Konzessive Strukturen

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Konzessive Strukturen

Beitragvon Willimox » Fr 21. Okt 2011, 19:05

Hm, Sodales,
anregend das statement von Prudentius.

Bild

Prudentius hat geschrieben:Liebe Teilnehmer, :prof2: ,

es gibt eigentlich auch keinen Konzessivsatz, es gibt aber eine konzessive Verbindung von zwei Sätzen. Die konzessive Satzverbindung bezeichnet eine "Ausnahme von einer Regel"; die Regel heißt in unserem Beispiel:

"Wenn jemand alles beherrscht, dann beherrscht er auch die Lüfte",

Die Ausnahme, konzessiv:

"Wenn Minos auch (sonst) alles beherrscht, die Lüfte beherrscht er nicht".

Die Regel ("Wenn A, dann B") bedeutet, dass nicht A wahr und B zugleich falsch sein kann; eben das vesteht man unter "Ausnahme": "Obwohl A, dennoch nicht B"; man kann auch dafür sagen: Zwar A, aber nicht B".

Die Grammatiken erklären die Bedeutung dieser Satzverknüpfung nicht richtig, sie beschränken sich oft darauf, den antiken Terminus "konzessiv" zu übersetzen.

Noch eine allgemeinere Bemerkung; Ihr betrachtet den Satz zu punktuell, ihr fragt nur, was der Konjunktiv hier gerade bedeuten soll, ihr fasst zu wenig das Verhältnis der beiden Teilsätze als solches ins Auge,

Salvete amici :)
P.
http://www.latein.at/phpBB/posting.php?mode=quote&f=25&p=256723


1. Implizite Konzessivität

Hier z.B. findet sich so etwas wie eine konzessive Struktur ohne explizite Konzessiv-Signale:

Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad.
Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
Friedsel'ge Wolken schwimmen durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht.
Die dunkeln Schollen atmen kräft'gen Erdgeruch.
Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: "Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und wisst, dass ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!" Der andre spricht:
"Du sagst's! Dem größten König eigen! Heute ward
Sein Dienst mir schwer ... Gemordet hast du teuflisch mir
Mein Weib! Und lebst! ...
Mein ist die Rache, redet Gott."

Conrad Ferdinand Meyer: Die Füße im Feuer
(Erstdruck 1864)

Unser kulturelles Wissen signalisiert uns eine Norm, eine wahrscheinliche Norm:

Wer die Ehefrau ermordet, kommt normalerweise nicht ungestraft davon.
Diese Regel wird hier ausgesetzt. Entsprechende Signale für das "Aussetzen" fehlen.
Wenn man so will, ein Beispiel für asyndetische Reihung. Und ein Beispiel
für die leicht verrätselte und daher aktivierende Struktur solcher
impliziten logischen Verhältnisse.

Bestätigt durch eine mehr oder weniger explizite Norm theologischer Prägung,
welche hier die vorige Norm dominiert und in ihrer Geltung einschränkt:
"Mein ist die Rache", spricht Gott. Dieser Satz hat die Rachehandlung
des Ehemannes blockiert.

Man vergleiche kontrastierend die Wirkung von "Obwohl du mein Weib ermordet hast,
lebst Du nach dieser Nacht noch." Die Aktivierung des Lesers ist wohl
geringer, gewiss geringer. Und daher denn auch ist die Passage für einige
nicht sehr aufmerksame Leser kaum in ihrer Tragweite verständlich.

2. Stimulans und Explizitätsgrad

Sicherlich könnte auch ein Cicero in einer bewegenden Rede kontrastive
Sätze präsentieren, im Indikativ asyndetisch reihende Widerspruchsstrukturen
präsentieren. Das ändert aber wohl nicht viel an folgendem
vorläufigen Fazit:

Ein lateinisches Konjunktivsignal im Verb ohne weitere Partikelsignale ist gewiss mehrdeutig,
es kann voluntative oder konzessive oder .... Verhältnisse
signalisieren. Der jeweilige Kontext macht dann
die gewisse Polysemie eindeutiger. Meist.

Entsprechend gibt es stärkere Signale:

Sane dicat ... quamquam impiger est --- tamen non vituperatur

In all diesen Sachverhalten und Sachverhaltskombinationen geht
es um einen mehr oder weniger überraschend unwirksamen
Gegengrund probalistischer Natur. Wir verfügen entsprechend
über eine Skala sprachlicher Mittel, dieses logische Verhältnis
mehr oder weniger explizit zu formulieren.

Was des Prudentius´ Konditionale anbelangt:

Die Syllogismusstruktur tritt außerhalb der logischen Sprache
kaum mit absolutem Anspruch auf. Sie hat wohl immer
eine Restklausel, dass gewisse Zusatzannahmen mit dem Standard
verträglich sind:

Wenn es regnet, wird die Straße nass

setzt etwa als Randbedingung nicht aus, sonder nur außer
Betracht, dass die Straße auch
durch Wasserrohrbruch oder Urininieren oder getauten
Schnee oder was auch immer nass geworden sein könnte.

3. Didaktische Überlegungen

Und in eben diesem Bereich operiert dann meist das
"konzessive Verhältnis". Ob es nun didaktisch
wichtig ist, das nichtmarkierte konzessive
Verhältnis ins Spiel zu bringen?

Wahrscheinlich doch eher als Randphänomen: Didaktisch einleuchtender
ist es, dieses logische Verhältnis an Konzessiv-Signalen
festzumachen.

Interessant und Additum: Die Wirkung
von nichtmarkierten Widersprüchen als Stimulans
für den Rezipienten, das - ich sags jetzt mal sehr
technizistisch - das ausgesparte Konzessivsignal
zu interpolieren.

In Shakespeares Antoniusrede auf den toten Caesar
läuft so etwas ab, eine Mischung von immer sichtbarer werdender
Ironie (?), Sarkasmus und entsprechenden konzessiven Strukturen:

Ambition should be made of sterner stuff:
Yet Brutus says he was ambitious;
And Brutus is an honourable man.
You all did see that on the Lupercal
I thrice presented him a kingly crown,
Which he did thrice refuse: was this ambition?
Yet Brutus says he was ambitious;
And, sure, he is an honourable man.

Wer als Ehrenmann agiert, dem kann man glauben, was er sagt.
Der Ehrenmann Brutus sagt, Caesar war ehrgeizig und republikfeindlich.
Aber es gibt Belege dafür, dass er nicht republikfeindlich war: Die Abweisung
der Königskrone.

So ist denn - gewiss - Brutus (kein) ehrenwerter Mann.
Und: Obwohl Brutus als ehrenwerter Mann gilt und sich so geriert:
Er ist es nicht.

Hier Marlon Brando als Brutus, marvelous:

lend me your ears

Bild

Kennt jemand rhetorische Passagen in klassischem Latein,
ohne explizite Konzessivsignale, also ohne Modus oder Partikel oder
die Kombination von Modus und Partikel? Aber eben mit konzessivem
Subtext?

valete
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Re: Implizite logische Verhältnisse

Beitragvon Prudentius » Do 27. Okt 2011, 10:08

Lieber Willimox,

ich finde es gut und nützlich, dass du uns vor Augen führst, wie weit dieser Begriff des Konzessiven hinausreicht über das, was wir direkt an den sprachlichen Signalen ablesen können; das Konzessive macht sich sozusagen selbständig und lässt seinen Ursprung aus der Konditionalgrammatik vergessen; wir werden angeregt, die konzessiven Strukturen auch da wahrzunehmen, wo sie gar nicht direkt vor Augen stehen. Ich möchte aber auch betonen, dass man erst einmal den Standardfall kennen muss, eine klare Vorstellung vom Konzessiven haben muss, ehe man implizite konzessive Verhältnisse wahrnehmen und aufspüren kann.

Ich glaube auch, dass das Konzessive nicht der einzige Bereich aus der Wunderwelt des Konditionalen ist, der sich selbständig gemacht hat: ich denke dabei an das Irreale, auch dieses eigentlich nur eine der Spielarten des Konditionalsatzes, und doch was für eine anregende Vorstellung ist das Irreale, sein Schweben zwischen Sein und Nichtsein, ein weites Feld für Phantasie und Gefühl tut sich auf!

Als drittes nenne ich die Kausalität: "Weil es regnet, wird die Straße nass" ( du hast ja das Beispiel vorgegeben), darunter verstehen wir eine Verknüpfung von zwei Teilsätzen, eingeleitet durch quod, quia, cum, aber bei der Kausalität denkt wohl niemand mehr an die Grammatik, aus der ja diese Vorstellung hervorgegangen ist; jeder sagt doch: Kausalität gibt es in der Natur! Aber die Frage ist: Monokausalität oder Poly-Kausalität? Welcher der vielen gegensätzlichen Kausalbegriffe ist in der Natur? Fragen über Fragen.

Dann ist es wieder seltsam, dass der Begriff Konditionalität keinen solchen allgemeinen Bekanntheitsgrad erreicht hat wie die vorher genannten.

"Wunderwelt des Konditionalen", was soll damit gemeint sein? Ich denke z.B an den Irrealis: Da werden zwei falsche Sätze gekoppelt und ergeben ein wahres Satzganzes; könnt ihr das nachvollziehen?

Valete sodales!
Prudentius
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Re: Auf den Spuren der konzessive Strukturen

Beitragvon Prudentius » Mo 31. Okt 2011, 10:48

- Horaz, vielzitiert: "Graecia capta ferum victorem cepit et artes / agresti Latio intulit", das eroberte Griechenland eroberte den wilden Sieger und brachte dem rohen Latium Kultur bei; normalerweise ist das eroberte Land nicht der Kulturbringer für den Eroberer, hier aber liegt die Ausnahme vor; mit den konzessiven Signalen: obwohl Gr. von den R. erobert worden war, hat es dennoch...

- "in luctu deridentes" (kam neulich im Forum vor), in Trauer zum Spott aufgelegt, obwohl sie trauerten, spotteten sie...

- Hölderlin, Epigramm "Sophokles": "Viele versuchten umsonst, das Freudigste freudig zu sagen; hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus"; normalerweise wird Freudiges in freudigen Worten wiedergegeben; aber hier ist es umgekehrt: Obwohl Freudiges freudig verkündet wird, äußert sich das Freudigste in der Tragödie; das unterdrückte Konzessivsignal wirkt als Stimulus.
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