Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

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Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon Laptop » Sa 8. Aug 2015, 03:04

Salvete! Folgender Widerspruch irritiert mich. In "Die Lateinische Sprache" (diverse Autoren) steht zuerst
Betonung griechischer Lehnwörter. Gebildete Römer sprachen ein griechisches Wort natürlich genau mit der gleichen Quantität und Betonung aus wie die Griechen selbst. (Quelle)

und kaum zwei Sätze weiter unten dann der Widerspruch
In den Stücken des Plautus, der sich der Sprache der gebildeten Gesellschaft seiner Zeit bedient, erscheinen die griechischen Wörter in der Regel in latinisierter Form und mit lateinischem Accent

Ja, wie denn nun? Ich kann mir darauf nur so einen Reim machen: beide Aussagen beziehen sich auf ganz unterschiedliche Epochen und Haltungen. Und zwar, erstere Aussage auf die späte Republik bzw. frühe Kaiserzeit, in der man bemüht war sich vornehm zu geben, was auch Cicero mißfällt. Und letztere Aussage auf eine ganz andre Zeit, nämlich die Vorklassik, in der gebildete Schichten unbefangener, lockerer mit Sprache umgingen. Ja?
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon romane » Sa 8. Aug 2015, 12:11

im 1. Fall geht es doch um original griechische Wörter, wohl auch in gr. Buchstaben.

im 2. Fall sind die original gr. W. LATINISIERT worden
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon Prudentius » Sa 8. Aug 2015, 19:11

Ich stelle mir eine geschichtliche Trennungslinie vor: in der älteren Zeit war Italien von einer bunten sprachlichen Vielfalt geprägt, da war wohl das Gr. das allgemeine Verständigungsmittel; von Ennius, dem voraugusteischen Klassiker, heißt es, er habe "tria corda" gehabt, ein oskisches, ein gr. und ein l., ca. 200 v. Chr., da kann man verstehen, dass die gr. Wörter einfach in den l. Bestand integriert wurden.
Dann wurde Italien latinisiert, durch Eroberungen und Ansiedlungen (coloniae) wurde die Vielfalt durch das einheitliche L. ersetzt; ich kann mir vorstellen, dass die Römer nunmehr ein stärkeres Gefühl der Andersartigkeit des Gr. hatten und so die fremden Wörter auch in ihrer fremden Betonung aussprechen wollten.
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon Laptop » So 9. Aug 2015, 02:47

@romane Du hast wohl recht, so muß es gemeint sein. Épiros betont, wenn es "griechisch" (nicht in gr. Lettern aber zumindest mit der Endung -os) geschrieben ist, und Epírus, wenn es ganz lateinisch geschrieben.

@prudentius Ja, das mag so gewesen sein. Allerdings stellt sich neben dem geschichtlichen Verständnis auch ganz pragmatisch die Frage welchem Vorbild man folgen soll: gr. wörter latinisiert zu schreiben und zu betonen, oder ganz gr. als Fremdwörter. Denn als aktiver Lateiner muß man sich für eine konsequente Variante entscheiden.
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon Zythophilus » So 9. Aug 2015, 08:07

Laptop hat geschrieben:Denn als aktiver Lateiner muß man sich für eine konsequente Variante entscheiden.

Muss man das wirklich? Die Römer hatten diese Konsequenz nicht, sicher nicht in ihrer Gesamtheit, wohl auch nicht als Einzelpersonen. Wann galt ihnen ein Wort als griechisch, dass sie es bewusst als nicht lateinisches Wort einsetzten, wann war es schon so üblich, dass sie es verwendeten, ohne daran zu denken, dass es ursprünglich gar nicht ihrer Sprache angehörte? Die Grenzen sind hier fließend, also ist auch heutzutage eine gewisse Toleranz möglich. Im Zweifelsfalle würde ich die lateinische Betonung vorziehen.
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon Laptop » So 9. Aug 2015, 08:28

@Zythophilus Vielleicht war es mißverständlich, ich meine vielmehr ein System. Du sagst, wenn möglich, d. h. wenn eine latinisierte Form des Wortes existiert, dann diese auch verwenden. Das ist auch ein System.
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon RM » Mo 10. Aug 2015, 00:18

@Laptop: Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Latein und Griechisch, nämlich die Akzentuierung. Die Römer hörten auf den Rhythmus, die Griechen (auch) auf den musikalischen Akzent, der sich - ein bisschen wie im Chinesischen - in Tonintervallen manifestierte. Die gebildeten Römer haben um das Jahr 0 griechische Wörter jedoch mit Sicherheit so gesprochen, wie es ihre griechischen Zeitgenossen taten, aber nicht, wie es aus dem Munde eines Homer geklungen hätte. Die griechischen Akzente wurden ja auch erst zu einer Zeit eingeführt, als sie schon auszusterben drohten.

Wie haben eigentlich die Griechen das Lateinische ausgesprochen?

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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon Prudentius » Mo 10. Aug 2015, 07:33

um das Jahr 0


Das Jahr gab es nicht, sag lieber "um Chr, Geb." oder "um die Zeitrechnung".
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon Zythophilus » Mo 10. Aug 2015, 08:03

0 ist ein Zeitpunkt, keine Zeitdauer. Wir sagen zwar "Jahr 1" etc., aber wenn man ein Jahr lateinisch angeben will, ohne die Konsulsangabe zu verwenden, nimmt man die Ordnungszahlwörter; das wäre also etwa anno nullimo :lol:
Wenn Konsequenz in der Betonung eingefordert wird, dann empfehle ich, alles, was in lateinischen Buchstaben geschrieben ist, auch nach den lateinischen Betonungsregeln auszusprechen. Den musikalischen Akzent des klassischen Griechisch, auf den RM zu Recht hingewiesen hat, bekommt unsereiner ohnedies nicht hin. Sollte es unterschiedliche Möglichkeiten geben - wie bei Academīa, das zunächst mit langen I, auf dem es dann auch betont wurde, später mit kurzem I (Académĭa) ausgesprochen wurde -, empfiehlt sich m.E. die klassische Variante.
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon marcus03 » Mo 10. Aug 2015, 09:36

Prudentius hat geschrieben:oder "um die Zeitrechnung".


Diese Formulierung kenne ich nicht und macht mMn keinen Sinn. :? Meinst du nicht eher: Um die Zeitenwende :)


cf:
https://books.google.de/books?id=Yyadf1 ... de&f=false
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon RM » Mo 10. Aug 2015, 19:25

Prudentius hat geschrieben:
um das Jahr 0


Das Jahr gab es nicht, sag lieber "um Chr, Geb." oder "um die Zeitrechnung".

Da ich normalerweise mit natürlichen, ganzen, rationalen, reellen und komplexen Zahlen rechne, verwende ich auch in der Zeitrechnung sehr wohl das Jahr Null. Da wirst auch Du nichts dran ändern. Es ist mir auch egal, wenn die Römer sich mit stellenbasierten Zahlensystemen nicht auskannten. Sie hätten ja das babylonische übernehmen können. Außerdem wissen wir immer noch nicht präzise, in welchen Jahr Jesus geboren ist (nur dass es um die Weihnachtszeit war). Daher ist unsere Zeitrechnung ohnehin rein willkürlich.

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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon Zythophilus » Di 11. Aug 2015, 08:48

Hat dein Jahr, oh RM, im Normalfall also 377 Tage? Jedes Monat müsste nach dem System dann ja auch einen Tag 0 bekommen. Wie groß ist der Unterschied zwischen -1° und + 1°? Nach deinem System sind es drei Grad. Oder wir nehmen Jahre als Zeitdauer, wobei sich eben die Grundzahl bei uns als Bezeichnung hat, obwohl eigentlich Ordnungszahlen passender wären. Dann ist der Abstand zwischen (dem Anfang von) 1 vor Christus und (dem Ende von) 1 nach Christus genau zwei Jahre, wobei 0 ein Punkt ist, genau wie 0°.
Wir wissen nicht genau, wann Jesus geboren ist, auch die Weihnachtszeit lässt sich eher damit begründen, dass man so das Fest des Sol Inuictus mit einem christlichen Fest belegen wollte.
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon RM » Di 11. Aug 2015, 09:09

Zythophilus hat geschrieben:Wie groß ist der Unterschied zwischen -1° und + 1°? Nach deinem System sind es drei Grad.

Ich würde mir das mit dem Zahlenstrahl ja noch einmal ganz genau anschauen ... +1 - (-1) = 2

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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon Zythophilus » Di 11. Aug 2015, 09:36

Wieso sind dann die Jahre -1, 0 und 1 drei Jahre? Oder sind - 1 € (also Schulden), 0 € und 1 € drei Euro? Daher 1 vor Christus ist ein Jahr, das vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember dauert, 0 ist ein Zeitpunkt, 1 nach Christus ist ein Jahr, das vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember dauert. Das ist so wie auf dem Zahlenstrahl mit Gradangaben. Wenn das Wasser gefriert, dann tut es das bei 0°, einem genau definierten Punkt. Es kocht bei 100°. Keiner würde auf die Idee kommen, 100° als die Differenz zwischen dem Punkt 99 und 100 zu sehen. Das Jahr 1 n. Chr. dauert Punkt 0 bis zum Punkt 1, mit dem es endet.
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Re: Betonung gr. Wörter. Widerspruch.

Beitragvon marcus03 » Di 11. Aug 2015, 13:41

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