Reflexivpronomen

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Re: Reflexivum für Elftklässler

Beitragvon Prudentius » Mi 7. Mär 2012, 11:28

Vielleicht kann man, ohne logischen Aufwand, die Sache auch so hinüberbringen:

"Cicero se defendit" = "Cicero Ciceronem defendit",

das Reflexivum dient also dazu, eine lästige Namensverdopplung zu vermeiden, Cicero Ciceronem, und wenn man schon eine Namensnennung streicht, dann doch das Objekt, denn das Subjekt ist ja das wichtigere der beiden, das lässt man stehen. Da leuchtet es doch ein, dass das Lateinische gar kein Nominativ-Reflexivum entwickelt hat; das Reflexivum ist überhaupt keine eigene Wortart, sondern nur eine Ersatzform für einen Namen ("Pronomen") se mit Anhang, es hat ja auch keinen Numerus.

Mir schwebt eigentlich vor, den Standard-Fall mit dem simplen Beispiel zu erklären, während ihr zeigen wollt, wie sich die Begriffe an den Rändern verfransen; es ist trotzdem nützlich, zuerst von den klaren Trennlinien auszugehen.

- Die Schülerfrage nach der "Lücke" im Paradigma: interessante Frage, man kann sich klarmachen, dass das Paradigma eine ganz künstliche Zusammenstellung von unterschiedlichen Bindungsmerkmalen der Satzglieder darstellt. Kein Wunder also, dass es n icht immer alles gibt.

Caesar gaudebat se in Gallia saepe vicisse.
Ein Akkusativ in der Rolle eines Subjektes, nicht als Teil Objekts-AcI
- wie etwa nach videre - zu klassifizieren.


Der ACI ist kein Satz im strengen Sinn, denn es fehlen die beiden Merkmale: die Nominativ-Rektion des Verbs in Richtung auf das Subjekt, (denn dieses steht im Akk.), und die Numerus-Rektion des Subjekts in Richtung des Prädikat (der Inf. hat ja keinen Numerus), die Logiker sagen auch noch, dass ihm der Charakter der Wahrheitsbehauptung fehlt; der ACI ist also ein "suspendierter" oder ein quasi-Satz.

Gruß P :)
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Re: Reflexivpronomen

Beitragvon Willimox » Mi 7. Mär 2012, 12:46

Salve,

1. AcI-Diskurs

die Schülerfrage sollte - siehe oben - schulisch nicht beantwortet werden.
Antworten der superfluenten Art interessieren eher einen Linguisten-Zirkel.
Klar gibt es prototypisch ein "-, sui, sibi, se, a se/secum" und seinen Gebrauch
außerhalb der Subjektiposition.
Aber dann eben die doch - kognitiv - spannenden Randbezirke:

Selbstverständlich findet sich im AcI
eine Rektion des aktiven Verbs und eine
Kongruenz mit dem Akkusativsubjekt,
allerdings bei dem seltenen "infinitiv Futur"
und bei dem häufigen Infinitiv Perfekt Passiv.
Dazu eine bedingte Rektion beim Infinitiv
Perfekt Passiv, insofern eine standardmäßige
Passivtransformation aus einem Akkusativobjekt
ein Akkusativsubjekt macht.
Wohlgemerkt auch außerhalb des Skopus von Verben
wie "videre":

Caesar gaudebat se Romam reversurum esse.
Caesar gaudebat se Romae salutatum esse.


Das AcI -Sätze nur bedingt wahrheitsfähig sind
unterscheidet sie kaum von normalen Aussagesätzen
mit entsprechenden Hinweisen auf die Perspektive
des Sprechers.

2. Myself und ipse

Bedenken wir nochmal das englische Paradigma

myself,
yourself,
himself, herself, itself,
ourselves,
yourselves,
themselves

Das "myself" kann als Subjektsbestimmung stehen, wie Zytho schon erwähnt hat.

Who repared your car? Nobody, i did it myself.
The painted ther house theselves.
The boss wentthere himself.

Mir scheint, dass im Lateinischen etwas ähnliches mit "ipse" passiert.
Es ist eine Art "Adhoc-Reflexivum" für den Nominativ in Markierungssituationen,
mit "idem" sich überschneidend.
Das Standard-Reflexivum "sui, sibi.." wird besonders gerne im Fokus
transitiver Verben benutzt, als Nichtsubjekt. Wohl aber durchaus beim AcI-Se.
Siehe oben die Beispiele.

Das Vermeiden der lästigen Namensverdopplung ist kein besonders gutes Kriterium,
es ist dies die Funktion von sehr vielen Pronomen. Also braucht man be der Erklärung
Zusatzbedingungen.


Vale
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Re: Reflexivum für Elftklässler

Beitragvon Laptop » Mi 7. Mär 2012, 19:46

Prudentius hat geschrieben:das Reflexivum dient also dazu, eine lästige Namensverdopplung zu vermeiden, Cicero Ciceronem, und wenn man schon eine Namensnennung streicht, dann doch das Objekt, denn das Subjekt ist ja das wichtigere der beiden, das lässt man stehen. Da leuchtet es doch ein, dass das Lateinische gar kein Nominativ-Reflexivum entwickelt hat; …

@Prudentius Das wäre nur dann einleuchtend, wenn es keine Dopplungen im Nominativ gäbe, die es zu vermeiden gilt. Ist das so?
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Re: Reflexivpronomen

Beitragvon Zythophilus » Do 8. Mär 2012, 10:28

Ich fasse einmal zusammen:
Das lateinische Reflexivpronomen der 3. Person steht da, wenn das Objekt des Subjekts inhaltlich ident mit diesem ist; da weicht es nicht von seinem deutschen Pendant ab. Man könnte theoretisch manchmal einen obliquen Kasus des Subjekts verwenden, was aber einerseits nicht möglich ist, wenn das Subjekt im Prädikat steckt, andererseits im Lateinischen auch nicht unbedingt eindeutig: Bei homo homini lupus ist der Mensch im Dativ nicht derselbe wie im Nominativ.
Anders als bei den Pronomina der 1. und 2. Person, wäre das Pronomen der 3. Person nicht eindeutig, wenn es kein Reflexiv gäbe. Is eum laudat geht daher nicht. Auch der Genitiv des deutschen Reflexivpronomens ("seiner", "Ihrer") ist nicht eindeutig, weshalb ihm häufig ein "selbst" beigesellt wird.
Die Identität des Subjekts mit einem anderen Satzelement (ich formuliere es einmal neutral) im Nominativ kann man nicht mit einem Reflexivpronomen ausdrücken; das ist kein Mangel. Eher ist die fehlende Eindeutigkeit des Pronomens der 3. Person eine Art "Mangel", der
für die obliquen Kasus, nicht aber für den Nominativ einen Ersatz in Form des Refexivpronomens nötig macht. Das Englische behilft sich da anders mit dem angehängten "self" (bzw. "selves" im Plural), wobei das, was wir als Prädikatsnomen im Nominativ sehen, durchaus auch mit etwas, das eigentlich ein obliquer Kasus ist, ausgedrückt wird.
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