Frage zu einer elliptischen Konstruktion

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Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon marcus03 » So 4. Okt 2015, 07:49

et tamen te suspicor eisdem rebus quibus me ipsum interdum gravius commoveri, quarum consolatio et maior est et in aliud tempus differenda. (1,1 Cicero, Cato Maior de senectute)

Warum steht hier der Akk. me ipsum und nicht der Nom. ego ipse ?
Wenn ich commoveor ergänze, geht die Konstruktion nicht mehr auf, obwohl das doch wegen quibus naheliegend wäre. :?

Gratias praemitto.
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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon Medicus domesticus » So 4. Okt 2015, 08:33

Salve,
Lies mal dazu Nr 14:
http://tinyurl.com/ng78w9a
Im Menge findest du das unter § 493 (2) , quasi ein verkürzter Vergleichsatz im AcI, der kein eigenes Prädikat besitzt. Das Subjekt des Gliedsatzes wird an den Subjektsakkusativ angeglichen und ebenfalls in den Akk. gesetzt:
suspicor te <-->...quibus me ipsum...commoveri
Zuletzt geändert von Medicus domesticus am So 4. Okt 2015, 10:04, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon marcus03 » So 4. Okt 2015, 08:52

Super, besten Dank, mi medice et magister phil. optime ! :D
Eine solche Kasusattraktion kannte ich bisher nicht, dachte mir aber schon so was Ähnliches. :)
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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon Prudentius » So 4. Okt 2015, 10:43

Der Parallelismus erfordert ein me neben dem te; "te - ego" würde sehr schräg klingen; commoveri ist kaum zu ergänzen, es ist das Prädikat zu den parallelen Subjekten.
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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon RM » So 4. Okt 2015, 12:04

Kasusattraktion, Parallelismus? Benötigt man solche Begriffe wirklich, um diese Konstruktion zu erklären, die so ähnlich im Deutschen auch möglich ist, nur dass wir "eisdem ... quibus" i.d.R. als "dieselben ... wie" ausdrücken?

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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon Prudentius » Mo 5. Okt 2015, 10:15

marcus03 hat geschrieben:Wenn ich commoveor ergänze, geht die Konstruktion nicht mehr auf,...


Du müsstest commovear ergänzn, meine ich, da der Relativsatz Teil einer indirekten Rede ist, von suspicor abh.

Der Begriff "Parallelismus" ist zwar nicht unbedingt nötig, aber nützlich, er gehört zu den "rhetorischen Stilmitteln", mit denen wir viel arbeiten: sie dienen zur Erschließung von Satzstrukturen, also zur Erfassung und zum Verständnis des Satzes, außerdem ist es eine Einübung in den Umgang mit Fachterminologie, das müssen die angehenden Wissenschaftler lernen.
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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon marcus03 » Mo 5. Okt 2015, 10:47

Prudentius hat geschrieben:Du müsstest commovear ergänzn, meine ich, da der Relativsatz Teil einer indirekten Rede ist, von suspicor abh.


Nicht, wenn es sich um eine Tatsache/Faktum handelt.

Auch im Link von Medicus Domesticus steht COMMOVEOR.
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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon Prudentius » Di 6. Okt 2015, 15:11

Nicht, wenn es sich um eine Tatsache/Faktum handelt.


Das bringt nichts, denn es gibt "gegebene" und "wiedergegebene" Tatsachen, in der indirekten Rede sind es wiedergegebene.

Auch im Link von Medicus Domesticus steht COMMOVEOR.


Dass das da steht, ist noch kein Argument; Marce, suchen wir ein Argument! Ich denke, es muss so laufen:
Die Frage ist, ob dieser imaginäre Relativsatz unter den Bereich des Hauptprädikats suspicor oder unter den des ACI-Prädikats commoveri fallen würde; ich denke, es ist eindeutig das letztere, der Relativsatz wäre ja ein integraler Bestandteil des Subjektblocks von commoveri "te - me", die durch einen vergleichenden Relativsatz verbunden sind. Zu suspicor hätte dieser Relativsatz keine direkte Bindung.
Also würde der Relativsatz zur indirekten Rede gehören und müsste im Konjunktiv stehen.

So müsste es prinzipiell sein, standardmäßig; kann sein, dass man in der Überlieferung auch Ausnahmen findet.

Ich finde mich hierbei etwas an das erinnert, was RM kürzlich geschrieben hat: dass die Altphilologen am liebsten den Menge auswendiglernen :-D ,

:) .
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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon marcus03 » Di 6. Okt 2015, 15:52

Prudentius hat geschrieben:Das bringt nichts, denn es gibt "gegebene" und "wiedergegebene" Tatsachen, in der indirekten Rede sind es wiedergegebene.


Sollte man nicht berücksichtigen, dass Cicero hier selbst und auch über sich spricht und kein Dritter referiert d.h. es sich für ihn um eine unmittelbar gegebene Tatsache handelt, unter deren Eindruck auch er in diesem Moment noch steht ?
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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon Prudentius » Do 8. Okt 2015, 09:59

Ich meine auch, dass er sehr stark unter diesem Eindruck steht, es fragt sich nur, ob er deshalb Indikativ setzen müsste; natürlich, möglich ist es, ich denke eben rein formal grammatisch, "NS, die von Infinitiven abhängen, stehen im Konj.".

Vllt. könnte man auch berücksichtigen, dass dem Cicero die parallele Formulierung vorschwebte: "... te atque me eisdem rebus commoveri", wodurch die aktuelle Version leichter erklärbar wäre.

Was die "Tatsache" angeht, so sträube ich mich dagegen, weil ich mir vorstelle, was wir uns damit einhandeln würden; es hat ja jeder andere Vorstellungen über das Tatsächliche; in einer polemischen Diskussion läuft es doch so: "Tatsache ist, ...", dagegen hält der andere. "Tatsache ist vielmehr...", sie einigen sich nicht.
Die Grammatik sollte also (möglichst) grammatisch erklären und nicht Begriffe von draußen hereinholen.

lgr. P. :)
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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon marcus03 » Do 8. Okt 2015, 16:20

Prudentius hat geschrieben:Was die "Tatsache" angeht, so sträube ich mich dagegen, weil ich mir vorstelle, was wir uns damit einhandeln würden;


In diesem Fall aber sollte es für Cicero ein Tatsache sein: Er spricht von etwas, das ihn selbst betrifft.
Grammatik stellt Grundregeln auf. Aber wo eine Regel, da meist auch Ausnahmen/Sonderfälle.
Ein solcher scheint jedenfalls mir hier vorzuliegen. :)
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Re: Frage zu einer elliptischen Konstruktion

Beitragvon Zythophilus » Do 8. Okt 2015, 16:39

RM hat es vorher schon anklingen lassen. idem quod etc. ist normalerweise kein wirklicher Relativsatz mehr, und offensichtlich tritt die Funktion des Relativpronomens quod - ohne Änderung des Sinns könnte ebenso atque stehen - hier zurück. Wichtiger ist in unserem Fall die Parallelität, die durch die den Akk. me zum Ausdruck kommt. Das, was Cicero macht, ist nicht etwas Umständliches, sondern vermutlich der Regelfall für ein eine indirekte Rede geratenes idem quod ohne Prädikat.
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