Perfektendung -erunt - Quantität des e?

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Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon ille ego qui » Mi 11. Dez 2013, 23:28

salvete,

Laptop hat eine Diskussion zu schlampiger Aussprache eröffnet und führte unter anderem "fuerunt" an mit vermeintlich falscher betonung "fúerunt". ansa arrepta möchte ich gerne fragen, was mich immer wieder beschäftigt (wozu ich auch schon verschiedene ansichten gehört habe): wie sicher sind wir, dass das e in -erunt (perf.) in prosa lang sei, worauf so mancher dozent pocht.

die poesie bietet beide prosodischen varianten. und vocarunt etwa könnte es eigentlich gar nicht geben ohne ein vocáverunt mit kurzem e - denn langvokale können, heißt es zumindest oft, nicht synkopiert werden. (oder haben wir zeugnisse, die für archaisch kurzes und klassisch langes e sprechen?)
ich wurde bereits mit der theorie konfrontiert, -erunt habe eigentlich und auch in prosa ein kurzes e und werde nur in poesie gelegentlich gelängt in analogie zur variante -ere mit generell langem e, wohl (ursprünglich) deshalb, weil viele 3.-perf.-langformen mit kurzem e nicht hexametertauglich seien (vocaverunt v - v(!) -) ...

vos quid censetis? valete :)

bene valete :-)
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon consus » Do 12. Dez 2013, 22:54

ille ego qui scripsit / hat geschrieben:... wie sicher sind wir, dass das e in -erunt (perf.) in prosa lang sei, worauf so mancher dozent pocht...
:-o Nonne, mi amice, perpendere nobis licet notissimas illas clausulas* quibus Cicero persaepe sententias suas terminat? Ecce exemplum: cf. Cic. de or. 2, 226:
libidines totum dīssĭpāvērūnt > - u - / - x (dicreticus catalecticus = dicreticus + trochaeus).
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon Zythophilus » Do 12. Dez 2013, 23:16

Es klingt wenig plausibel, dass gerade die wesentlich häufigere Form die eigentlich ungewöhnliche sein soll.
Es gibt das 3.P.Pl. Perfekt auch in der Version -Ä•runt - Met. VI 584 ist eines der raren Beispiele -, aber gerade da zeigt es sich, dass man dieses Wort (defuerunt) mit den herkömmlichen Quantitäten nicht in einem daktyl. Vers unterbringt.
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon Laptop » Fr 13. Dez 2013, 00:41

Mal ganz naiv gefragt: ist eine Vokallängung typisch für das Perfekt? Wir haben langes vÄ“ni (Perfekt) statt kurzem vÄ•ni (Präsens). Oder ist das zu weit hergeholt?
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon consus » Fr 13. Dez 2013, 14:50

Salvete, amici.
Alfredus Ernout* rem hoc explicat modo:
Tres esse exitus: -ěrunt, -ēre, -ērunt.
-ěrunt] in versibus Plauti poetae; CIL I 2, 378sq.: dedro(t) < deděront (cf. Ital.: dissero < dixěrunt).
-Ä“re] esse obscurae originis. Apud Plautum, Terentium aliosque poetas. Cf. Cic. orat. 157:
nec vero reprehenderim scripsere alii rem, etsi scripserunt esse verius sentio

-ērunt] copulationem esse formarum -ěrunt et -ēre.
_____________________________________________________________________
* Historische Formenlehre d. Lat., dt. v. Hans Meltzer, 2./3. Aufl. Heidelberg 1920, S. 168f.
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon Laptop » Fr 13. Dez 2013, 15:16

@consus Wenn -Ä“runt eine Vermengung aus -Ä•runt und -Ä“re ist, wie du sagst, dann ist -Ä“re die ursprünglichere Form, nicht -Ä“runt, wie Cicero meint, richtig?
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon consus » Fr 13. Dez 2013, 15:46

Salve, Laptop.
Quod ad exitum -Ä“runt pertinet, videtur formam esse secundariam neque scimus utrum Cicero l.c. -e- produxerit an corripuerit. Ernout utique scribit ex Plauti tempore formam usitatissimam esse -Ä“runt (l.c. p.169).
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon ille ego qui » Fr 13. Dez 2013, 16:18

gratias vobis ago pro iudiciis vestris

Laptop hat geschrieben:@consus Wenn -Ä“runt eine Vermengung aus -Ä•runt und -Ä“re ist, wie du sagst, dann ist -Ä“re die ursprünglichere Form, nicht -Ä“runt, wie Cicero meint, richtig?


gibt es eine äußerung ciceros zu diesem punkt?? oder meinst du die traditionelle regel der (vermeintlich klassischen) schulprosodie?
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon Laptop » Fr 13. Dez 2013, 17:47

consus hat geschrieben:Salve, Laptop.
Quod ad exitum -Ä“runt pertinet, videtur formam esse secundariam neque scimus utrum Cicero l.c. -e- produxerit an corripuerit. Ernout utique scribit ex Plauti tempore formam usitatissimam esse -Ä“runt (l.c. p.169).


Hm, verstehe. Da die Form mit kurzem e so selten ist (ein paar mal bei Plautus), habe ich stillschweigend unterstellt, Cicero kann nur -Ä“runt meinen. Wie auch immer, ich bin jedenfalls bisher davon ausgegangen die Form -Ä“re sei bloß eine später erschienene Kurzform von -Ä“runt. Da habe ich mich wohl geirrt?
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon Prudentius » Sa 14. Dez 2013, 17:25

Man sollte nicht mehr und nicht weniger sagen als: Es gibt drei mögliche Endungen, nichts genaueres weiß man nicht.
Egal was die Sprachwissenschaft sagt, die Form fuerunt mit dem langen e ist die zweckmäßigere, nicht wegen des e, sondern weil die Betonung verlegt wird, damit es sich deutlich von fuerant unterscheidet; wenn sich beide nur in dem unbetonten Endvokal unterscheiden, verwechselt man sie leichter; es ist aber wichtig, Primär- und Sekundärtempus deutlich zu differenzieren; im Sing. ist ja auch ein deutlicher Unterschied, fuerat / fuit, verschiedene Silbenzahl.

ist eine Vokallängung typisch für das Perfekt? Wir haben langes vÄ“ni (Perfekt) statt kurzem vÄ•ni (Präsens). Oder ist das zu weit hergeholt?


Die Verben mit Dehnungsperfekt bilden nur eine kleine Klasse des Gesamtbestandes, es geht auch um die Endung, nicht den Wortstamm. Man sollte auch nicht von "Vokallängung" sprechen, man geht nämlich von drei selbständigen Bildungsformen aus.
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon Zythophilus » Sa 14. Dez 2013, 18:05

Selbst wenn man eine Entwicklung von -Ä›runt zu -Ä“runt sehen will und dies als Vokallängung bezeichnet, so ist es, da es sich um die Endung handelt doch etwas grundsätzlich anderes als der Stammvokal von uenire, der im Perfektstamm lang wird.
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon aap » So 22. Dez 2013, 12:48

Nach Meiser (1998, Historische Laut- und Formenlehre der lateinischen Sprache) setzt lat. -Ä“re eine uridg. oder nachuridg. Form *-eh₁ri fort. Alat. -erunt stamme aus der periphrastischen Perfektbildung, die mit dem unflektierten Perfektpartizip + flektiertem esse gebildet wurde, also bspw. *portā-u̯os sont > *portāu̯isont > portāverunt. Von dieser Form (oder generell vom v-Perfekt, das eine Quelle in dieser Bildung hat) wurde die Endung -erunt abstrahiert und später mit -Ä“re zu -Ä“runt kontaminiert.

Ich finde diese Erklärung ziemlich überzeugend.
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Re: Perfektendung -erunt - Quantität des e?

Beitragvon Laptop » Di 24. Dez 2013, 09:19

Meiser hat geschrieben:Von dieser Form (oder generell vom v-Perfekt, das eine Quelle in dieser Bildung hat) wurde die Endung -erunt abstrahiert und später mit -Ä“re zu -Ä“runt kontaminiert.

@aap Danke, für den guten Beitrag. Meine – wohl irrige – Annahme -Ä“re sei die Kurzform von -Ä“runt ist leider allgemein verbreitet, hier bspw. im “Abriss der lateinischen Phonetik und Prosodie” der Uni Kiel:
Uni Kiel hat geschrieben:Die 3. Ps. Pl. Ind. Perf. Akt. endet auf –ērunt (mit der Kurzform –ēre) …
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