amor in Deum oder amor ad Deum?

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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon RM » Sa 20. Sep 2014, 11:46

Man sollte jedoch genau hinschauen, wie solche Regeln entstanden sind. Wenn man sich vor Augen führt, dass das, was von der antiken Literatur übrig geblieben ist, nur ein Bruchteil des damals Vorhandenen ist, und man berücksichtigt, dass zu der Zeit, als viele dieser heute in der Sekundärliteratur beschriebenen Regeln formuliert wurden, die antike Literatur nicht vernünftig statistisch auswertbar war, sollte man den Wahrheitsgehalt öfters überprüfen. Regeln, die ein "nicht erlaubt" beinhalten, sollte man ganz genau nachprüfen. Oft sind solche Aussagen einfach falsch und "nicht erlaubt" sollte wenigstens durch "ungebräuchlich" oder "selten" ersetzt werden.

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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon ille ego qui » Sa 20. Sep 2014, 11:53

ich glaube, das versteht sich :-)
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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon ille ego qui » Sa 20. Sep 2014, 11:58

Sprachliche Regeln verdanken sich sehr, sehr oft Vereinfachungen und Verallgemeinerungen. Wie ein Dozent von mir zu sagen pflegt: Für alle aus Cicero gewonnenen Regeln findet sich bei (dem Anomalisten) Cicero mindestens ein Gegenbeispiel. Dennoch machen sie oft didaktischen durchaus einen gewissen Sinn. Wenn etwa einer diese verallgemeinerte Regel, um die es hier geht, kennt und befolgt, dann wird er sehr viel "echter" wirkendes latein produzieren, als wenn man ihm gesagt hätte, es sei letztlich egal ;)
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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon RM » Sa 20. Sep 2014, 12:35

ille ego qui hat geschrieben:... dann wird er sehr viel "echter" wirkendes latein produzieren, ...

Interessant. Aber was soll da "echter wirken", wenn Cicero selbst die Gegenbeispiele liefert? Soll man dann versuchen, "amor" viermal öfter mit Genitiv als mit "in" zu verwenden? Und wofür das Ganze? Um Prooemia lateinischer Textausgaben zu formulieren?
Wie ich immer wieder nur betonen kann: Latein war länger "tot" als "lebendig". Die klassische Zeit des Lateinischen mag 50 Jahre umfassen, aber über 2000 Jahre lang entstanden bedeutende lateinische Werke. Sprachlich tut sich da auch einiges, so dass man nicht allzu puristisch denken sollte. Wenn man also einen passenden Ausdruck für das, was man formulieren will bei Plautus, Tacitus, Plinius d. Ä., Gargilius Martialis oder Augustinus findet, was spricht dagegen, ihn zu verwenden?
Natürlich bekommt man das Puristische in den Stilübungen eingetrichtert, meistens zu einer Zeit, wo man ohnehin noch nicht viel Originalliteratur gelesen haben kann, aber diese selbstauferlegte Beschränkung ist eigentlich Unsinn. Das ist dann so, als würde ein französischer Muttersprachler versuchen, Goethe zu imitieren. Auf die Dauer klingt das dann recht merkwürdig.
Wenn jetzt Cicero selbst - und nicht nur in den Briefen - den Ausdruck "amor in" bzw. "amor erga" mehr als 20x verwendet, ist eine Regel, die das verbietet, eigentlich Unfug, denn Cicero hatte genau dasselbe Problem mit dem Genitiv. Wenn man etwas eindeutig ausdrücken will, muss man ähnlich wie Cicero formulieren und manchmal "amor in" verwenden.

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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon ille ego qui » Sa 20. Sep 2014, 16:59

eine regel, die "amor in/erga" verbieten will, ist mir nicht bekannt - denn diese formulierung entspricht ja den allgemein anerkannten ausnahmen und wird wohl nirgendwo anstoß erregen. und es ist ja auch nicht zu leugnen, dass man bei einem text, bei dem immerzu bedenkenlos präpositionalausdrücke attributiv verwendet werden (mag dies auch bei den "bonsi scriptores" - außerhalb der bekannten ausnahmen! - gelegentlich vorkommen), schnell spürt, dass er mit sicherheit kaum antik sein kann. Er riecht dann schnell nach Germanismus und ähnlichem. Wenn man in der Lehre alles, was "nur" Tendenz ist, ignoriert (z.B. Wegfall von "ali" nach bestimmten Wörtern; die Beschränkung der Enklise von "quisque" auf bestimmte Wörter; stets finaler Sinn von nachgestelltem "causa"; die Regeln der cons. temp. und tausend andere Dinge mehr), dann kommt aufs Ganze gesehen wohl auch kein - nach antiken Maßstäben - "schönes" Latein mehr heraus - und antike Maßstäbe darf man wohl doch gelegentlich anlegen, da dies die meisten "guten" Lateiner in nachantiker Zeit selbst getan haben (nur durch die ewige antike Rückbindung und Rückversicherung kann Latein ja sein und bleiben, was es ist: eine weitgehend unveränderliche und daher zu Überzeitlichkeit taugende Sprache).
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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon RM » Sa 20. Sep 2014, 19:24

Naja, auch bei den meisten Humanisten hört man, dass das, was sie geschrieben haben, nicht von einem lateinischen Muttersprachler verfasst wurde, auch wenn sie sich große Mühe gaben. In der Folgezeit hat man sich ja beim Lateinschreiben sehr an den Humanisten orientiert, eigentlich fast mehr als an den antiken Schriftstellern (in all ihrer Vielfalt!), so dass auch die lateinischen Texte, die gelegentlich bis ins 20. Jahrhundert hinein entstanden sind (also z. B. als Vorworte oder Kommentare lateinischer Editionen), zu einem großen Teil ein wenig nach Humanistenlatein klingen. Das mag einen gewissen Vorteil beinhalten, da man so überall verstanden wurde. Dennoch sollten wir nicht unbedingt zu sehr am rein "klassischen" Latein hängen, ohne Ausdrucksweisen aus späteren Jahrhunderten zu berücksichtigen. Das Wichtigste beim Schreiben ist zunächst ja, verstanden zu werden. Auch die Schönheit des Ausdrucks ist bei vielen Texten nicht vorrangig. Aus genau diesem Grund muss man gelegentlich "amor in" sagen, statt einen Genitiv zu verwenden.

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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon ille ego qui » Sa 20. Sep 2014, 19:39

"amor in" ist doch perfekt klassisch und ciceronisch. keiner behauptet etwas anderes ;-)
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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon RM » Sa 20. Sep 2014, 20:50

Sososo ... dann muss ich mich ja ganz am Anfang höllisch verlesen haben. Von einer "Regel" irgendetwas Tendenziellem war da auch die Rede ... :wink:
Das diente jetzt aber nur ein Beispiel. Ich habe schon ein paar Regeln erlebt, die näherer Nachprüfung nicht so recht standhalten wollten.

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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon ille ego qui » Sa 20. Sep 2014, 21:02

wie gesagt, fast alle "regeln" lassen sich aus cicero selbst zumindest mit wenigen beispielen widerlegen. da, wo die ausnahmen deutlich unterwiegen, lohnt es sich wohl, an der regel festzuhalten - ggf. mit einem "in der regel" o.ä. als relativierung.
ich hatte ja schon gesagt: zu den anerkannten ausnahmen gehört, dass man an ein substantiv der inneren einstellung einen präpositionalausdruck, der den "adressaten" dieser einstellung bezeichnet (mit in / erga / adversus), ohne weiteres attributiv anschließen kann, daneben materialangaben (monile ex auro et gemmis), themenangaben (liber de Cicerone), verbindungen mit deverbalen Substantiven (iter (<ire) in Britanniam) - und noch ein paar mehr. das wort "tendenz" betrifft den ganzen rest der von den ausnahmen nicht erfassten fälle.
Zuletzt geändert von ille ego qui am Sa 20. Sep 2014, 21:16, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon cultor linguarum antiquarum » Sa 20. Sep 2014, 21:06

RM hat geschrieben:
ille ego qui hat geschrieben:
Altsprachenfreund hat geschrieben:Salve!

Meines Wissens ist nichts von beiden erlaubt, da dann noch irgendein Adjektiv oder Partizip etc. folgen muss.


diese Regel stimmt nur tendenziell. Aber davon abgesehen gibt es in den Grammatiken einen ganzen Katalog von Ausnahmen, wann auch diese Tendenz ausfällt. dazu gehören eben ausrücken dieser art (innere Haltung + "Adressat").

Mein Tip: Nicht ausschließlich auf irgendwelche Sekundärliteraturverfasser vertrauen, sondern auch mal selbst forschen! :wink:

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Nur am Rande: Diese Tendenz/Regel/was auch immer wurde mir von unserem lieben Marcus03 beigebracht, siehe http://www.e-latein.at/phpBB/viewtopic.php?f=24&t=41011. Also war es auch keine Sekundärliteratur... :-D
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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon RM » Sa 20. Sep 2014, 21:22

Vielleicht sollten wir aufhören, in solchen Zusammenhängen von Regeln zu sprechen. Nach meinem Verständnis lassen Regeln zwar Ausnahmen zu, aber auf jeden Fall nicht so viele wie bei unserem Beispiel.
Nennen wir sie doch tatsächlich lieber "Tendenzen" oder "Präferenzen".

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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon ille ego qui » Sa 20. Sep 2014, 21:35

das kann man natürlich gern tun.

p.s.: zumindest außerhalb der bekannten ausnahmen (ein blick in die grammatik lohnt sich hier trotz allem, da mir da durchaus richtiges erkannt scheint!) sind die - durchaus auftretenden - "verstöße" oder vielleicht besser "abweichungen" wohl doch relativ dünn gesät.

p.p.s.: nicht uninteressant sind nebenbei fälle, wo eine attributive und eine adverbiale möglichkeit zu einem im endeffekt sachlich praktisch gleichwertigen ergebnis führen (z.B.: "Einige Häuser neben der Schule brannten" vs. "Neben der Schule brannten einige Häuser").
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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon iurisconsultus » Sa 20. Sep 2014, 22:33

ille ego qui hat geschrieben:nicht uninteressant sind nebenbei fälle, wo eine attributive und eine adverbiale möglichkeit zu einem im endeffekt sachlich praktisch gleichwertigen ergebnis führen (z.B.: "Einige Häuser neben der Schule brannten" vs. "Neben der Schule brannten einige Häuser").

Den grammatischen Unterschied zwischen den beiden Sätzen, abgesehen von der Umstellung der Satzglieder, musst du mir erklären. :?
Qui statuit aliquid parte inaudita altera,
aequum licet statuerit, haud aequus fuit.
(Sen. Med. 199-200)
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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon ille ego qui » Sa 20. Sep 2014, 22:43

syntaktisch ist der unterschied der folgende: im einen fall ist "einige häuser neben der schule" zusammen ein satzglied (nämlich subjekt), was man daran sieht, dass es zusammen vor dem finiten verb stehen kann/steht. es antwortet geschlossen auf die frage "was brannte?" und entspricht der syntaktisch ganz eindeutigen formulierung "einige neben der schule befindliche häuser". "neben der Schule" ist also attribut zu "(einige) Häuser". im anderen fall sind "einige häuser" (subjekt) und "neben der schule" (lokaladverbial) zwei voneinander "unabhängige" satzglieder, die jeweils alleine vorfeldfähig sind ("neben der schule BRANNTEN einige häuser", "einige häuser BRANNTEN neben der schule").
der sache nach fallen beide sätze einigermaßen zusammen: es sind jedes mal wohl die selben häuser, die brennen. es besteht allenfalls ein irgendwie perspektivischer unterschied.
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Re: amor in Deum oder amor ad Deum?

Beitragvon Prudentius » So 21. Sep 2014, 09:47

Vielleicht sollten wir aufhören, in solchen Zusammenhängen von Regeln zu sprechen.


Das geht nicht, wir brauchen Regeln; wenn einer kommt und übersetzt "der Mann aus Arpinum" als "vir ex Arpino", dann müssen wir sagen können, falsch, wegen der Regel, der Hinweis auf Tendenzen genügt nicht.

Bei diesem Ausdruck sieht man: wir haben im D. viele unbewusste Wortstellungsregeln, es gibt eine Vielzahl von "Inversionen" des normalen Satzschemas, ein Blick in die Dudengrammatik zeigt es; bei "der Mann aus Arpinum" ist im Normalsatz nach "der Mann" ein Verb gefordert: "der Mann kommt aus Arpinum"; wenn hier kein Verb kommt, dann ist das ein starkes Signal für einen attributiven Zusatz, - nur bleibt es uns unbewusst.

Es ist jetzt eine Formulierungssache für den Lehrer: er soll nicht sagen: "Du hast gegen die Regel verstoßen", sondern: "Du musst noch die im D. versteckte Attributfunktion wiedergeben", also "vir Arpini natus" o. dgl.
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