurzel sek* + Nomenanzeiger ma. Graphein & glyptein heißt ja auch schneiden.

1. Zurück zu dignus. Dann wäre nur noch zu klären wie die Würde (dignitas) und der Schmuck (decus) zusammengehören. Hier wird wohl auf den Lorbeer (Sieger) kranz und die Krone zu verweisen sein. Jetzt ist die Frage: Haben wir mit der Herauslösung und Abtrennung der Worte Dignitas und Decus aus der Wurzel dec* den Zeitpunkt, zu dem der Mensch (Wahrscheinlich nicht), oder der Römer (wahrscheinlich) das erste mal der Begriff der Würde erfasste? Der Schmuckbegriff ist mit Sicherheit älter.

2. Läßt sich denn mit der obigen nachvollziehbaren Ableitung ausschließen, daß die von mir gefundene Gleichung (gottgeboren) Dii-gnus gleich dem bekannten (benignus) keine Rolle bei der Wortbildung bzw. Begriffsbildung gespielt hat. Vielleicht ist benignus viel viel jünger, dann kann es als Vorbild keine Rolle gespielt haben. Vielleicht gibt es einen anderen Grund, warum kein Lateiner Gottgeboren unter dem Wort verstanden hat.

3.
Da die heute übliche wissenschaftlich orientierte Etymologie auf Sprachvergleich und der Rekonstruktion einer gemeinsamen indogermanischen Ursprache beruht, macht ein rein lateinisches Wurzelwörterbuch keinen Sinn.


Oh doch, als Lernhilfe, für das Netz im Kopf.


4.
mir persönlich gefällt auch das von Koebler (http://www.koeblergerhard.de/idgwbhin.html).

Vielen Dank dafür. Ich kannte es noch nicht. Allgemein an etymologischen Wörterbüchern ist zu kritisieren, die sicherlich auf verlegerische Initiative hin platzsparende Anordnung des Wissens in Fließtext. Die derartige Aufbereitung des Wissens erfordert höchste Konzentration und ist Lustkiller hoch 3. Man müßte mal ein elektronisches Etymologeion in Angriff nehmen, denn immerhin verbirgt sich ja hinter jeder Verbindung zweier Worte ein ganze Geschichte bzw. ein Aufsatz, der im WB nie mitgeliefert wird und für den Hobby-Interessenten in der Regel unerreichbar bleibt. Gerade die Verbindungen aber der Worte untereinander und der Bedeutungswandel erfordert eine graphisch andere Darstellungsweise. Die Philologen vergessen oft, daß die einzige Disziplin ist, die von tieferem Interesse für das Volk ist, als alle Grammatik. Schon diese Sachlage erfordert es endlich, den Schritt von der unleserlichen Formensammlung zum breit dargelegten Lexikon der Wortgeschichte(n) zu tun. Und nebenbei, bei der Etymologie ist nicht nur die richtige Lösung interessant, die vielen falschen oder zu kurzen sind es ebenso.

Danke für die bisherige Mitarbeit und die Hinweise.
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Re: Dignitas

Beitragvon Laptop » Di 3. Aug 2010, 15:36

Gibt es eigentlich ein nach Wurzeln geordnetes WB für Latein?
Platon hat geschrieben:Da die heute übliche wissenschaftlich orientierte Etymologie auf Sprachvergleich und der Rekonstruktion einer gemeinsamen indogermanischen Ursprache beruht, macht ein rein lateinisches Wurzelwörterbuch keinen Sinn. Nach der Ermittlung einer Wurzel kann man in den gängigen indogermanischen Wörterbüchern z.B. von Pokorny nachschlagen, mir persönlich gefällt auch das von Koebler (http://www.koeblergerhard.de/idgwbhin.html). Dann kann das Interpretieren und Finden einer "Ursprungsbedeutung" erst wirklich losgehen.
Ganz im Gegenteil, denke ich so ein WB ergibt sogar viel Sinn. Für manche Zwecke, wie der Erkenntnis von etym. Zusammenhängen innerhalb der Lat. Sprache, sind indogermanische Wurzeln zu weit gefaßt und zu vage. Ich kann bspw. “emsig” erst einmal mit “Ameise” in Verbindung bringen (Erkenntnisgewinn: fleißig wie eine Ameise!), ohne gleich auf Indogermanische zurückgreifen zu müssen, die so allgemein gefaßt sind, daß man nur Begriffsnebel vor dem geist. Auge hat. Es gibt auch so ein WB, ich muß es nur in meinen Ordnern suchen, vielleicht liefere ich es hier nach!

post scriptum, hier haben wir doch schon etwas:
http://books.google.com/books?id=6F9DAAAAYAAJ
Es ist zwar nicht das, was ich eigentlich gesucht habe, schaut aber auch ganz brauchbar aus. Nur Lesen wie einen Roman kann ich sowas nicht, dafür ist es mir von Wurzel zu Wurzel zu zusammenhanglos. Der Geist verlangt nach Zusammenhang!
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