Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Das Forum für professionelle Latinisten und Studenten der Lateinischen Philologie

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » Do 1. Jan 2015, 17:08

Kalendis Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c. Bussinatrix vobis salutem dicit.

Decimi Magni Ausonii IDYLLIUM IX.
Precatio Kalendis Ianuariis


http://youtu.be/b2v-NCDxrMM

Vobis novum annum felicem et prosperum opto!

Hanc recitationem Iohanni Linharto Salisburgensi, dilectissimo amico meo, dedicavi.
Bussinatrix
Propraetor
 
Beiträge: 168
Registriert: Do 9. Aug 2012, 13:51

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Zythophilus » Fr 2. Jan 2015, 00:21

Beim Vers alme, veni et festum veteri novus adice Ianum ist ein ziemlicher Fauxpas passiert, wenn das i von veni ganz normal ausgesprochen wird, das um von festum aber wegfällt.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 16914
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » Sa 3. Jan 2015, 22:13


alme, veni, et festum veteri novus adice Ianum.


Ich wusste, dass dieser Kommentar kommen würde: :D

Übliche Elision:

álme, ven'ét festúm veterí novus ádice Iánum.

Meine Elision:

álme, uení, et fést_ueterí novus ádice Iánum.


Folgende Überlegungen haben mich dazu bewogen, in diesem Fall bewusst von den üblichen Elisionsregeln abzuweichen:

1. Semantische Gründe: et als kleines, semantisch fast "leeres" Wort sollte im Vers nicht übermäßig betont werden, da die sinngemäße Betonung doch auf dem Kommen liegt, bei dem es sich um einen ganz wichtigen Imperativ handelt, der dem ganzen Gedicht doch überhaupt erst den Gebetscharakter verleiht (precatio!).

2. Phonetische und linguistische Gründe: Der -m-Auslaut der Akkusativ-Endungen wurde im gesprochenen Latein schon in klassischer Zeit weitgehend nur noch schwach artikuliert mit Tendenz zur Nasalierung des vorangehenden Vokals, der im vorliegenden Fall ein u ist. Später im Übergang vom Vulgärlatein in die romanischen Sprachen hat genau diese Lautwandlung ja auch erheblich zum Zerfall des lateinischen Kasussystems in den romanischen Sprachen beigetragen. Ausonius ist bereits ein spätantiker Autor (4. Jh n.Chr.), daher gehe ich davon aus, dass das -m zu seiner Zeit erst recht ganz schwach ausgesprochen wurde. Es bietet sich daher an, dass man den gerundeten Vokal u von festu' ohne -m-Auslaut mit dem bilabial ausgesprochenen v von veteri zu einer lautlichen Einheit verschmelzen lässt. Und das passt dann tatsächlich auch sehr schön ins Versmaß unter Berücksichtigung der langen und kurzen Silben:
álme, ve | ní, et | fést'_uete | rí ...
lang-kurz-kurz | lang-lang | lang-kurz-kurz | lang ...


3. Zäsur: Ich wollte ungern die kleine Zäsur nach dem Imperativ veni, die in modernen Ausgaben durch ein Komma markiert wird, mit der Elision ven'et entfernen.

4. Musikalisch-ästhetische Gründe: Vor dem Hintergrund der musikalischen Untermalung des Soundtracks Colossus von Kevin MacLeod klang der Vers mit der üblichen Elision nicht so gut. Mit meiner "falschen" Elision klingt der Vers im musikalischen Kontext einfach besser und erscheint mir - wohlgemerkt: immer als gesprochener Text betrachtet! - auch verständlicher, weil die Semantik der Wortstämme erhalten bleibt und nur das grammatische Morphem der sowieso schon schwach artikulierten Akkusativendung elidiert wird.

5. Euphonische Gründe / Binnenreim: Durch meine unübliche (oder meinetwegen falsche) Elision ergibt sich ein nach meinem Empfinden wohlklingender Binnenreim:
álme vení
et fést'veterí
der sehr schön zur Musik passt.


Dies sind meine Argumente. Wem das Video wegen meiner "falschen" Elision nicht gefällt, der braucht es sich ja nicht anzuschauen.

Und sollte irgendein Lateinlehrer mein Video im Unterricht einsetzen, dann gibt dieser Vers gleich netten Diskussionsstoff im Hinblick auf die Analyse des Hexameters, was auch nicht zu verachten ist. ;-)
Zuletzt geändert von Bussinatrix am So 4. Jan 2015, 00:45, insgesamt 2-mal geändert.
Bussinatrix
Propraetor
 
Beiträge: 168
Registriert: Do 9. Aug 2012, 13:51

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Tiberis » Sa 3. Jan 2015, 23:55

deine gründe in ehren, aber du kannst ja nicht einfach die gesetze der metrik außer kraft setzen. ebenso gut könntest du dann ja auch ein siebentes metrum dem vers hinzufügen und das dann auch wortreich begründen. :-o
die anderen hexameter sind ja, wie ich sehe, sehr ordentlich gestaltet. warum sollte der gute gesamteindruck durch diesen einen verunglückten vers geschmälert werden?
ich würde also raten, diesen einen vers so umzugestalten, dass kein anlass zur kritik mehr gegeben ist.
folgende lösung würde sich - unter beibehaltung der von dir gewählten worte -anbieten:

alme, veni, Ianum adiciens veteri ,nove, festum.

auf diese weise ist nicht nur das elisionsproblem gelöst, sondern es wird hier auch der nominativ "novus", der ja auch in gewisser weise störend ist , da du ja das neue jahr direkt ansprichst, durch den passenderen vokativ ersetzt.
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
Benutzeravatar
Tiberis
Pater patriae
 
Beiträge: 11872
Registriert: Mi 25. Dez 2002, 20:03
Wohnort: Styria

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » So 4. Jan 2015, 00:41

Dein Versuch, Tiberie, den Wortlaut des Verses umzugestalten, ist zwar löblich, aber so weit möchte ich denn doch nicht gehen, auch wenn diese Textstelle offenbar nicht eindeutig überliefert ist und der Vers (mitsamt dem nächsten Vers Coge secuturos...), so wie er vielfach abgedruckt wird, auf eine Emendation (bzw. Umstellung) von Peiper zurückzuführen ist; siehe den textkritischen Apparat auf
https://archive.org/stream/opuscula00au ... 6/mode/2up und auf
https://archive.org/stream/deciausonius ... 2/mode/2up

Auch dein Vokativ nove als Anrede würde mich insofern stören, als ich den Nominativ im Text so verstanden hatte:

• Oh Segensreicher, komm, und füge in deiner Eigenschaft als Neujahr dem alten (Jahr) den Janus-Festtag hinzu
• Oh Segensreicher, komm, und lass als Neujahr auf das alte (Jahr) den Janus-Festtag folgen
• Komm segensreich, und lass als neues (Jahr) auf das alte (Jahr) den Janus-Festtag Neujahr folgen

Ich habe keine moderne wissenschaftliche Ausgabe zur Hand, aber der textkritische Apparat in den obengenannten gemeinfreien alten Ausgaben deutet darauf hin, dass der Nominativ in den Handschriften überliefert ist, und dementsprechend würde ich den gern beibehalten.

Auch sollte Ianum unbedingt in hervorgehobener Stellung am Versende stehen bleiben, weil es ja der Janus-Festtag ist und nicht irgendein anderer Festtag, der hier thematisiert ist. Die Betonung liegt doch sinngemäß auf Ianum, an den Kalenden des Januar, dem Neujahrsfeiertag.


Ich gebe abermals zu bedenken, dass es sich bei meiner Rezitation um mündliches, also gesprochenes Latein mit musikalischer Untermalung handelt. Insofern halte ich meine Argumente für nicht so abwegig...

Wenn ich dieses Gedicht ohne musikalische Begleitung rezitiert hätte, dann hätte ich garantiert nicht so extrem rhythmisierend rezitiert, wie ich es in dem Video getan habe. Meine Rezitation in dem Video ist ja schon fast eine Art "Rap". Das kommt daher, dass ich so begeistert war, dass ich tatsächlich einen Copyleft-Soundtrack gefunden hatte, der so toll zum Versmaß des Hexameters passt, wie ich es in meinen kühnsten Träumen nicht hätte erträumen können... Ursprünglich wollte ich einfach irgendeine musikalische Untermalung haben, die stilmäßig irgendwie passt, doch dann fand ich Colossus von Kevin MacLeod, und dann wurde eben ein extrem rhythmischer "Rap" aus meiner Rezitation, was mich persönlich sehr erfreut hat. Und deswegen hab ich bei dem besagten Vers dann eben kleine Abstriche bei der Metrik gemacht, die mit verschiedenen Argumenten zu untermauern ich in meinem vorigen Beitrag versucht habe.
Zuletzt geändert von Bussinatrix am So 4. Jan 2015, 01:40, insgesamt 3-mal geändert.
Bussinatrix
Propraetor
 
Beiträge: 168
Registriert: Do 9. Aug 2012, 13:51

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » So 4. Jan 2015, 01:29

Ich hab den in die Kritik geratenen Vers jetzt noch mehrmals in meinem Video angeschaut und mir dazu den Vers unter Berücksichtigung der an sich korrekten Elisonsregeln der Metrik rezitiert.

Ich muss abermals betonen, dass dieser Vers
álme, ven' | ét fes- |túm vete- | rí novus | ádice | Iánum
mit der völlig widersinnigen Betonung auf dem semantisch nahezu leeren Wort et und dem grammatischen Morphem -um eben nicht so gut klingt wie der Vers mit meiner Betonung auf den semantisch gefüllten Wortstämmen und der Elision der Endung -um, wodurch sich außerdem der wohlklingende i-Binnenreim vení - veterí ergibt.

Abgesehen davon ist mein zusätzliches akzentuierendes Prinzip, das sich in meinem Video ganz stark aufgrund des Rhythmus der Musik ergibt, in der Form auch nicht in der quantitierenden Metrik des Lateinischen vorgesehen. Doch gesprochenes Latein hatte selbstverständlich betonte und unbetonte Silben. Die akzentuierende Betonung, die sich aufgrund meines Verstoßes gegen die offiziellen Elisionsregeln ergibt, entspricht somit eher der natürlichen Aussprache in Prosa (jedoch nach wie vor unter Beibehaltung der korrekten Längen und Kürzen).

Der Vers fließt mit meiner falschen Elision einfach besser. Es klingt einfach schöner, finde ich, irgendwie runder - also vom Klang her. Es hört sich einfach besser an. Finde ich jedenfalls...
Bussinatrix
Propraetor
 
Beiträge: 168
Registriert: Do 9. Aug 2012, 13:51

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c. - Ausonius

Beitragvon Bussinatrix » Sa 17. Jan 2015, 17:55



Ich hab mir jetzt folgende Konjektur oder Emendation überlegt:


Im Vers
álme, ven'_|_ét fes- |túm vete- | rí novus | ádice | Iánum

könnte man das semantisch nahezu leere und zum Verständnis und zur korrekten Syntax des Satzes im Grunde überhaupt nicht notwendige Wort et ersatzlos streichen - dann würde der Vers folgendermaßen lauten:

álme, ve- | ní, fes- |túm vete- | rí novus | ádice | Iánum

Dann hätten wir das besagte Problem mit der hässlichen Synalöphe durch die Elision des -í bei dem Verb veni im Imperativ mitsamt der widersinnigen Betonung des unwichtigen Wortes et eliminiert und unter Beibehaltung des wohlklingenden Binnenreims vení - veterí trotzdem die Regeln der Metrik gewahrt.

Ich könnte mir in der Tat vorstellen, die Tonspur in meinem Ausonius-Video mit dem Vers ohne dieses et neu aufzunehmen, das Video neu zu rendern - was alles viel mehr Arbeitsaufwand ist, als ihr vielleicht denkt - und diese überarbeitete Version dann neu auf Youtube hochzuladen. Das wäre ein Kompromiss, auf den ich mich einlassen würde: 1. wäre dann die Metrik im altphilogischen Sinne korrekt, 2. wäre die Betonung auf dem -í des semantisch wichtigeren Imperativs vení gewahrt, und 3. hätte ich weiterhin meinen schönen Binnenreim vení - veterí, der mir - ungeachtet dessen, dass solche Binnenreime in der antiken Dichtung gar nicht vorgesehen sind - so gut gefällt.

Was meint ihr dazu? Wäre das ein gangbarer Weg?

----------------------------------------

Sagt mal, hat jemand von euch vielleicht eine modernere wissenschaftliche Ausonius-Ausgabe mit einem guten textkritischen Apparat und/oder auch Kommentar zur Hand und könnte dort mal für mich nachschauen, was dort steht? Ich wüsste zu gern, wie die handschriftliche Überlieferung dieser Textstelle genau aussieht. Wer weiß: Vielleicht ist diese Stelle in den Codices ja verderbt. Dann wäre - bei aller Bescheidenheit - meine vorgeschlagene Emendation vielleicht vertretbar - wie gesagt, aus rein euphonischen Gründen im Hinblick auf meine Video-Rezitation.

Ich selbst hatte online nur folgende (alte, und somit gemeinfreie) Ausgaben gefunden:
https://archive.org/stream/deciausonius ... 2/mode/2up
https://archive.org/stream/opuscula00au ... 6/mode/2up
https://archive.org/stream/cuadmagniaus ... 5/mode/2up

Aus den textkritischen Apparaten dort geht jedenfalls nur hervor, dass alme statt des im Codex V überlieferten anne die Emendation eines gewissen Peiper ist, und dass dieser Peiper auch den Vers coge secuturos bis sena per ostia menses aus dem vorherigen Gedicht hierher verschoben hat, was die Ausgaben
https://archive.org/stream/cuadmagniaus ... 5/mode/2up
http://mlat.uzh.ch/MLS/xanfang.php?tabe ... _download=
http://www.forumromanum.org/literature/precationes.html
nicht übernommen haben,
wohl aber die Ausgabe, die Perseus in seinem Textcorpus hat:
http://www.perseus.tufts.edu/hopper/tex ... ection%3D6

Über das fragliche et habe ich jedenfalls nichts gefunden.

Ich hatte mich bei meinem Video dann dazu entschieden, die Version (mit Peipers Emendation und Verschiebung des Verses coge secuturos...), die Perseus angibt, zu rezitieren. Ich musste ja irgendeine Entscheidung treffen.

Und nochmal: Bitte bedenkt, dass meine Rezitation hier mit dem tollen Soundtrack "Colossus" von Kevin McLeod harmonieren soll. Gerade das gefällt mir so gut. Diese extrem rhythmische Musik unterstreicht den Rhythmus des Hexameters auf eine ganz einzigartige Weise, und deshalb will ich unbedingt so skandieren, wie ich es bereits getan habe. Diese Freiheit, das Ausonius-Gedicht in diesem Stil zu "rappen", nehme ich mir. Denn welche Musik würde besser zu dem Ausonius-Gedicht passen als "Colossus" von Kevin McLeod? ;-)

Beste Grüße,
Bussinatrix
Bussinatrix
Propraetor
 
Beiträge: 168
Registriert: Do 9. Aug 2012, 13:51

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Zythophilus » Sa 17. Jan 2015, 18:51

Länge und Betonung gehören nicht unbedingt zu einem auch inhaltlich wichtigen Wort. Es würde vermutlich lange dauern, alle et, die positionslang und betont sind, aus der Aeneisherauszusuchen.
Umgekehrt bekommt Venus, die aus zwei Doppelkürzen besteht, falls nicht ein Konsonant folgt, oft gar keine betonte und lange Silbe.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 16914
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » Sa 17. Jan 2015, 20:06

Zythophilus hat geschrieben:Länge und Betonung gehören nicht unbedingt zu einem auch inhaltlich wichtigen Wort.


Das weiß ich auch. Aber kannst du denn nicht verstehen, dass es mir in meiner (mündlichen!) Rezitation eben auch um den Wohlklang geht?! Geschriebene Literatur / reine Schriftsprache ist halt noch was anderes als gesprochene Sprache, noch dazu in einer rhythmischen Rezitation, finde ich.

Trotzdem danke, dass du meinen Beitrag gelesen und eine Antwort gepostet hast, Zythophile.

Ach was gäb ich drum, wenn ich den lieben Varro fragen könnte, was er dazu meint...
Bussinatrix
Propraetor
 
Beiträge: 168
Registriert: Do 9. Aug 2012, 13:51

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon ille ego qui » Sa 17. Jan 2015, 20:12

Wer lateinische Poesie im Ohr hat, empfindet Verstöße meist als störend, das wirst du wahrscheinlich nicht ändern können ;-) Man setzt ja auch normalerweise nicht, wenn man deutsch dichtet, um des Wohlklangs willen, Aussprache-, Syntax- oder andere Regeln des deutschen außer kraft. Wenn nicht der Verstoß selbst als ein Träger von Aussage, Witz o.ä. fungieren soll - und erkennbar wird -, sucht man für gewöhnlich händeringend nach einer möglichkeit, die wohlklang, sprachrichtigkeit und passenden sinn in sich vereint ;-)
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
arma virumque cano ...
ille ego qui
Augustus
 
Beiträge: 6909
Registriert: Sa 3. Jan 2009, 23:01

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon RM » Sa 17. Jan 2015, 20:22

Zythophilus hat geschrieben:Es würde vermutlich lange dauern, alle et, die positionslang und betont sind, aus der Aeneisherauszusuchen.

Das habe ich doch gleich mal ausprobieren müssen. Es dauert knapp 4 Minuten (für den gesamten Vergil) - also nicht wirklich lange. Aber nicht das Heraussuchen, sondern die Auswertung wäre wohl die eigentliche Herausforderung.
Ansonsten wäre es aber nicht richtig, in den lateinischen Versformen betonte und unbetonte Silben zu suchen, da Längen und Kürzen zwar einen Rhythmus, aber keine Betonung erzeugen sollten.

8) RM
RM
Augustus
 
Beiträge: 4522
Registriert: So 22. Sep 2002, 22:08
Wohnort: Bayern

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » Sa 17. Jan 2015, 21:08

RM hat geschrieben:Ansonsten wäre es aber nicht richtig, in den lateinischen Versformen betonte und unbetonte Silben zu suchen, da Längen und Kürzen zwar einen Rhythmus, aber keine Betonung erzeugen sollten.


Genau, und das ist eben die Crux für uns Nichtmuttersprachler! Aber dass es trotzdem eine vom Versmaß unabhängige natürliche Betonung der Wörter gibt, wird wohl niemand abstreiten.

Ich habe nur ein einziges Mal in meinem Leben jemanden Hexameter auf eine Weise rezitieren gehört, bei der die natürliche (Prosa-)Betonung der Wörter und der durch die Längen und Kürzen erzeugte Versrhythmus ganz wundervoll harmonierten: Das war Prof. Johanna Narten damals in meiner Studienzeit Ende der 70er Jahre in einem indogermanistischen Seminar. Sie hatte uns Verse aus der Äneis auf ganz unnachahmliche Weise vorrrezitiert, indem sie die Betonung der Wörter mit dem uns gewohnten Druckakzent durch einen musikalischen (!) Akzent ersetzt hat, der mit dem quantitierenden Prinzip der Verse ganz wundervoll und harmonisch im Einklang stand, statt mit diesem auf Kollisionskurs zu gehen. Das klang ganz phantastisch, das war wirklich einmalig! Ich krieg das leider nicht hin, würde es aber gern können!

Ich weiß auch nicht, wie ich das in meiner Ausonius-Rezitation mit der Musik von Kevin McLeod hinkriegen soll. Das, glaube ich, übersteigt definitiv meine bescheidenen Kompetenzen. Leider.

So toll wie die Narten habe ich übrigens nie mehr jemanden lateinische Verse rezitieren hören. Ja, das war damals in den Siebzigern.... Lang lang ist's her...
Bussinatrix
Propraetor
 
Beiträge: 168
Registriert: Do 9. Aug 2012, 13:51

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Zythophilus » Sa 17. Jan 2015, 21:28

Mit welchem Hilfsmittel hast du die gefunden, RM? Ich entdecke in der Aeneis auf den ersten Blick je ein entsprechendes et in Vers 3 u. 5. Es scheint also einige zu geben.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 16914
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon ille ego qui » Sa 17. Jan 2015, 21:31

Ob das lateinische einen Druck- (erhöhter Stimmdruck) oder einen musikalischen Akzent (höherer Ton) hatte, ist umstritten. Die Indizien sind gegenläufig. Ich persönlich versuche, die Längen und Kürzen genau zum Ausdruck zu bringen und daneben den Wortakzent zu berücksichtigen (wobei der bei mir wohl als dynamischer=Druckakzent hörbar wird). Stroh und Winge (Beispiele im Internet) machen das ähnlich. Dass es am Ende einigermaßen natürlich klingt, ist eine gewisse Kunst ;-)

Stroh: http://www.wiredforbooks.org/aeneid/

Winge: https://www.youtube.com/watch?v=C1GkN-qqXMM (exakter, aber vielleicht etwas weniger mitreißend :D)
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
arma virumque cano ...
ille ego qui
Augustus
 
Beiträge: 6909
Registriert: Sa 3. Jan 2009, 23:01

Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » Sa 17. Jan 2015, 22:11

ille ego qui hat geschrieben:Ob das lateinische einen Druck- (erhöhter Stimmdruck) oder einen musikalischen Akzent (höherer Ton) hatte, ist umstritten. Die Indizien sind gegenläufig.

Egal, es klang mit Nartens musikalischem Akzent jedenfalls ganz toll. Ich erinnere mich, dass ich damals nach dem Seminar ganz hin und weg war...


ille ego qui hat geschrieben:Ich persönlich versuche, die Längen und Kürzen genau zum Ausdruck zu bringen und daneben den Wortakzent zu berücksichtigen (wobei der bei mir wohl als dynamischer=Druckakzent hörbar wird). Stroh und Winge (Beispiele im Internet) machen das ähnlich. Dass es am Ende einigermaßen natürlich klingt, ist eine gewisse Kunst ;-)


Richtig, das ist die Kunst und die Crux! Und ich hab darüber hinaus noch diese rhythmische Musik, die ich auch noch berücksichtigen will und muss.

Hab ich mich übernommen mit meinem kleinen Ausonius-Neujahrsprojekt?

ille ego qui hat geschrieben:Stroh: http://www.wiredforbooks.org/aeneid/
Winge: https://www.youtube.com/watch?v=C1GkN-qqXMM (exakter, aber vielleicht etwas weniger mitreißend :D)


Die Vergil-Rezitation von Stroh kenne ich schon, die Ovid-Rezitation von Winge noch nicht! Danke für diesen interessanten Winge-Link! Wobei ich bei Letzterem irgendwie das Gefühl habe, dass man als Zuhörer gar nicht mehr so mitkriegt, dass es sich überhaupt um Hexameter handelt. Es liest sich im Grunde genommen wie Prosa, insbesondere dann, wenn zwei Verse durch ein Enjambement miteinander verbunden sind, nur eben mit dem Unterschied, dass die Längen und Kürzen einen Hexameter ergeben.


---------------------------------------

PS:

Habt ihr übrigens schon mal Angelo Branduardis Vertonung und Interpretation von Catull 51 in Anlehnung an Sapphos φαίνεταί μοι κῆνος ἴσος θέοισιν gehört?
http://youtu.be/lF577jwqOVs
Die ist, was die Aussprache der Verse betrifft, zwar nicht korrekt im Sinne der klassischen Philologie, aber doch bemerkenswert und nach meinem Dafürhalten wirklich sehr schön anzuhören! Mir gefällt's jedenfalls richtig gut! Ist doch mal was anderes! :)
Bussinatrix
Propraetor
 
Beiträge: 168
Registriert: Do 9. Aug 2012, 13:51

Nächste

Zurück zu Lateinische Philologie



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste