Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon ille ego qui » Sa 17. Jan 2015, 22:17

Bussinatrix hat geschrieben:Die Vergil-Rezitation von Stroh kenne ich schon, die Ovid-Rezitation von Winge noch nicht! Danke für diesen interessanten Winge-Link! Wobei ich bei Letzterem irgendwie das Gefühl habe, dass man als Zuhörer gar nicht mehr so mitkriegt, dass es sich überhaupt um Hexameter handelt. Es liest sich im Grunde genommen wie Prosa, insbesondere dann, wenn zwei Verse durch ein Enjambement miteinander verbunden sind, nur eben mit dem Unterschied, dass die Längen und Kürzen einen Hexameter ergeben.


So soll es sein. Einerseits steht uns unsere erworbene Vorstellung vom Hexameter im Weg (das „Hopsasa des Iktus" (Nietzsche)), anderseit die andersartigkeit der nicht-quantitierenden deutschen Dichtung. Man muss sich daher etwas einhören, bis man die Vershaftigkeit ganz und gar hört - und selbst nachahmen kann. Lohnt sich aber.
Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena
carmen et egressus silvis vicina coegi,
ut quamvis avido parerent arva colono,
gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » Sa 17. Jan 2015, 22:43

ille ego qui hat geschrieben:So soll es sein. Einerseits steht uns unsere erworbene Vorstellung vom Hexameter im Weg (das „Hopsasa des Iktus" (Nietzsche)), anderseits die Andersartigkeit der nicht-quantitierenden deutschen Dichtung. Man muss sich daher etwas einhören, bis man die Vershaftigkeit ganz und gar hört - und selbst nachahmen kann. Lohnt sich aber.


Da magst du wohl Recht haben. Doch was mach ich dann mit meiner schönen musikalischen Untermalung von Kevin MacLeod, die mir so gut gefällt??? Die will ich unbedingt dabeihaben, da mach ich keine Abstriche! Eine bessere Hexametermusik, noch dazu gratis unter der Lizenz Creative Commons gibt es nicht! Die würde sich als Karaoke-Version sogar ganz toll für Schüler zum Üben des Skandierens eignen!

Daher jetzt bitte nochmal zurück zu meinem Beitrag viewtopic.php?f=23&t=41842&p=310029#p309986.

Ihr seid wohl nicht recht einverstanden mit meiner eventuellen Streichung dieses in syntaktischer, semantischer und metrischer Hinsicht überflüssigen Wörtchens "et" aus dem besagten Ausonius-Vers?

Hat denn niemand von euch einen gescheiten textkritischen Apparat einer moderneren wissenschaftlichen Ausonius-Ausgabe zur Hand, wo man mal nachlesen kann, wie diese Stelle in den Handschriften überliefert ist?

Mir gefällt halt diese blöde Synalöphe an dieser Stelle nicht... Sie gefällt mir einfach nicht in der Rezitation!

Bei anderen Verschleifungen wie etwa coepte_auspiciis hab ich überhaupt keine Probleme, insbesondere nicht bei curricula_aequatis, wo zwei gleiche Vokale, nämlich das a, miteinander verschmelzen, und auch nicht bei der Elision des stets unbetonten, enklitischen -que in solitoque_illustrior. Wenn es sich um Endungen handelt, ist es nicht so schlimm, zumal diese gerade in der Spätantike, also zu Ausonius' Zeiten, oftmals sowieso nur schwach artikuliert wurden, besonders der Akkusativ mit dem m-Auslaut. Wenn jedoch der in Prosa normalerweise lang auszusprechende Wortstamm eines gerade in einem Gebet (precatio!) semantisch ganz wichtigen Imperativs elidiert werden soll, dann gefällt mir das einfach nicht. Dann lass ich doch lieber dieses verflixte überflüssige "et" gleich ganz weg!

Ja, ich weiß, ihr haltet mich für halsstarrig...
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon ille ego qui » So 18. Jan 2015, 00:21

Wer sagt, dass die Prosa nicht elidiert? ;)
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon ille ego qui » So 18. Jan 2015, 00:36

... oder vielmehr synaloephen zulässt
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » So 18. Jan 2015, 00:42

Ja, und vor allem in der gesprochenen Sprache wurde ganz sicher elidiert und verschliffen und "schlampig" ausgesprochen, wie in den modernen Sprachen auch... Das ist die sogenannte Ökonomie der Sprache! - Fragt sich nur, wie...
Zuletzt geändert von Bussinatrix am So 18. Jan 2015, 01:07, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » So 18. Jan 2015, 00:45

Wenn das noch lang so weitergeht, steig ich glatt in die Unterwelt und frag dort den Varro, was ich mit dem Vers machen soll!

Oder ich frag am besten gleich den Ausonius! :lol:
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon ille ego qui » So 18. Jan 2015, 01:44

salvete sodales,

ob man von Schlamperei sprechen darf angesichts der Tatsache, wie systematisch und konsequent sich die Elisionspraxis in klassischer Poesie uns darbietet. Aber gut, lassen wir's vielleicht dahin gestellt.

nun zwei ähnliche Beispiele aus der lateinischen Poesie :

P. Vergilius Maro. Georgica (P. Vergili Maronis Opera, ed. R. A. B.
Mynors, 1972). (0690: 002)

book 3, verse 71

semper erunt quarum mutari corpora malis:
semper enim refice ac, ne post amissa requiras,
ante ueni et subolem armento sortire quotannis.


Silius Italicus. Punica (Corpus Poetarum Latinorum. Vol. 3, ed. W.
C. Summers, 1905). (1345: 001)

book 17, verse 40

Hic, prisca ducens Clausorum ab origine nomen,
Claudia, non aequa<e> populi male credita fama<e>,
in puppim uersis palmisque oculisque profatur:
'Caelicolum genetrix, numen, quod numina nobis
cuncta creas, cuius proles terramque fretumque
sideraque et manis regnorum sorte gubernant,
si nostrum nullo uiolatum est crimine corpus,
testis, diua, ueni et facili me absolue carina.


Das i ist wohl im Sinne einer Synalöphe gerade noch anzudeuten (etwa: /ven(i)/ et bzw. /venjet/). Varro wird das kaum anders gesehen haben ;-)

bene valete.
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » So 18. Jan 2015, 03:32

Oh, du hast dir die Mühe gemacht, zwei andere Belegstellen für veni_et herauszusuchen! Vielen Dank schon mal!

Hm, Synalöphe mit angedeutetem, halbvokalischem i... hm...

ille ego qui hat geschrieben:ob man von Schlamperei sprechen darf angesichts der Tatsache, wie systematisch und konsequent sich die Elisionspraxis in klassischer Poesie uns darbietet. Aber gut, lassen wir's vielleicht dahin gestellt.


Ich meinte mit "schlampig gesprochen" doch gar nicht die klassische Dichtung, sondern das gesprochene Vulgärlatein, die Umgangssprache, hatte das aber wohl nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht. In der klassischen Dichtung würde ich keinesfalls von "schlampiger Aussprache" sprechen; das hast du falsch verstanden. Aber das sollte jetzt nicht das Thema sein, sonst schweifen wir zu arg ab.
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon ille ego qui » So 18. Jan 2015, 13:17

es ist ja aber doch ein und dasselbe phänomen, das offenbar im lateinischen auf allen stilebenen (mehr oder minder) greift. daher hätte ich ein problem, es im vulgärlatein für "schlampige aussprache" zu halten. ;-)
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c.

Beitragvon Bussinatrix » So 18. Jan 2015, 17:19

Ach so meinst du das! Okay, nun kann ich nachvollziehen, wie du denkst. ;-)

Genau deshalb hatte ich ja auch von der Ökonomie der Sprache gesprochen - einem linguistischen Grundprinzip. Ich glaube, wir beide meinen im Grunde genommen genau dasselbe und haben nur aneinander vorbeigeredet.
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c. - Ausonius

Beitragvon Bussinatrix » So 18. Jan 2015, 17:57

Nachdem ich noch privaten Mailkontakt mit dem Ausonius-Kenner Prof. Dr. Joachim Gruber hatte, der mir u.a. schrieb, dass die heute maßgebliche Ausgabe die von Green, Oxford 1999, ist, tendiere ich nun doch dazu, mein Video http://youtu.be/b2v-NCDxrMM noch einmal völlig neu zu überarbeiten, und zwar nicht nur wegen meines "verkorksten" Verses, der in der handschriftlichen Überlieferung so lautet:
Anne, veni et festum veteri novus adice Ianum.
- und auch in dieser Form in der modernen Green-Ausgabe von 1999 abgedruckt ist.

Auch der Vers coge secuturos bis sena per ostia menses ist fraglich, denn den hat ja – so weit ich sehen kann – auch dieser Konjektur-Peiper eigenmächtig dorthin verschoben, wo er in der handschriftlichen Überlieferung wohl nicht steht. Obwohl sich dieser Vers unbestritten gut macht im Ablauf des Textes in meinem Video. Peipers Konjektur finde ich jedenfalls nicht abwegig. Der hatte sich sicher was dabei gedacht.

Auch das Titelblatt im Video sollte ich dann wohl nach der heute maßgeblichen Ausgabe von Green, Oxford 1999, gestalten (zu der ich eben leider keinen Zugang habe). Wegen des leidigen Copyrights findet man im Netz, z.B. bei archive.org ja nur entweder ganz alte, gemeinfreie Ausgaben, wo das Copyright schon lange abgelaufen ist, oder eben Varianten gemeinfreier Rohtexte ohne jeglichen textkritischen Apparat oder Kommentar, ja nicht einmal mit Quellenangaben oder Verweisen auf die jeweils zugrunde liegende Ausgabe. Das ist das Problem. Und Perseus http://www.perseus.tufts.edu/hopper/tex ... ection%3D6 hat halt auch diese Peipersche Version. Beim Titelblatt meines Videos hatte ich mich nach den Angaben auf der mir vertrauenswürdig erscheinenden Webseite der Uni Zürich gerichtet:
http://mlat.uzh.ch/MLS/xanfang.php?tabe ... _download=
wo das besagte Gedicht als IDYLLIUM IX. Item precatio kalendis Ianuariis aufgelistet ist.
Das Titelblatt kann man jedenfalls auch "wissenschaftlicher" gestalten. Prof. Gruber schrieb mir:
Prof. Dr. Joachim Gruber hat geschrieben:Die Zählung lautet auch nicht Idyll. IX, sondern ursprünglich (nach
Souchay) "332 Idyll. VIII", bei Peiper "Domestica V", bei Green jetzt
Precatio 3.



Nun, es würde dann im Grunde genommen alles darauf hinauslaufen, dass ich das gesamte Video noch einmal völlig neu machen muss, inkl. Synchronisation von Bildern und Text, und die Musikspur Colossus von Kevin MacLeod muss ich dann auch neu schneiden, damit der Text draufpasst. Und im Abspann würde ich dann auch dazuschreiben, dass die Monats-Mosaike aus dem Mosaikkalender in Sousse, Tunesien, stammen. Vielleicht lohnt es sich doch, diese komplette Überarbeitung vorzunehmen, damit dann alles Hand und Fuß hat, im altphilologischen Sinne. Mein bisheriges “Peipersches” Video kann ich deswegen ja trotzdem auf Youtube lassen, ohne es zu löschen. Aber erst mal abwarten und sehen, wie sich alles anlässt. Ich will jetzt nichts überstürzen, denn der 1. Januar liegt sowohl hinter uns als auch weit vor uns. Ich habe also keinen Zeitdruck mehr wie noch Ende Dezember 2014, als ich einfach einen kleinen lateinischen Neujahrsgruß mit Ausonius basteln wollte. Was ursprünglich nur als digitale lateinische Neujahrskarte und kleine Spielerei gedacht war, artet jetzt regelrecht zu einem "wissenschaftlichen Projekt" aus. Aber es stimmt schon: Es wäre schön, wenn alles wirklich richtig stimmig wäre, auch im altphilologischen Sinne.

Was mich gestern Nacht trotz meiner "Halsstarrigkeit" ins Wanken gebracht hat, lieber ille ego qui, waren deine beiden Belege von Vergil (!) und Silius Italicus, die du offenbar auf der Seite http://latin.packhum.org/search?q=veni+et rausgefiltert hattest, und dein Satz:
ille ego qui hat geschrieben:Das i ist wohl im Sinne einer Synalöphe gerade noch anzudeuten (etwa: /ven(i)/ et bzw. /venjet/). Varro wird das kaum anders gesehen haben ;-)


Die Aussprache "venjet" wäre jedenfalls ein akzeptabler Kompromiss für mich, denn dann hätte ich das nach meinem Dafürhalten so wichtige -i des Imperativs halbvokalisch doch noch "ein bisschen" dabei.

Nun, wir werden sehen. Ich will wie gesagt nichts überstürzen.

Ob eine neue Version dieses Ausonius-Videos dann wirklich besser und schöner wird als meine Erstfassung, bleibt abzuwarten. Jedenfalls spüre ich, dass meine ursprüngliche spielerische und enthusiastische Herangehensweise nicht mehr vorhanden ist. Ich weiß auch nicht, wie ich das mit den Betonungen vor dem Hintergrund der Musik hinkriege. Abgesehen davon bin ich ja kein lateinischer Muttersprachler, und auch kein Professor, und auch keine Prof. Johanna Narten, und und und... Ich unterrichte ja nicht einmal Latein, obwohl ich es Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre studiert hatte, u.a. eben auch bei Prof. Gruber.

Ich bin nichts.

Aber ich liebe und genieße - in gewissem Sinne und auf meine persönliche Weise - die wundervolle lateinische Literatur... Bild
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Re: Kal. Ianuariis anno MMDCCLXVIII a.u.c. - Ausonius

Beitragvon Bussinatrix » So 18. Jan 2015, 19:43

Bussinatrix hat geschrieben:[...] - die wundervolle lateinische Literatur... Bild

- mit der sich die wundervollen Dichter und Verfasser der Antike unsterblich gemacht haben... Bild

Warum spüre ich in mir solch eine Sehnsucht nach der Antike... Bild

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