Guten Tag, Herr Schmidt!

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Re: Guten Tag, Herr Schmidt!

Beitragvon Laptop » Mo 7. Sep 2015, 12:54

Wenn ich das richtig verstehe, dann ist die Einteilung in Substantive und Adjektive nicht zielführend, sondern man muß einteilen in

1) nomina propria (Eigennamen) auf -ius, bspw.: Mercurius
=> diese endigen auf -i im Vokativ

2) nomina appellativa (Adjektive und Substantive die keine Eigennamen sind) auf -ius, bspw.: socius, calcearius, ferrarius.
=> diese endigen auf -ie im Vokativ, mit der Ausnahme von "fili" und einigen wenigen Stellen wie bspw.
manuari, die auch auf -i endigen.

Somit ist die Aussage nicht richtig, daß Substantive auf -ius regelhaft-zwingend einen Vokativ auf -i haben. Und somit ist die Ursprungs-Frage welchen Vokativ substantivierte Adjektive(*) auf -ius haben, von Servius so beantwortet, daß sie appellativa sind und somit auf -ie endigen, wie es Erasmus auch macht.

(*) ... die keine Eigennamen sind, versteht sich
Zuletzt geändert von Laptop am Mo 7. Sep 2015, 13:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Guten Tag, Herr Schmidt!

Beitragvon ille ego qui » Mo 7. Sep 2015, 13:03

man hätte nur gerne (antike) belege für -ie-Substantive. ich sehe solche bisher nicht.
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Re: Guten Tag, Herr Schmidt!

Beitragvon Laptop » Mo 7. Sep 2015, 13:07

OK, ich kümmere mich darum, Ille.
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Re: Guten Tag, Herr Schmidt!

Beitragvon ille ego qui » Mo 7. Sep 2015, 13:21

offenbar findet sich nichts (wie Kühner ja glaubhaft beteuert).
das Problem also:
Servius sagt, "fili" sei die Ausnahme, sonst "-ie". die einzigen Formen aber, die uns eine Handhabe geben könnten, dies zu überprüfen, sind sehr wenige - und diese wenigen scheinen gegen Servius zu sprechen ("manuari" und "vulturi").
Man möchte beinahe den Eindruck gewinnen, der Vokativ der "-ius"-Substantive werde generell gemieden.
Wenn wir das Servius-Diktum nicht hätten, müssten wir wohl die Grenze zwischen Adjektiven und Substantiven ziehen, erst Servius macht uns hier Kummer ;-)

(für "Ferrarius = Herr Schmidt" nehme ich mal die Eigennamenregel in Anspruch ... ;))
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Re: Guten Tag, Herr Schmidt!

Beitragvon ille ego qui » Mo 7. Sep 2015, 13:34

dass wir es von ganz ähnlichen fragen schon hatten, war mir wohl bewusst, nicht aber, dass ich exakt dieselbe frage ("Schmidt") bereits gestellt hatte ;-)
valete.
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Re: Guten Tag, Herr Schmidt!

Beitragvon Laptop » Mo 7. Sep 2015, 13:38

Man möchte beinahe den Eindruck gewinnen, der Vokativ der "-ius"-Substantive werde generell gemieden.

Wurde er, jedenfalls der maskuline den wir brauchen. Dazu Eleanor Dickey. Siehe Link unten.

Also, was ich gefunden habe ist folgendes. Es scheint eine seit Jahrhunderten geführte Debatte darüber zu geben welchen Vokativ die Wörter auf -ius haben. Klassisches Belegmaterial gibt es sogut wie keines, denn es erscheint in der klassischen Epoche seltsamerweise sogut wie kein einziger maskuliner Vokativ von Wörtern auf -ius im Vokativ, (außer Namen und filius, was uns in der Sache nicht weiterhilft):
The most surprising feature of our data is the fact that there is so little early, classical, or Silver Latin evidence for the vocatives of -ius words other than names and filius.
Die Autorin schreibt dann noch, daß sie sich darüber wundert, denn die weiblichen und sächlichen Vokative von Wörtern auf -ius erscheinen klassisch reichlich. Aber die bringen uns ja auch nicht weiter in dieser Sache.

Die Autorin (Dickey) schreibt sehr verständlich über viele weitere Einzelheiten, schau es dir mal an.
https://ore.exeter.ac.uk/repository/bit ... sequence=1

Ihr Fazit verstehe ich so:
If we accept this explanation, the rule for the vocative ending should be: -ius words common in address end in -i; words not common in address are avoided in the masculine singular vocative until the late empire, when they form a vocative in -ie

und ergänzend dazu noch:
The inherited -ie vocative ending became -i at a very early period, with the result that until well into the imperial period words which were common in address formed a vocative in -i. Those less common were normally avoided, especially in the higher registers of the language; if used, however, they too normally formed a vocative in -i, except for some Greek words which took -ie. Then the vocative paradigm was regularized by the creation of vocatives in -ie for the words whose vocatives had formerly been avoided


Das heißt Cicero hätte den Schmied vielleicht "veni huc ferrari!" gerufen, und ein spätklassicher Autor eher "veni huc ferrarie!".
Zuletzt geändert von Laptop am Mo 7. Sep 2015, 13:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Guten Tag, Herr Schmidt!

Beitragvon ille ego qui » Mo 7. Sep 2015, 13:45

vielen Dank für deine Mühe und deine Gedanken, Laptop!
ich trage nur gerade den link nach, sofern sich noch anderen darein versenken wollen ;-)
https://ore.exeter.ac.uk/repository/bit ... sequence=1
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Re: Guten Tag, Herr Schmidt!

Beitragvon Laptop » Mo 7. Sep 2015, 15:06

Gerne. Sag bescheid wenn du noch etwas neues herausfindest, damit man es in diesem Thread hier dokumentieren kann.

Die Frage die sich am Schluß nach jeder Diskussion stellt ist "Wie handhabt es jeder persönlich in seinem Sprachgebrauch!?". Und ich denke, ich werde pauschal alle nicht-Eigennamen in der Vokativ-Form auf -ie verwenden, wie Erasmus. o vir pie, o manuarie, o ferrarie, o calgarie, etc.
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Re: Guten Tag, Herr Schmidt!

Beitragvon ille ego qui » Di 8. Sep 2015, 10:02

meiden bleibt ja auch eine Option ;-)
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Re: Guten Tag, Herr Schmidt!

Beitragvon Zythophilus » Mi 11. Nov 2015, 16:12

Angesichts des Todes eines sehr bekannten Herrn Schmidts ist mir diese Frage wieder in den Sinn gekommen. Unabhängig vom Vokativ von ferrarius lässt sich sagen, dass die geradezu klassische und dutzendfach zu findende Latinisierung des deutschen Namens "Schmied" in allen seinen Schreibweisen Fabricius ist. Fabricius wird sogar zu einem eigenen Familiennamen. Da man hier einen römischen Gentilnamen vor sich hat, kann man davon ausgehen, dass der Vokativ Fabrici lautet.
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