Overresearched

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Beitragvon Latein-Fan » Mi 1. Sep 2010, 00:24

Salvete omnes!

Ich wage einmal eine mutige Frage in den Raum zu werfen und hoffe auf eine rege Diskussion!

Mir stellt sich in letzter Zeit immer öfter die Frage, ob die klassische Philologie, insbesondere aber die altgriechische Philologie an "Überforschung" leidet, sodass es bald nichts mehr gibt, das noch nicht untersucht worden wäre. Soweit mein Eindruck manchmal, etwa bei Homer oder Platon.
Was passiert generell mit einer Wissenschaft, die sich sozusagen "von selbst" aufgearbeitet hat?

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Re: Overresearched

Beitragvon Laptop » Mi 1. Sep 2010, 11:48

Daß Forschungsthemen fehlen, liegt m.E. nur begründet im engen Focus auf ausgetretene Pfade. Wer den Blick weitwinkliger schwenkt, dem öffnen sich neue Horizonte, bspw. im Bereich der archäologisch erschlossenen Quellen, Epigraphik, Spätlatein, Semantik, Lexikographie, Komparation, Vulgärlatein, Dialekte, Aussprache, usw. Wer “engstirnig” ist blendet möglichst viel aus. Er schmäht außerordentliche Themen als “Hilfwissenschaft” und meint dafür wären andere (Linguisten) zuständig.
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Re: Overresearched

Beitragvon Brakbekl » Mi 1. Sep 2010, 20:39

Lies mal nur einen einzigen Artikel im Neuen Pauly richtig, dann wirst Du merken, was man weiß, was man ahnt, und was man alles nicht weiß. Wenn man nur an einer einzigen Sache forscht, reicht dies, um zu merken, welche Fragen alle beantwortet sind, und vor allem wie, ob erschöpfend oder oberflächlich oder gar nicht und vor allem: Welche Fragen bisher noch gar nicht aufgetaucht sind. Überforscht ist nichts, nur gibt es heute nicht die Kapazitäten, die dies merken. Kindern kann man erzählen, daß alles schon gekannt ist, um sie vom Studium der Klassik abzubringen.
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Re: Overresearched

Beitragvon agricola » Mi 1. Sep 2010, 20:43

Salvete collegae,

nach einem halben Jahr e-Latein- und leider auch Latein-Entzug melde ich mich nach einem Umzug und 4 Monaten Renovation und Umbauen zurück :klatsch: .

Eine mutige Frage, wie Du selbst schreibst, und ich finde, sie enthält eine nicht zu gering schätzende Diffikultät. Zunächst behaupte ich mathematisch:

Entweder ja: Es sind so langsam alle vordergründig wesentlichen Zusammenhänge erforscht.

... oder nein: Es ist noch lange nicht alles erforscht, es gibt noch genug Aspekte, die nicht beachtet sind.

Ich kann Dir keine Antwort geben, aber schon jetzt voraussagen: Der User mit der größten sophistischen Begabung wird uns die sinnvollste Antwort vermitteln.

Vale
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P.S.: Sind unsere Städte überentwickelt? Die Antwort auf diese Frage kann ebenso einen Hinweis zur Lösung für das oben gestellte Problem liefern.
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Re: Overresearched

Beitragvon Brakbekl » Mi 1. Sep 2010, 20:54

Außerdem: Wichtig ist nicht, was alle, was man, oder was jemand weiß. Wichtig ist, was ich weiß! Und das ist nicht viel. Also ich fühle mich nicht allwissend.
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Re: Overresearched

Beitragvon Latein-Fan » Mi 1. Sep 2010, 22:42

@ Brakbekl

Natürlich bedeutet eine Vermutung ebenso, dass ein bestimmtes Thema schon "an"geforscht wurde. Natürlich beruht Vieles nur auf Vermutung. Natürlich "weiß" man Vieles nicht - aber bereits die Vermutung ist ja Forschung per se, soferne diese durch eine vernünftige und plausible Argumentation gestützt; und wenn viele Vermutungen nicht mehr - mangels Quellen oder Beweisen - zu Gegebenheiten werden können, ist der Bereich zwar nicht als abgeschlossen, aber doch als bearbeitet und ausgetreten anzusehen. Interessant auch die Diskussion über die Überforschung des Nibelungenliedes. Mehr dazu:

http://www.literaturkritik.de/public/re ... ez_id=9593

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Re: Overresearched

Beitragvon Medicus domesticus » Di 7. Sep 2010, 16:41

Salve,
Überforscht, das ist eine gute Frage. Aber: ob an etwas schon geforscht wurde, sagt über die Qualität und Gründlichkeit der Forschung nichts aus. Ich bin immer wieder erstaunt, wieviele Themen in der klassischen Philologie noch nicht angegangen wurden. Man sucht einen aktuellen Kommentar und findet....keinen! Oder: es werden Aussagen als feststehend weitergegeben: Ich las vor kurzem die Biographie von Caligula von Prof. Winterling ....und plötzlich völlig neue Aspekte über die Überlieferung und Quellenlage.
Die klassischen Quellen sind ja noch relativ überschaubar, da sie nur einen geringen Teil der lateinischen Texte - auch wegen der vielen Verluste - ausmachen. Noch viel gravierender ist, dass die Quellen des Mittel-und Neulateins, die viel zahlreicher sind, z.T. noch nicht einmal übersetzt, geschweige denn kommentiert sind.
Also:
es gibt noch viel zu tun in der philologischen Forschung! Und freuen wir uns auf die Ergebnisse.
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Vale.
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