Glanzstücke philologischer Arbeit?

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Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon Laptop » Sa 25. Apr 2015, 05:12

Die Glanzstücke der lat. Literatur sind allgemein bekannt. Zumindest weiß man, daß bspw. Cicero, Caesar, Seneca, Lukrez vorbildliche Schriftwerke der lat. Literatur sind. Was aber sind die Glanzstücke philologischer Arbeit? Und ich meine damit herausragende Lehrwerke, Übersetzungen, kritische Ausgaben, Kommentare, vielleicht auch lexikographische Werke. Habt ihr Vorschläge?

Mir fällt spontan nicht viel ein. Persönlich bewundere ich z. B. die englischen Übersetzungen der Editionsreihe “Loeb-Classical-Library”, die ich aus dem Bauch heraus als besonders hochwertig (sc. elegant, akkurat, konsistent, verläßlich) einschätze. Welche philologische Arbeit bewundert ihr?
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon Prudentius » Sa 25. Apr 2015, 16:15

Das ist eine zu weitgespannte Fragestellung: drei Jahrtausende philologischer Arbeit, verschiedene Nationen, verschiedene Geschmäcker, ständig wechselnde geistige Strömungen; was soll man da sagen?

Aber ein paar Festpunkte könnte man markieren: die Neuzeit beginnt mit dem Humanismus der Renaissance, die grundlegenden Editionen kommen heraus; in D. kommt es im 18./19. Jh. zu einem "2. Humanismus", geprägt von dem Dreigestirn Schiller-Goethe-Hölderlin, der eine Verherrlichung der Griechen und eine Abwertung der Römer brachte; diese hielt lange an.
Eine Wendung brachte dann im 19. Jh. das Aufkommen des positivistischen Wissenschaftsideals, eine Ernüchterung und Konzentration auf das Faktische; mit dem Schwärmen der Humanisten war es nun vorbei; es ist eine Ironie der Geschichte, aber diese nüchterne, auf das Faktensammeln gerichtete Forschung trat zuerst dem Humanismus feindlich gegenüber, veränderte aber die philologische Arbeitsweise von Grund auf; von nun an begann man überhaupt erst, die Autoren zu erforschen, Biographien und Werkkommentare zu erarbeiten, große Sammelwerke zu organisieren.

Ab ungefähr 1900 begann eine Neuentdeckung und -bewertung der Römer, wenigstens in D.; Althistoriker arbeiten die Eigenarten des Römischen heraus, auch Wortforschungen typischer Begriffe, wie fides, auctoritas; glanzvolle Leistungen kamen aus der Berliner Uni; es gab die "religionsgeschichtliche Schule", die viel für das Verständnis der römischen Religion leistete; der glänzendste Name ist Eduard Norden, sein Hauptwerk der Kommentar zum 6. Buch der Äneis, auch über "Agnostos theos" und Weihnachtsfest.

In den 30er Jahren war 2000-Jahr-Feier Vergils, es erwachte neues Interesse, programmatisch ein Aufsatz von Klingner "Die Wiederentdeckung eines Dichters", in dem Band "Römische Geisteswelt", sicherlich eine der von dir gesuchten Glanzleistungen.

Aus neuerer Zeit könnte man ANRW nennen, Aufstieg und Niedergang der r. Welt, ein Sammelwerk mit vielen Bänden, verschiedene kompetente Verfasser zu sehr vielen Bereichen.
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon ille ego qui » Mo 27. Apr 2015, 19:19

Aulus Persius Flaccus: Satiren. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Walter Kißel, Heidelberg 1990.
:D
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon RM » Mo 27. Apr 2015, 19:30

Ich hätte ja eher erwartet, von euch Namen wie Erasmus, Gesner, Scaliger, Mommsen und Nietzsche zu hören ...

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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon ille ego qui » Mo 27. Apr 2015, 22:46

ach, die sind doch alle unseriös! ;-)
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon Laptop » Di 28. Apr 2015, 02:01

@RM Es geht ja um einzelne Werke, nicht um Philologen. Mit Mommsen meinst du wahrscheinlich sein Monumentalwerk Römische Geschichte, das damals den Nobelpreis gewann. Ich möchte den Rang des Werkes nicht schmälern, aber auf mich persönlich wirkt es eher erschlagend, einschüchternd, thematisch etwas zu diffus und breit aufgestellt. Mit Scaliger meinst du wohl sein De caussis linguae Latinae, was zweifellos herausragend ist, aber wenn das ein Glanzstück der Philologie ist, dann wundere ich mich warum sich kein Mensch dafür interessiert (es gibt keine Neuausgabe, es gibt keine kritische Edition, es gibt keine Übersetzung, das Werk wurde eigentlich nur ignoriert). Mit Erasmus meinst du vielleicht seine Adagia? Das ist ein Sammelsurium, wertvoll zweifellos, aber Glanzstück der Philologie? Ich weiß nicht. Welches Werk meinst du mit der Erwähnung von Nietzsche? Und welches Werk meinst du mit der Erwähnung von Gesner? War Gesner denn überhaupt ein herausragender Philologe?
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon iurisconsultus » Di 28. Apr 2015, 18:53

Ich möchte hier das zweibändige Werk Kaser, Handbuch des Römischen Privatrechtes, 2. Auflage (1975) einrücken. Philologisch wie juristisch monumental - dem Inhalt und dem Umfang nach. Ich nehme es immer wieder einmal fassungslos zur Hand.
Zuletzt geändert von iurisconsultus am Mi 29. Apr 2015, 06:56, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon RM » Di 28. Apr 2015, 19:37

Auf jeden Fall hierher gehören die Platon-Übersetzung von Schleiermacher und Gustav Schwabs "Die schönsten Sagen des klassischen Altertums", von Erasmus die Adagia und "De recta Latini Graecique sermonis pronuntiatione", Nietzsches Metrische Studien, Gesners Bibliotheca Universalis und natürlich der Thesaurus Linguae Graecae von Stephanus.

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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon ille ego qui » Di 28. Apr 2015, 20:48

Würdest du wirklich Schwabs Erzählungen der wissenschaftlichen Disziplin namens Philologie zurechnen? Eine große Leistung - eine literarische zumal - sind sie natürlich ohne Frage.
Wo kann ich eigentlich Nietzsches metrische Studien lesen? Ich erinnere mich an einen Brief, wo er vom "Hopsasa des Iktus" spricht. Aber ich wusste nicht, dass es umfassendere Studien von ihm zur Metrik gibt ...?
vale :-)
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon RM » Di 28. Apr 2015, 22:05

Ja, mit Sicherheit ist Schwabs Leistung auch in philologischer Hinsicht großartig, ist es doch sein Verdienst, große Scharen junger Leute für das Altertum interessiert zu haben.
Nietzsches Metrische Studien gibt's bei De Gruyter: http://www.degruyter.com/view/j/niet.1989.18.issue-1/9783110244373.472/9783110244373.472.xml?format=INT

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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon ille ego qui » Di 28. Apr 2015, 23:07

ja, das mag ja sein, aber es ist doch nicht eigentlich ein Werk philologischer Forschung und Argumentation - und darum ging es hier doch, glaube ich ;-)
vielen dank für den nietzsche-hinweis. hast du diese studien gelesen?
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon Laptop » Mi 29. Apr 2015, 00:24

Freue mich über die schon genannten Vorschläge. Die Bewertung kann durchaus persönlich sein. Es geht nicht um die Rangfolge allgemeiner Popularität und Anerkennung. Vieles wurde ja zu “Unrecht” ignoriert.
Es geht wie gesagt nur darum was ihr persönlich als beispielhaft und vorzeigbar bewertet, sozusagen im Showcase, nach Jahrhunderten von Mühen und Aufwand der Altphilologie.
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon Prudentius » Mi 29. Apr 2015, 18:53

Ich möchte diesen Abschnitt aus Nietzsche anführen, aus "Götzendämmerung" (nicht Götterdämmerung),
12.1 "Was ich den Alten verdanke":

"Zum Schluß ein Wort über jene Welt, zu der ich Zugänge gesucht, zu der ich vielleicht einen neuen Zugang gefunden habe – die alte Welt. Mein Geschmack, der der Gegensatz eines duldsamen Geschmacks sein mag, ist auch hier fern davon, in Bausch und Bogen Ja zu sagen: er sagt überhaupt nicht gern Ja, lieber noch Nein, am allerliebsten gar Nichts... Im Grunde ist es eine ganz kleine Anzahl antiker Bücher, die in meinem Leben mitzählen; die berühmtesten sind nicht darunter. Mein Sinn für Stil, für das Epigramm als Stil erwachte fast augenblicklich bei der Berührung mit Sallust. ... Man wird, bis in meinen Zarathustra hinein, eine sehr ernsthafte Ambition nach römischem Stil, nach dem »aere perennius« im Stil bei mir wiedererkennen. – Nicht anders ergieng es mir bei der ersten Berührung mit Horaz. Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzücken gehabt, das mir von Anfang an eine Horazische Ode gab. In gewissen Sprachen ist Das, was hier erreicht ist, nicht einmal zu wollen. Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begriff, nach rechts und links und über das Ganze hin seine Kraft ausströmt, dies minimum in Umfang und Zahl der Zeichen, dies damit erzielte maximum in der Energie der Zeichen – das Alles ist römisch und, wenn man mir glauben will, vornehm par exellence. Der ganze Rest von Poesie wird dagegen etwas zu Populäres, – eine bloße Gefühls– Geschwätzigkeit...".

Ich finde besonders den Schluss über Horaz sehr erhellend.
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon Medicus domesticus » So 3. Mai 2015, 13:16

Ich könnte da schon einige nennen. Z.B. auch Manfred Fuhrmann mit seinen Werken. Mir ist oft wichtig, ob sich ein Philologe nicht nur seinem Fach alleine hingibt, sondern auch für die Allgemeinheit der Interessierten. Da möchte ich insbesondere Prof.Holzberg und Prof. Katharina Volk nennen. Außerdem gibt es einige bewundernswerte Professoren, die sich auch der Antike widmen:
- Prof. Bringmann mit seiner Cicero-Biographie,
- und besonders Prof. Winterling mit seiner außergewöhnlichen Caligula-Biographie.
- Außerdem natürlich Dr. M. Junkelmann....
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Re: Glanzstücke philologischer Arbeit?

Beitragvon RM » Mo 4. Mai 2015, 00:03

Hinzuzuzählen wären auch noch Paulys "Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft" und Marquardt-Maus "Privatleben der Römer", die "Botanik der alten Griechen und Römer" von Lenz und die Gesamtausgabe der Naturalis Historia von Gerhard Winkler.

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