Hinkjambus Martial

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Hinkjambus Martial

Beitragvon herbstzeitlose » Do 14. Mai 2015, 13:51

Hallo,
ich bräuchte eure Hilfe bei der metrischen Analyse von zwei Martial Epigrammen. Es handelt sich dabei um die Epigramme 10,30 und 12,57, die beide im Hinkjambus verfasst worden sind.

1 O temperatae dulce Formiae litus,
vos, cum severi fugit oppidum Martis
et inquietas fessus exuit curas,
Apollinaris omnibus locis praefert.
non ille sanctae dulce Tibur uxoris,
5 nec Tusculanos Algidosve secessus,
Praeneste nec sic Antiumque miratur;
non blanda Circe Dardanisve Caieta
desiderantur, nec Marica nec Liris,
nec in Lucrina lota Salmacis vena.
10 Hic summa leni stringitur Thetis vento;
nec languet aequor, viva sed quies ponti
pictam phaselon adivante fert aura,
sicut puellae non amantis aestatem
mota salubre purpura venit frigus.
15 nec seta longo quaerit in mari praedam,
sed a cubili lectuloque iactatem
spectatus alte lineam trahis piscis.
Si quando Nereus sentit Aeoli regnum,
ridet procellas tuta de suo mensa:
20 piscine rhombum pascit et lupos vernas,
natat ad magistrum delicate murena,
nomenculator mugilem citat notum
et adesse iussi prodeunt sense mulli.
Frui sed istis quando, Roma, permittis?
25 quot Formianos inputat dies annus
negotiosis rebus Urbis haerenti?
o ianitores vilicique felices!
dominis parantur ista, servient vobis.

Hier bei Epigramm 10,30 bereiten mir die Verse 22, 24 und 29 arge Probleme.
Größtes Problem ist die Anzahl der Silben, ich zähle bei jedem der drei Verse 13 Silben, statt der üblichen 12 Silben und sehe an keiner Stelle die Chance für eine Elision o.ä.. Bei Vers 22 ist ja die dritte Stelle, also das a von ad schon positionslang, obwohl dort eigentlich eine Kürze stehen müsste.

Bei Epigramm 12,57 leider das gleiche Spiel:

1 Cur saepe sicci parva rura Moenti
laremque villae sordidum petam, quaeris?
Nec cogitandi,Sparse, nec quiescendi
in urbe locus est pauperi. Negant vitam
5 ludi magistri mane, nocte pistores,
aerariorum marculi die toto;
hinc otiosus sordidam quatit mensam
Neroniana nummularius massa,
illinc palucis malleator Hispanae
10 tritum nitenti fuste verberat saxum;
nec turba cessat entheata Bellonae,
nec fasciato naufragus loquax trunco,
a matre doctus nec rogare Iudaeus,
nec sulphuratae lippus institor mercis.
15 Numerare pigri damna quis potest somni?
dicet quot aera verberent manus Urbis,
cum secta Colcho Luna vapulat rhombo.
Tu, Sparse, nescis ista nec potest scire,
Petilianis delicatus in regnis,
20 cui plana summos despicit domus montis,
et rus in urbe est vinitorque Romanus
- nec in Falerno colle maior autumnus –
intraque limen latus essedo cursus,
et in profundo somnus et quies nullis
25 offensa linguis, nec dies nisi admissus.
nos transeuntis risus excitat turbae,
et ad cubile est Roma. Taedio fessis
dormire quotiens libuit, imus ad villam.

Hier bereiten mir die Verse 4, 15, 19 und 28 Probleme. An allen Stellen habe ich einfach wieder zu viele Silben…

Leider helfen mir bei 12,57 auch die Kommenatare von Bowie (1993) und Watson/Watson (2003) absolut nicht weiter, und zu 10,30 habe ich nicht mal einen Kommentar :(
Ich wäre euch unendlich dankbar, wenn es jemanden gäbe, der mir helfen könnte, Licht in mein Dunkel zu bringen.
Tausend Dank!
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon Zythophilus » Do 14. Mai 2015, 15:36

Bei 12,57,4 sehe ich kein Problem, wenn man den Satz als ganzen, der ja schon in v.3 beginnt, sieht. Wir haben locus als Subjekt; von diesem Wort hängen die beiden Gerundia ab. esse mit Dativ (hier pauperi) zählt auch nicht zu den schwierigen Konstruktionen, und beim Vokativ Sparse sollte auch alles klar sein.
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon Christophorus » Do 14. Mai 2015, 21:41

Zythophilus hat geschrieben:Bei 12,57,4 sehe ich kein Problem, wenn man den Satz als ganzen, der ja schon in v.3 beginnt, sieht. Wir haben locus als Subjekt; von diesem Wort hängen die beiden Gerundia ab. esse mit Dativ (hier pauperi) zählt auch nicht zu den schwierigen Konstruktionen, und beim Vokativ Sparse sollte auch alles klar sein.


Es geht ja auch nicht um die Übersetzung, worauf du wohl mit deinen Hinweisen auf Satzglieder und Formen hinauswillst, mi Zythophile, sondern um die metrische Analyse. :wink:
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon Zythophilus » Do 14. Mai 2015, 22:19

Das ist das Problem bei so langen Postings, dass man den Überblick verliert.
Etwas schwieriger ist nur daran, dass locus als Doppelkürze eine betonte Länge ersetzt. Das ist aber bei so einem ziemlich freien jambischen Maß durchaus möglich.
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon Zythophilus » Do 14. Mai 2015, 22:25

15: Erste Silbe (unbetont): Doppelkürze nŭmĕ; ebenso: rĕ pĭg
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon herbstzeitlose » So 17. Mai 2015, 20:48

Herzlichen Dank für eure Antworten und eure Hilfe. :klatsch:
heißt das jetzt im Umkehrschluss, dass das Versmaß des Hinkjambus gar nicht so streng gehandhabt wird und nicht immer streng dem Muster : x - v - x - v - v -- x folgt? Im Werk von Friedrich Crusius, Römische Metrik, liest es sich für mich so, dass anstelle des x entweder eine Länge oder eine Kürze stehen kann, aber keine Doppelkürze. Was mache ich aber dann in den Fällen, in den ich mehr als 12 Silben habe?
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon Zythophilus » So 17. Mai 2015, 21:55

Beim Choliambus ist so ziemlich das möglich, was auch beim jamb. Senar möglich ist. Auch eigentlich lange betonte Silben können durch eine Doppelkürze ersetzt sein.
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon Zythophilus » So 17. Mai 2015, 22:02

Crusius (Röm. Metrik, S. 80) schreibt sehr deutlich: 4. Auflösung der Hebung [also der betonten langen Silbe] ist sehr selten; Anapäst statt des Iambus findet sich nur im ersten Fuß (nicht bei Catull).
Er schließt das also keineswegs aus, auch wenn es eben wirklich nicht häufig verwendet wird.
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon Medicus domesticus » Mo 18. Mai 2015, 20:23

Zgoll schreibt (S.118):
Gelegentlich werden die Längen der ersten beiden Metren (2.,4.,6. und 8.Element) durch zwei Kürzen ersetzt.
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon iurisconsultus » Mo 18. Mai 2015, 21:12

Zythophilus hat geschrieben:Crusius (Röm. Metrik, S. 80) schreibt sehr deutlich: 4. Auflösung der Hebung [also der betonten langen Silbe] ist sehr selten; Anapäst statt des Iambus findet sich nur im ersten Fuß (nicht bei Catull).

Genau dasselbe schreibt auch Flaucher, Lateinische Metrik (2008) 47 f. Glücklich, Compendium zur lateinischen Metrik, 2. Auflage (2009) 29 wiederum schreibt:
Der Hinkiambus stimmt mit dem iambischen Trimeter überein. Aber im letzten Fuß sind Länge und Kürze bzw. Hebung und Senkung vertauscht, die vorletzte Silbe ist nie kurz. Dadurch ändert sich der Rhythmus am Schluss und muss in der nächsten Verszeile wieder neu aufgebaut werden.
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon Medicus domesticus » Mo 18. Mai 2015, 21:31

Es geht eher um die Auflösungen der Längen in bestimmten Positionen... ;-)
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon iurisconsultus » Mo 18. Mai 2015, 21:42

Ich weiß schon, aber ich dachte mir, wenn ich schon nachblättere, kann ich die Information auch teilen, denn vielleicht interessierts jemanden. Sei nicht zu streng mit mir medice! :lol:
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon Zythophilus » Mo 18. Mai 2015, 22:09

Sollten die Quantitäten eines Hinkjambus nicht gleich klar ersichtlich sein, empfiehlt es sich, die Analyse von hinten zu beginnen: Dort muss es nämlich so aussehen u – – x. Dann kann sich an den Beginn des Verses vorarbeiten und überprüfen, an welcher Stelle etwaige Doppelkürzen, die je nach Grammatikermeinung "sehr selten" oder "gelegentlich" vorkommen, stehen. Wichtig für die Analyse ist auch, dass keine einzelnen kurzen Silben betont sind.
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Re: Hinkjambus Martial

Beitragvon herbstzeitlose » Di 19. Mai 2015, 11:21

Ich bin sprachlos vor Begeisterung! Tausend Dank für eure Hilfe. Wer lesen kann ist klar im Vorteil, Schande auf mein Haupt :hail:
Nochmal herzlichen Dank!
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