Kennzeichnung kurzer Vokale sinnvoller?

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Kennzeichnung kurzer Vokale sinnvoller?

Beitragvon Laptop » Sa 17. Jan 2015, 13:43

Wir Deutschen sprechen lateinische Quantitäten ja meistens falsch, indem wir kurze Vokale längen, seltener indem wir lange kürzen. Wäre es daher nicht sinnvoller, das Lernsystem umzukehren, und nur die kurzen Vokale (nicht die Langen) zu kennzeichnen und explizit zu lernen?

Natürlich sagt uns der Verstand: wo der Vokal nicht explizit als lang angegeben ist, ist er kurz. Aber unser Gedächtnis speist sich über das Unterbewußtsein, nicht über den Verstand. Und unser Unterbewußtsein ignoriert Negierungen. Wenn ich euch sage: Da steht kein blauer Schneemann! dann denkt ihr alle an einen blauen Schneemann. Und in dieser Hinsicht meine ich auch, daß das explizite Kennzeichnen von langen Vokalen psychologisch betrachtet eher suboptimal ist. Uns müssen doch eher die kurzen Vokale ins Gedächtnis geprügelt werden!? :hammer:
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Re: Kennzeichnung kurzer Vokale sinnvoller?

Beitragvon ille ego qui » Sa 17. Jan 2015, 13:55

Ich würde differenzieren. Für Sprecher des Deutschen sind zwei Dinge ungewohnt:
1. kurze Vokale in offenen Ton-, d.h. betonten Silben
2. lange Vokale in unbetonten Silben (z.b. das o in procerus)
(3. gelängte Konsonanten in betonter wie unbetonter Silbe)
Fall 2. (und 3.) ist sogar noch schwieriger, da im Deutschen nichts ähnliches vorkommt. Zu 1. kann man sich zumindest an Wörtern wie "Schlitten" orientieren (auch wenn diese Silbe als geschlossen gilt). Wohlgemerkt genügt es hier nicht, einen geschlossenen Vokal zu erzeugen, sondern tatsächlich einen von doppelter Dauer.
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Re: Kennzeichnung kurzer Vokale sinnvoller?

Beitragvon Laptop » Sa 17. Jan 2015, 14:05

ille ego qui hat geschrieben:Ich würde differenzieren. Für Sprecher des Deutschen sind zwei Dinge ungewohnt:
1. kurze Vokale in offenen Ton-, d.h. betonten Silben
2. lange Vokale in unbetonten Silben (z.b. das o in procerus)
(3. gelängte Konsonanten in betonter wie unbetonter Silbe)
Fall 2. (und 3.) ist sogar noch schwieriger, da im Deutschen nichts ähnliches vorkommt. Zu 1. (du meinst “Zu 3.”?) kann man sich zumindest an Wörtern wie "Schlitten" orientieren (auch wenn diese Silbe als geschlossen gilt). Wohlgemerkt genügt es hier nicht, einen geschlossenen Vokal zu erzeugen, sondern tatsächlich einen von doppelter Dauer (du meinst Konsonanten von doppelter Dauer?).


Ich glaube ich verstehe was du meinst. Wobei die zwei blau markierten Stellen mir nicht ganz klar sind.

Wenn man die Quantitätenfehler von ihrer Anzahl her vergleicht, dann sind dein Punkt 2 und Punkt 3 nicht zu vernachlässigen, aber doch eher von geringerer Zahl. Daher meine Frage, ob man den Ansatz nicht ändern, und die irrsinnig vielen “Kurzvokal-wird-irrtümlich-gelängt”-Probleme bekämpfen sollte. Ich habe das Pferd von der andern Seite aufgesattelt und explizit die Kurzen eingeprägt: simmilla, malle, datta, comma, nigger, etc. und es hat mir geholfen. Ich schreibe sie absichtlich hier mit Doppelkonsonant, damit deutlicher wird, wie kurz die Vokale zu sprechen sind!
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Re: Kennzeichnung kurzer Vokale sinnvoller?

Beitragvon RM » Sa 17. Jan 2015, 14:26

Was die Doppelkonsonanten betrifft, empfiehlt es sich, sich näher mit dem Italienischen zu beschäftigen. Die beste lateinische Aussprache, die ich bisher gehört habe, stammt von jemandem, der in Rom aufgewachsen ist und die Restituta verwendet. Aber da kann man normalerweise noch so viel üben - es bleibt immer ein unüberhörbarer germanischer Akzent.

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Re: Kennzeichnung kurzer Vokale sinnvoller?

Beitragvon ille ego qui » Sa 17. Jan 2015, 14:27

salve :-)
ich meinte es schon so. zur erklärung:

@ "Schlitten":
Im deutschen neigen wir dazu, in der betonten (offenen) Silbe einen langen Vokal zu verlangen, z.B. "itum" (PPP), wo aber das i kurz zu sprechen ist. Jedoch haben wir im deutschen zumindest Fälle wie "Schlitten". Hier gilt zwar die erste Silbe als geschlossen. Dennoch meine ich, dass uns ein solches betontes, aber kurzes "i" Orientierung bieten kann für lateinische Fälle wie eben "itum". Trotzdem lohnt sich hier natürlich eine Kennzeichnung, fast jeder würde es falsch aussprechen (allein schon wegen îre).

@ "Vokale von doppelter Dauer":
In einem Wort wie "unire" genügt es nicht, das u geschlossen zu sprechen. geschlossene vokale in unbetonter Silbe kennen wir im deutschen zumindest aus Fremdwörtern (zumindest sieht der Ausspracheduden für "Union" ein geschlossenes - aber kurzes - u vor; in der Umgangssprache wird auch hier wohl oft "geschludert"). Jedoch reicht das streng genommen nicht, das u in unire hat doppelt so lang zu sein wie kurzer Vokal (wie z.B. das betonte i in itum oder das unbetonte u in aúgures).

Noch etwas müssen wir bedenken. Dringender Kennzeichnung bedürfen lange Vokale vor Mehrfachkonsonanz, das kennen wir im Deutschen auch kaum, z.B. in ârdor/ârdêre. Noch schwieriger - und kennzeichnungswürdiger - ist die richtige Aussprache langer Vokale vor Geminaten, z.B. nûllus - zumal es hier nicht reicht, das u zu längen, wir müssen gleichzeitig noch die Längung des l zum Ausdruck bringen :D

Zur Länge vor Mehrfachkonsonanz vgl. die Auflistung auf S. 10 unten:
http://stroh.userweb.mwn.de/scholae/vl_ ... ndouts.pdf
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Re: Kennzeichnung kurzer Vokale sinnvoller?

Beitragvon ille ego qui » Sa 17. Jan 2015, 14:35

man kann quantitäten klatschen, einmal klatschen für kürze, zweimal für länge:

z.B.:
u-ni-re : 2-2-1
u-ni-ver-si-tas : 2-1-2-1-2
cred(o) ego vos, iudices: 2-1-1-2-2-1-2 (für ego könnte man auch 1-2 ansetzen)
etc.
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